Hamburg. Politische Expertinnen erhalten zahlreiche Hassnachrichten. Kann daraus etwas Gutes entstehen? Beim Schauspielhaus-Abend schon.
Die Projektion der ukrainischen Flagge, darauf das Gesicht einer Frau, die sich die Augen zuhält. Im Schauspielhaus, wo diese Kombination den Bühnenhintergrund ausmacht, soll es jedoch nicht darum gehen, die Augen zu verschließen.
Es soll vielmehr hingeschaut werden: auf den Hass, dem Expertinnen im Kontext des Krieges ausgesetzt sind. „Gut das du russenhassende Emanze wieder deinen Kriegshetzsenf dazu gibst“, so lautet der deutliche Titel des Abends.
Abend im Schauspielhaus: Zeichen gegen Hass setzen
Man wolle hier „ein Zeichen gegen Hass setzen und die negative Energie auch noch in etwas Gutes umwandeln“, verspricht „Zeit“-Redakteur Jörg Lau, der den Abend moderiert. Das soll, passend zum Theater, in einer Katharsis geschehen, die Konfrontation folgt sogleich. Ensemblemitglieder lesen aus Pöbelnachrichten, die verschiedene Expertinnen erhalten haben. Sie sind ebenfalls anwesend auf dem Podium; was die Gäste verbindet, ist ihre öffentliche Sichtbarkeit in Bezug auf den Ukraine-Konflikt.
Manche der Nachrichten sind unangenehm, aber im Vergleich harmlos – wenn jemand eine Date-Anfrage schickt zum Beispiel, Bild im Anhang. Im Parkett wird an dieser Stelle verlegen gelacht. Schnell wird jedoch deutlich, dass es sich bei den Beiträgen vor allem um misogyne Kommentare handelt. Abzielend auf das Aussehen, die Stimme oder die Rolle der Wissenschaftlerinnen als Mutter. Ein User fragt: „Wer ist denn diese durchgeknallte und hysterische Frau?“, ein anderer fordert: „Solche Frauen sofort zurück an den Herd!“ Unter den Nachrichten finden sich schwere Beleidigungen und Drohungen bis hin zu Vergewaltigungsfantasien.
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Man merkt dem Publikum an, dass der Umgang damit kein einfacher ist: Das anfänglich verschämte Kichern wird von lautem Lachen abgelöst und mündet in einer betroffenen Stille. Die Texte werden mit der nötigen Trockenheit und mitsamt allen Rechtschreib- und Grammatikfehlern vorgelesen – davon gibt es reichlich.
Hassnachrichten: Frauenfeindlichkeit ist für Betroffene besonders verletzend
Die Kommentarschreiber widersprechen sich häufig, sie wirken nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich überfordert. Darüber gemeinsam zu lachen tue gut, findet die Politikwissenschaftlerin Ljudmyla Melnyk vom Institut für Europäische Politik. Sitze sie allein vor dem Computer, sei das nicht so einfach. Auch Carlo Masala, Professor für Internationale Politik in München, erhält Hassnachrichten – als Mann aber „eben keinen sexistischen Scheißdreck, das ist der Unterschied“, sagt er unmissverständlich.
Vor allem die Frauenfeindlichkeit sei verletzend, „dass man hysterisch oder überemotional sei“, erklärt Jana Puglierin, die das Berliner Büro des European Council on Foreign Relations leitet. Mit solchen Angriffen an die Öffentlichkeit zu gehen sei nicht leicht, betont Lau. Immer schwinge die Angst mit, die Situation dadurch zu verschlimmern. Der Abend wirkt vor diesem Hintergrund auch wie ein Akt der Selbstermächtigung: „Wir sind Betroffene, aber keine Opfer“, stellt die Politikwissenschaftlerin Sabine Fischer klar.
Gutes wird an diesem Abend nicht nur auf der Bühne getan: Die Einnahmen der Veranstaltung gehen an die ukrainische Organisation Women’s March, die sich für ukrainische Frauen einsetzt.