Hamburg. Die Songs von Tori Amos haben stets ein leichtes Aroma von Therapiesitzung mit angenehm verstörendem Exzentrikzuschlag.

Eine muss es ja machen. Weil die Pop-Sphinx ­Kate Bush sich so konsequent aus der Öffentlichkeit ­heraushält, wie sie es seit Jahrzehnten liebt, bleibt Amos, nicht nur der Stimmähnlichkeit wegen, die eindeutig katebushigste unter den sonderbaren Singer-Songwriter-Diven, und eine verlässliche Inspirations-Patentante für nachgewachsene Talente wie Lana Del Rey oder zuletzt Lorde. Sie ist eine jener Ausnahmekünstlerinnen, die man nicht ständig live erleben muss, weil solche Konzerte eher nicht überraschen, sondern vor ­allem bestätigen, wie eigenwillig Tori Amos sich inszeniert. Und wie gut sie ist.

Im Laufe der Jahre und der mittlerweile 15 Studio-Alben sind so viele, so sehr sich ähnelnde Tori-Amos-Klavierballaden zusammengekommen, dass man bei Live-Auftritten wie diesem in der Laeiszhalle schon mal den Überblick verlieren kann, was neu ist oder wie alt bereits womöglich. Andererseits: ­Gerade dieser Eindruck lieferte eine heimelige Nostalgie mit, die wie die verblassende, aber dennoch bleibende Erinnerung an das Staunen über die allererste irre Folge von „Twin Peaks“ nachklingt.

Portion Extra-Bums im Klang

Amos war allerdings nie so weg vom Fenster und treu blieb sie sich ohnehin. Ein Konzert von ihr besteht vor allem aus ihr auf einem Klavier­hocker, links der geliebte Bösendorfer-Flügel für die Portion Extra-Bums im Klang, rechts die Keyboards. Fliegende Wechsel von einer Tastatur zur anderen beherrscht sie spielend, auch das ein weiteres Symbol für den Willen zur kreativen Unabhängigkeit. Nur selten fädelten sich sparsame Beats in die Struktur der Lieder ein. Und ihre Songs haben stets ein leichtes Aroma von Therapiesitzung mit angenehm verstörendem Exzentrikzuschlag. Auch das geht nicht mehr weg.

Als Ergänzung zu den wenigen Songs mit Live-Stammplatz und den vielen, aus denen sie auf Tour gern spontan auswählt, schob sie einen „Fake ­Muse“-Programmblock ein, toriamosierte Coverversionen von Songs, die sie mag. ­Warum, von wem, war nicht ganz klar, doch die Adoption machte aus ­ihnen ­ohnehin vollwertige Familienmitglieder. Dass sie sich auf ihrem aktuellen Album den derzeitigen US-Präsidenten und seine kleinstmaschigen Denkmuster vorknöpft, ging weitgehend verloren, auch die mahnenden Hinweise in den Texten, besser mit Um- und Tierwelt umzugehen, versendeten sich im schummrigen Flackern ihrer Stimme und ihrer Bühnenshow.

Letzte Zugabe: ihr Klassiker „Cornflake Girl“, die x-te Absage ans verbindliche Mädchen-Nettsein, das sie mit 54 längst hinter sich gelassen hat und eh nie praktizierte. Winken und schnell raus war Tori Amos wieder aus dem Scheinwerferlicht. Wie das Reh, das sie nie war.

CD: „Native Invader“ (Decca/DG)