Hamburg. Die Kulturbehörde stellt die Nachfolgerin von Joachim Lux vor. Am Schauspiel Hannover hätte man sie gern gehalten.

Der Empfang war warm. Blumen vom (immerhin planungsgemäß noch mehr als zwei Jahre lang amtierenden) Vorgänger-Intendanten gab es schon auf der Ensembleversammlung, die wie auch die Sitzung des Aufsichtsrates direkt vor der offiziellen Pressekonferenz lag. Und die designierte Nachfolgerin bedankte sich für ein „gründliches, faires und transparentes“ Findungsverfahren.

Das bestätigte am Ende jene Kandidatin, die – zumindest im Abendblatt – zuletzt auch als Favoritin gehandelt worden war: Sonja Anders, derzeit Intendantin am Schauspiel Hannover, übernimmt am 1. August 2025 die Leitung des Thalia Theaters.

Die Personalie ist ein Novum in der Geschichte des Hauses – das Thalia Theater bekommt zum ersten Mal eine Intendantin. Was eine bislang nicht da gewesene Konstellation zur Folge hat: Wenn Karin Beier am Schauspielhaus ihre Verlän­gerungs­­optionen zieht, werden zur Spielzeit 2025/26 beide großen Hamburger Sprechtheater weiblich geführt.

Thalia Theater: Sonja Anders Nachfolgerin von Joachim Lux

Und Kultursenator Carsten Brosda kann Personalentscheidungen nahezu am Fließband verkünden. Demis Volpi wird John Neumeier im Ballett beerben, der künftige Staatsopern-Chef Tobias Kratzer tritt sein Amt am selben Tag wie Sonja Anders an.

Nach „Gesprächen mit mehreren Dutzend“, wie Brosda die offensichtlich breit aufgestellte Auswahl für den Thalia-Posten beschrieb, sparte er an dieser Stelle nicht mit Vorschusslorbeeren. Anders stehe für „relevantes Theater“ mit „starken Handschriften, klaren ästhetischen Setzungen und mutigen dramaturgischen Anstößen“ und werde „anknüpfen an die Stärken der letzten Jahrzehnte“.

Erst im vergangenen Juli hatte Anders in Hannover ihren Vertrag bis 2028 verlängert, bis zum Ende wird sie ihn nun nicht mehr erfüllen. Tatsächlich ist der Karriereschritt für die 57-Jährige eine Rückkehr an ein ihr sehr vertrautes Haus. Unter dem Intendanten Ulrich Khuon (Joachim Lux’ Vorgänger) war Anders bereits Chefdramaturgin am Alstertor, so wie später auch am Deutschen Theater Berlin, wohin sie Khuon nach dessen Wechsel in die Hauptstadt folgte.

Sonja Anders kennt auch Kampnagel und das Schauspielhaus

Sie kennt Kampnagel und das Schauspielhaus aus eigener früher Arbeitserfahrung, beim späteren Schauspielhaus-Intendanten Friedrich Schirmer war sie, die in Hamburg einst Germanistik studierte, am Staatstheater Stuttgart beschäftigt.

Anschließend hat sie das Thalia Theater in seiner heutigen Form wesentlich mitgeprägt, unter anderem durch die Eröffnung der Zweitspielstätte in der Gaußstraße und die Neuerfindung des Nachtasyls unter dem Dach. Auch die später nach Berlin abgewanderten Autorentheatertage fanden in ihrer Zeit am Thalia statt.

Sonja Anders übernimmt die Intendanz am Thalia Theater. Kultursenator Carsten Brosda stellte die Nachfolgerin von Joachim Lux vor.
Sonja Anders übernimmt die Intendanz am Thalia Theater. Kultursenator Carsten Brosda stellte die Nachfolgerin von Joachim Lux vor. © Funke Foto Services | Marcelo Hernandez

Im Ensemble trifft sie nun vereinzelt auf Schauspielerinnen und Schauspieler, die schon damals hier engagiert waren, darunter Victoria Trauttmansdorff und Sandra Flubacher. Bewusst spricht Anders schon heute nicht nur von einem „herausragenden Ensemble“, auf das sie sich freue, sondern auch über eine „Utopie von Gemeinsamkeit“, die sie grundsätzlich am Theater suche. „Zusammenkommen und kommunizieren“ gehöre zu ihren „gelebten Eigenschaften“.

