Hamburg. Der TV-bekannte Satiriker (ZDF-„heute-show“) spielte in der ausverkauften Laeiszhalle sein viertes Bühnenprogramm „Flamingo am Kotti“.
„Wow, das ist gar nicht schlecht!“ Mit diesem Satz springt Till Reiners auf die Bühne und stellt erst mal demonstrativ den Mikrofonständer vor sich weg. Er braucht Platz. Den nimmt er sich am Mittwochabend in der ausverkauften Laeiszhalle dann auch; 1600 Menschen sind gekommen. So viele waren es bislang bei seinen Solo-Auftritten noch nie, meint er stolz. „Ich sehe, ihr seid gut drauf“, steigt er gleich in den Dialog mit den ersten Reihen ein.
Ein paar Mutige vorn haben Lust auf seine Fragen. Wer die weiteste Anreise habe und welche Stadt wohl die unbeliebteste heute sei? Schnell wird klar, die Pinneberger werden die zwei nächsten Stunden nicht gut wegkommen Und da sich alle geeinigt haben, dass sich man (fast) gemeinsam mit Till gegen Pinneberg verschwört, beginnt Reiners Programm „Flamingos am Kotti“. Bis der Titel einleuchtet, wird die Pause vergangen sein und die zweite Hälfte längst begonnen haben.
Der Stand-up-Comedian und Kabarettist ist mit Poetry-Slam bekannt geworden, hat inzwischen eine eigene Kabarett-Sendung auf 3Sat („Till Reiners’ Happy Hour“) und ist regelmäßig Gast in den ZDF-Sendungen „heute-show“ und „Die Anstalt“. Am 3. März ist er 38 geworden und nimmt sein Älterwerden in seinem aktuell vierten Bühnen-Programm genau unter die Lupe: Wann ist er erwachsen geworden? Ist das überhaupt passiert? „Eigentlich bin ich ein Kind, das zu alt aussieht“, stellt er klar. Gnadenlose Selbstironie wird nahezu zum roten Faden des Abends, welche die Pointen immer wieder ins Unerwartete kehren.
So kann er sich auch auf satirisches ungewohntes Terrain begeben und obskure Vergleiche ziehen, die das Publikum weniger laut lachen lassen. Es scheint, als hätten Reiners’ Tentakeln für Stimmungen die Lage schneller verstanden als die Zuschauenden selbst. Das zögerliche Lachen nimmt er sofort auf, bricht im Satz ab und gibt zu verstehen: „Ne Leute, bleibt bei mir. Ich weiß, das ist ein heikles Thema, dieser Vergleich mit Mord und Ehrlichkeit, aber jemanden gut anlügen ist auch ein Frage des Respekts!“ Unverhofft kommt oft, dieser Grundsatz scheint wie maßgeschneidert für Reiners’ Humor. Seine Pointen sind variantenreich – mal wirkt der lang erklärte Witz ulkig, mal kommt die Pointe so schnell herausgeschossen, dass er anschließend bewusst übertriebene Gestik und Mimik statt Worte sprechen lässt. Alle sollten schließlich genug Zeit zum Nachdenken haben und ihm folgen können. Trotzdem ist spürbar, dass nach einigen Gedankenspielereien über den Philosophen Voltaire die Konzentration schwindet – Pause.
Reiners schafft es auch in der zweiten Hälfte, in jeder Nummer alles und jeden auf den Arm zu nehmen und vergisst dabei nie sich selbst. Immer wieder gewährt er Einblicke in sein Selbst, das er als „eigentlich grummelig und gar nicht lieb“ charakterisiert. Er sei ganz oft schlecht drauf, nur sein Äußeres würde das gar nicht zu verstehen geben. Er spannt wieder den Bogen zu seinem Thema dieses Programms: Was ist eigentlich Erwachsen werden? Till Reiners reflektiert über seine Schwächen (ständig verliert er Dinge), darüber, in welche unangenehmen Situationen ihn seine Bekanntheit privat manchmal bringt und wie unglamourös und unlustig ein Telefonat mit seinem Manager über das neue Programm sein kann. Jetzt wird auch klar: Der Titel „Flamingos am Kotti“ ist dem gebürtigen Duisburger quasi zugeflogen, als er sich (wieder mal) in eine Lüge verstrickt hatte. Ein Bekannter ertappte ihn am Kottbusser Tor in Berlin, obwohl er doch eigentlich ganz weit weg im Urlaub, bei den Flamingos, sein sollte.
„Wollen wir darüber reden?“, lautet Reiners nächste Frage. Er hat sich die unangenehmen Themen für den zweiten Teil des Abends aufgespart, etwa Corona und Klimawandel. Obwohl die Stimmung im Saal nicht mehr so euphorisch und der Applaus nicht mehr so frenetisch ausfällt, entlockt er seinem Publikum aus drei Generationen immer wieder ein Lachen. Es wird es ruhiger im Saal, wenn Reiners seinen schauspielerischen Ausdruck als infantiler Corona-Leugner zum Besten bringt. Danach bekommt er großen Applaus für seine Feststellung: „Ich finde es toll, dass die gegen Diktatur sind. Da hat sich Deutschland gemausert“, sagt er ironisch.
Wenn alle Parteien aus dem Bundestag eine große Party gefeiert hätten, wie ginge das Aufräumen wohl vonstatten? Reiners erklärt mit Bezügen zur Jugend, wie der Klimawandel im Moment von der Politik in Angriff genommen werde – oder eben auch nicht. Mit seiner Zugabe über Männer, die sich beim James-Bond-Gucken besonders männlich fühlen, entlässt der Satiriker am späten Abend vor allem die Frauen mit einem Lachen in ihren Gesichtern.