Hamburg. „Was ist los“ heißt das neue Album des Popsängers. Hier singt einer, der Orientierung geben möchte, für Versöhnung und Zusammenhalt

Eine von Krisen und Unsicherheiten geplagte Welt – kein schöner Zustand, aber eine willkommene Ausgangslage für den großen musikalischen Seismografen der Gefühlslage der Republik: Herbert Grönemeyer. „Das ist los“ heißt dann auch sein neues Album. Und mit seiner gewohnt knödeligen Stimme nennt der Musiker und Sänger all die Sorgen und Ängste beim Namen. Aber er wäre nicht Grönemeyer, wenn er dabei nicht gleichzeitig auf Versöhnung und Zusammenhalt in einer von Gräben durchzogenen Gesellschaft hinarbeiten würde.

Da hat er viel zu tun. Allein für den Titelsong scheint ihm der Stift beim Texten nahezu explodiert: „Und immer wieder Neuanfang/Die Welt dreht sich im Schleudergang/Bankenkrise, Emirat/Schuldenbremse, Windradpark/Lifehacks, Burnout, Horoskop/Cis, binär- und transqueer-phob/Gucci, Prada Taliban Schufa, Tesla Taiwanwahn/Was ist, Kid, kriegst Du noch was mit“. Man braucht eine Weile, um die vielen Stichworte zu sortieren und fragt sich, ob Horoskope wirklich ein Problem darstellen, aber Grönemeyer nimmt einen so beherzt mit in seinen Refrain: „Was ist los? Das ist, was ist los“, dass sich all diese Fragen in einem euphorischen Pop auflösen.

Herbert Gönemeyer lässt an Themen in seinem neuen Album - fast nichts - aus

In den dreizehn Songs, aufgenommen in der italienischen Provinz und in Berlin, spricht der 66-Jährige alles an, Pandemie, Krieg, Inflation, aber eben auch Frauen, die sich durchkämpfen, und Menschen, die einfach losmachen, wie er sagen würde.

Grönemeyers Texte sind klug und gehaltvoll, meist von seinen schon berühmten Endreimen durchzogen. Manche Songs, wie die Motivationshymne „Genie“ oder „Der Schlüssel“ über Identität und Heimatverlust kommen eher wortlastig daher und man freut sich, wenn in „Angstfrei“ oder in „Eleganz“ auch mal ein anständiger Beat zu hören ist, der entfernt an die Dynamik von „Männer“ und die 1980er-Jahre erinnert. In „Tau“ dokumentiert Grönemeyer offenherzig seinen eigenen Zweifel an der Schönheit der Welt. Und mit „Herzhaft“ findet sogar ein richtiges Liebeslied Platz auf dem Album. Die Liedzeilen sind eingebettet in sanfte Piano-Flächen und tanzbare quietschende Elektronik, auch mal garniert mit süßlich schwelgenden Synthie-Streichern oder fragwürdigen Chorpassagen. Aber um musikalische Experimente ging es bei Grönemeyer noch nie.

Grönemeyer möchte Orientierung geben

„Muss die Welt erst in Flammen stehen/dass wir uns aus unsrem Koma drehen/ Es braucht den nimmermüden oh oh oh Aufschrei/rüber in die neue Zeit“ heißt es in „Oh Oh Oh“, einer getragenen Hymne, die wachrütteln will im Angesicht des bedrohten Planeten. Hier singt einer, der Orientierung geben möchte – fast schon zu viel davon.

Deshalb bleibt der zentrale Song die erste Single „Deine Hand“, ein großer Appell an ein Gefühl von Solidarität, ein Plädoyer für das Brückenbauen, tief und persönlich empfunden. Ein Song von der gesellschaftlichen Relevanz wie einst „Mensch“. Grönemeyer möchte alle mitnehmen auf seinem Weg der Versöhnung, weshalb seine Musik niemanden überfordern dürfte. Aber genau dafür wird er bis heute von Millionen geliebt.

Und natürlich ist es irgendwie auch tröstlich, dass der Popsänger Grönemeyer seine eigenen Gedanken und Zweifel stellvertretend für uns alle in Pop verwandelt. In nicht unbedingt immer überraschenden, aber doch reflektierten und durchaus schönen Pop.