Wird das Thalia Theater diverser?

Gespräche über Kontinuitäten und Neuverpflichtungen dürften also schon bald beginnen. Schaut man auf das Ensemble in Hannover, fällt dort im Vergleich zu anderen deutschsprachigen Bühnen die Diversität besonders auf.

Dass eine Intendantin ein Bewusstsein für „unterschiedliche Herkünfte und unterschiedliche Körper“ sowie „Teilhabe“ und „feministische Strukturen“ hat – alles Schlagworte, die Anders bereits in ihrer ersten Vorstellungsrunde am Mittwochvormittag im Thalia nutzte –, gehört zum modernen Anforderungsprofil. Selbstverständlich ist der Umgang damit trotzdem nicht. Einen „radikalen“ Neuanfang wird es mit der neuen Intendantin zwar eher nicht geben – aber vermutlich dennoch einen spürbaren.

Wird das Thalia Theater diverser?
Wird das Thalia Theater diverser? © Michael Rauhe

Das zeigt auch der Blick auf ihr direktes Umfeld. Seit 2019 führt Sonja Anders das Schauspiel Hannover, ein Haus, das fast 400 Publikumsplätze kleiner ist als die Bühne am Alstertor und das einst auch Khuon als Sprungbrett nach Hamburg nutzte. Dessen Tochter Nora Khuon ist heute Anders’ Stellvertreterin, ihre „erste Impuls- und Ratgeberin“.

Sie wird nun mit ihr nach Hamburg kommen, in ein künstlerisches Leitungsteam, zu dem auch die Regisseurin Anne Lenk fest gehören soll. Auch damit schließt sich übrigens ein Kreis: Anne Lenk hat einst am Thalia ersten Regie-Erfolge gefeiert, gerade erst fand in der Gaußstraße die 111. ausverkaufte Vorstellung von „Räuberhände“ statt. Als kaufmännischer Geschäftsführer bleibt Tom Till an Bord.

Man hätte Sonja Anders in Hannover gern gehalten

Weitere Regiehandschriften, die in Hannover zu sehen sind, kennt man zum Teil auch in Hamburg: von Stephan Kimmig, von Stefan Pucher. Aber auch die Choreografin Antje Pfundtner und die Kuratorin, Netzwerkerin und Regisseurin Mable Preach, die ihre künstlerische Heimat in Hamburg bislang auf Kampnagel hatten, arbeiten dort im Stadttheaterkontext.

Selbst inszeniert Sonja Anders nicht, sie ist ebenso wie Khuon und Lux eine Dramaturgie-Intendantin. Mit Erfolg: Zuletzt gelang dem Schauspiel Hannover mit Lukas Holzhausens Inszenierung „Ein Mann seiner Klasse“ die Einladung zum Berliner Theatertreffen 2022, auch bei anderen Festivals war das Haus vertreten. Und: Die Zuschauerzahlen steigen, man hätte Sonja Anders in Niedersachsen gern gehalten.

Hamburg war verlockender. Aber hier wie dort: Im Theater habe man „das Privileg, Menschen für Menschen spielen zu lassen“, formulierte es Sonja Anders im Nachtasyl. An Hierarchien glaubt sie weniger als an das „revolutionäre Potenzial“ von Freude: „Ich denke, ich habe einen ganz guten Instinkt, was das Publikum sehen will.“

Wenn das so ist, werden die Hamburger ihr sicher auch zum Neustart 2025 einen warmen Empfang bereiten.