Hamburg. Sängerin kam mit dem Ensemble Resonanz in den Kleinen Saal der Elbphilharmonie in Hamburg. Ein sehr besonderes Hörerlebnis.
Ihre Stimme schnarrt und schnalzt kaum hörbar. Sie schnellt kurz lautstark in die Höhe. Sie jault und klagt gedehnt. Sie pfeift und trällert irritierend schön. Und sie sinkt herab in die Tiefe. Als wolle sie die Abgründe von Traurigkeit ermessen. Sofia Jernberg schlicht als Sängerin zu bezeichnen, wäre viel zu reduziert. Sie ist grenzgängerische Vokalkünstlerin, menschliches Instrument oder vielmehr ein klanglicher Seismograph für all die kaum wahrnehmbaren Zwischentöne, die unsere diffizilen und extremen Emotionen ausmachen.
Und mit diesem Gespür sorgte die in Vietnam sowie Schweden aufgewachsene Musikerin für ein sehr besonderes Hörerlebnis im Kleinen Saal der Elbphilharmonie. Das Ensemble Resonanz präsentierte gemeinsam mit Jernberg „hymns & laments“ aus Asien, Afrika, Amerika und Europa. Also Lobpreis und Leid, die musikalisch ins kollektive Gedächtnis geträufelt sind, wie es Ensemble-Chef Tobias Rempe im Programmheft anschaulich formulierte. In den Bearbeitungen verschiedener Komponisten verbanden sich da geistliche Musik und Oper, Jazz und Improvisation zu einem fein- wie eigensinnigen Konzertabend.
Jernberg in der Elbphilharmonie: Sängerin erkundet Historie ihres Geburtslandes
In „Tuning Adwa“ erkundet Jernberg die Historie ihres Geburtslandes Äthiopien und spürt klanglich der Schlacht nach, mit der ihre Landsleute im Jahr 1896 den Kolonialisierungsversuch Italiens abwehrten. Mit fließender Kraft feiert sie im Gesang diese Geschichte. Doch das beunruhigende Kratzen und Klopfen der Streicher verweist auch auf die schwer zu fassenden Gräuel des Krieges.
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Wie ein Nebel steigt wiederum in „Come Sunday“ Jernbergs sphärischer Gesang auf, im Dialog mit Arrangeur Peter Evans an der Trompete. Wirklich berührend, mit welcher Empathie das Ensemble das Inwendige und Melancholische bis in minimalste Nuancen auslotet. Und ein hübscher Dreh ist es auch, dass die Streicher Zygmunt Krauzes „Aus aller Welt Stammende“ nach der Pause auf der Balustrade hoch unter dem Saaldach anstimmen.
Jernberg-Konzert in Hamburg hallt inspirierend nach
Den Jazzstandard „Lush Life“ entblättert Jernberg derart wahrhaftig, bis die Einsamkeit einen blank durchdringt. Das traditionelle norwegische Lied „Salme / Skygge“ weht wiederum hymnisch und hell ins Herz. Und zum Finale erforscht Cellistin Okkyung Lee in „Manghyang“ den Zustand, sich nirgendwo zugehörig zu fühlen. Dabei entfesselt das Ensemble mit Jernberg noch einmal die gesamte Bandbreite von spannungsgeladener Transparenz bis hin zu befreiender Vielstimmigkeit. Ein Konzert, das inspirierend nachhallt.