Viele Kommentatoren und Aktivisten schießen sich auf die Blankeneser ein – eine seltsame Kampagne zwischen „Luxuskarossen“ und „Nobelviertel“

Manchmal verzerrt sich die Realität zum Comic-Strip. In diesen Tagen wird Blankenese zum Feindbild. Seit vor einer Woche Anwohner mit ihren Autos Rodungen blockiert und damit den Bau einer Flüchtlingseinrichtung vorerst gestoppt haben, schwappt eine Wutwelle über den Stadtteil. Und weil das Thema so leicht Vorurteile bedient, ebbt die Empörung nicht ab, sondern steigert sich zum Crescendo. Um aufzufallen, werden die Kommentare immer erratischer, die Kritik wird immer krasser. In der Nacht brannten nun Autos in Blankenese – offenbar greifen einige Linksradikale zur Selbstjustiz, um selbige zu bekämpfen.

Auch seriöse Medien fallen durch eine extreme Tonalität auf. Wenn es um Flüchtlingsgegner geht, darf plötzlich doch generalisiert werden, Blankenese wird unter Generalverdacht gestellt. Minimalstandards fliegen über Bord, viele Kommentatoren wollen auf der moralischen Seite stehen. Dabei wäre geboten, sich eben auf keine Seite zu stellen. Dass Blankenese überall ist, dass vom linken Bauwagenprojekt in Berlin bis ins Bürgertum die Menschen Flüchtlinge als Nachbarn viel zu oft ablehnen, wird geflissentlich übersehen.

Am Björnsonweg mutieren viele zu Boulevardjournalisten, sie teilen die Welt schlicht in gut und böse. Kaum ein Medium kommt ohne den Hinweis aus, dass die Blockade im „Nobelstadtteil“ („Zeit“), im „Nobelviertel“ („Welt“) im „vornehmen Stadtteil“ („Focus.de“) stattfand, die falsch geparkten Autos mutieren rasch zu „Luxuskarossen“, jedes Häuschen zur Villa. Rechte und Reiche? Alles das Gleiche!

Dabei ist die Gemengelage unübersichtlich: War die überstürzt geplante Rodungsaktion am Björnsonweg durch die Behörden angesichts eines Eilverfahrens berechtigt? Das Verwaltungsgericht hat nun die Baumfällarbeiten vorerst untersagt und gefordert, „die geltend gemachten umweltrechtlichen Verfahrensansprüche zu prüfen“. Der zivile Ungehorsam, einst Markenkern der Friedens- und Umweltbewegung, wird nun von Flüchtlingsgegnern adaptiert. Und während Ikonen der Umweltbewegung gegen die Rodungen vor Gericht ziehen, entdecken Linke ihre Liebe zur Kettensäge – eine „Umwertung aller Werte“, schreibt die „Welt“.

Zwischentöne sind rar gesät, es regiert der Holzhammer. Die Blankeneser werden vorgeführt, ihre Gegner hofiert. Das grundgute Deutschlandradio Kultur widmet dem „Kettensägenmassaker“ der „Interventionistischen Linken“ einen langen Beitrag. Da werden die Demonstranten, die hinter roten Absperrbändern mit dem Aufdruck „sexistische Kackscheisze“ Theater machen, wortreich interviewt. Sie wollten die Bäume in Blankenese fällen, „die von den rassistischen Anwohnern blockiert worden sind“. Und sie dürfen zur besten Sendezeit pöbeln: „Die hätten es gerne, wenn ihr Perlenketten-Club unter sich bleibt. Und das finden wir nicht richtig und deswegen werden wir da jetzt hinfahren und diese Bäume selber fällen.“ Noch ausführlicher findet sich die Interventionistische Linke nur im Verfassungsschutzbericht, schließlich ist ihr Ziel der „Bruch mit dem nationalen und globalen Kapitalismus, mit der Macht des bürgerlichen Staates“. Auf jeden Fall 1-A-Zeugen im Kampf gegen böse Blankeneser.

„Spiegel online“ konstatiert im Kommentar, in Blankenese zeige sich „Egoismus mit rassistischer Nebenwirkung“. Die Vorgänge seien „eigentlich noch schlimmer“ als die Anti-Asyl-Proteste etwa in Sachsen. Also dort, wo Anwohner gegen Migranten pöbeln und prügeln oder Flüchtlingsbusse mit Steinen bewerfen. Um in einer aufgeputschten Debatte Gehör zu finden, muss es wohl etwas schriller sein. Noch einen Schritt weiter ist man auf dem Boulevard. „Schande von Blankenese“ schreibt Bild am Sonntag. „’Wir sind nicht alle herzlose Bonzen’’’ – Blankenese: Aufstand der Anständigen“ titelt die Mopo. Sind die meisten Blankeneser also herzlose Bonzen? Hm. Der „Aufstand der Anständigen“ geht zurück auf einen Satz Gerhard Schröders. Den sprach er nach einem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge im Jahr 2000. Aber die Zeitung erkennt in Blankenese ja „Methoden, wie man sie sonst von 1.-Mai-Ausschreitungen kennt – allerdings steckten diesmal statt Chaoten Millionäre dahinter“.

Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Und nicht alle, die hier verteidigt werden, dürfen sich verstanden wissen. In einer Stadt, in der Flüchtlinge in Zelten und Baumärkten menschenunwürdig leben, ist jede neue Unterkunft ein Schritt zur Integration. Auch am Björnsonweg gilt der alte Grundsatz: Man darf klagen und sich wehren. Man muss es aber nicht.