Hamburg. Die in der Hamburger Ausstellung gezeigten Werke basieren auf Geschichten von Obdachlosen. Auch die Orte sind besonders.

Es ist kalt, und ein leichter Nieselregen fällt: Hamburg im Februar eben. Immerhin: Die S-Bahn-Unterführung in Hammerbrook schützt gegen das Nass. Die Menschen. Und die Kunst. Das ist wichtig, weil hier anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Obdachlosenzeitung „Hinz & Kunzt“ in Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle die „Homeless Gallery“ ausstellt. Ein passender Ort, findet Jörn Sturm, Geschäftsführer von „Hinz & Kunzt“: „Die Künstler haben auf der Straße gelebt, deswegen muss die Ausstellung auch hier stattfinden“.

Das Besondere: Sämtlich hier gezeigten Kunstwerke sind mithilfe der künstlichen Intelligenz „neuroflash“ am Computer entstanden und basieren auf Interviews mit den Obdachlosen. In ihnen ging es um die Vergangenheit der Beteiligten, ihren Weg in die Obdachlosigkeit, aber auch um die Gegenwart. Die Intimität der Geschichten sieht man den 30 ausgestellten Werken an: Tod, Sucht, auch Freundschaft und Überlebenswille spiegeln sich thematisch in den Bildern. Die KI hat dabei sehr unterschiedlich gearbeitet: Zum Teil sind die Arbeiten bunt, fast expressionistisch, dann wieder comicartig und auch realistisch. Es finden sich abstrakte Arbeiten, die nur erahnen lassen, welche Geschichte sich dahinter verbirgt, dann wieder ist die Symbolik sehr eindeutig.

Homeless Gallery: „Das hat die Maschine nach meiner Geschichte ausgespuckt.“

„Da werde ich gerade aufgehängt“, sagt der ehemalige Obdachlose Gerrit Keitel und weist auf das Werk „Meine Insel“, das in diesem Moment an die Wand kommt. Es zeigt das surreale Ensemble eines Hafens und eine darüber schwebende ab­strakte Welt: „Ich hatte kein LSD genommen, als das entstanden ist“ fügt er vorsichtshalber hinzu. „Das hat die Maschine nach meiner Geschichte einfach so ausgespuckt.“

Ein anderes Bild zeigt ein Zelt mitten in einem Sturm: „Eine stürmische Nacht“. Erzählt wird hier die Geschichte von Peter Konken. Er habe damals mit dem Gedanken gespielt, in die Elbe zu springen, berichtet dieser. Aber jetzt gehe es ihm besser, und er habe seit längerer Zeit eine Wohnung. Stürmische Nächte verbringt er nur noch im Wohnwagen an der Ostsee, seinem festen Zuhause im Sommer.

Für die künstlerischen Expertisen war vor allem die Kunsthalle zuständig

Auf einem Interview mit Reiner Rümcke basiert das Werk „Rote Karte, Totenkopf“, auf dem ein Skelett eine rote Karte zeigt. „Das steht zum einen für St. Pauli, aber auch für die ganzen Obdachlosen, die gestorben sind. Eine rote Karte für die Politiker, damit die mal was tun.“ Zuerst sei die Karte gelb gewesen, das habe aber nicht gepasst, sagt Rümcke. „Es sind einfach zu viele, die sterben.“

Für die künstlerischen Expertisen war vor allem die Kunsthalle als Partner zuständig, erklärt Jörn Sturm. Ob das nun Kunst ist oder nicht, darauf hat Alexander Klar, Direktor der Hamburger Kunsthalle, eine eindeutige Antwort: „Ja, das ist es.“ Wer „die Nähe von Kunst und Gesellschaft ernst nimmt, kommt auch an Obdachlosigkeit nicht vorbei. Die findet auch vor unserer Tür statt“, sagt er. Die technische Umsetzung sei geglückt: „Kunst ist individuell, und ich hatte die Sorge, dass das verloren geht. Mein Lob an die KI: Sie wollte nicht einfach nur wie Picasso malen“.

In einem Film am Ende der Präsentation kommen einige der Beteiligten zu Wort

Bei den Werken geht es vor allem darum, die einzelnen Geschichten der Betroffenen zu erzählen und dadurch Sichtbarkeit zu erzeugen. „,Hinz & Kunzt‘ hat es immer wieder geschafft, mit kreativen Ideen auf Obdachlosigkeit hinzuweisen“, sagt Jörn Sturm. „Früher war es der Pinsel, und heute ist es eben die KI, mit der die Menschen ihre Gefühle ausdrücken.“

Am Ende der Präsentation wird dann noch ein Film gezeigt, der einige der Beteiligten zu Wort kommen lässt. Es ist eine Besonderheit des Projektes, dass Betroffene selbst die Möglichkeit haben, ihre Geschichte zu erzählen. So sind sie es selbst, die sich Sichtbarkeit verschaffen und nicht andere, die über sie sprechen.

Homeless Gallery: Ausstellung wird an verschiedenen Hamburger Orten präsent sein

Die „Homeless Gallery“ hat selbst in gewissem Sinne kein festes Zuhause und wird an verschiedenen Orten in Hamburg präsent sein. Dort, wo die Obdachlosigkeit Alltag ist und stattfindet: draußen. Dabei stehen die Kunstwerke zum Verkauf, der Erlös geht an „Hinz & Kunzt“.

Bevor es an diesem kühlen Vormittag eine warme Suppe gibt, setzt Jörn Sturm noch einen politischen Appell an den Hamburger Senat und das EU-Parlament ab: „Haltet euer Versprechen ein und sorgt dafür, dass es Obdachlosigkeit bis 2030 nicht mehr gibt.“

„Homeless Gallery“ homeless-gallery.com