Hamburg. Rabih Mroué verwandelt Persönliches und die Geschichte seiner Heimat in Mixed-Media-Kunst – zu sehen in der Sfeir-Semler Gallery.

„Forgetting wins over remembering, I must get used to this idea“ steht in roten Buchstaben an der weißen Wand der Galerie geschrieben. Dass das Vergessen über die Erinnerung siegt, dagegen will sich Rabih Mroué offensichtlich zur Wehr setzen. Und zwar mit den Mitteln der Kunst. Mroué, der 1967 in Beirut geboren wurde, ist als Theaterregisseur, Schauspieler, Dramaturg und bildender Künstler seit über drei Jahrzehnten tätig.

Seine Werke verbinden auf feinsinnige Weise persönliche Erfahrungen mit politischer Geschichte. Neben intimen Erlebnissen aus dem eigenen Leben thematisiert er die politischen Konflikte des Libanons, die Syrische Revolution und die Nachwirkungen des Arabischen Frühlings. Gerade hat in der Sfeir-Semler Gallery auf der Fleetinsel seine Ausstellung „My life always comes back to me as a lame dog“ eröffnet.

Ein bekanntes Wohnhaus in Beirut – mit erschütternder Geschichte

Um seinen Werken Ausdruck zu verleihen, verwendet Mroué unterschiedliche Medien: Neben Zeichnungen und Videoinstallationen arbeitet er mit Collagen und Fotos. Jedes Werk findet so seine eigene Form sich auszudrücken. Der Raum im oberen Stockwerk der auf Konzeptkunst und Minimal Art spezialisierten Galerie ergibt zusammen mit seinen meterlangen Holzdielen, den grellen LED-Röhren an der Decke sowie den Werken von Rabih Mroué ein eindrucksvolles Ensemble.

Es ist jedoch nicht nur die Räumlichkeit, die zu den Kunstwerken passt. Auch der Künstler und die Galeristin, die neben dem Standort in Hamburg eine Galerie in Beirut betreibt und sich insbesondere für die Schnittstelle von zeitgenössischer Kunst aus dem Westen und Mittleren
Osten interessiert, harmonieren augenscheinlich miteinander. Andrée Sfeir-Semler sagt dazu: „Meine Künstler und ich sind wie eine Familie.“ Mit Mroué verbindet sie eine lange Zusammenarbeit seit 2005 und ihre Heimat, der Libanon.

Wie der Künstler Persönliches mit Politischem verknüpft, zeigt das Werk „Gru­yere“ (2022), das ein bekanntes Wohnhaus in Beirut abbildet. So berühmt, dass es mittlerweile als Reproduktion auf Kaffeetassen und Mousepads gedruckt wurde. Zu sehen sind nur die einzelnen Balkone der Frontseite. Gardinen und trocknende Wäsche symbolisieren die anonymen Wohnungen. Ein Schriftzug erläutert, welche erschütternde Geschichte sich hier ereignet hat: 1987 wurde Hussein Mroué, der Großvater des Künstlers, in einem der Apartments von zwei bewaffneten Männern ermordet. „Er war Philosoph und Marxist“, erzählt Rabih Mroué. Als Mitglied der LPC (Libanese Communist Party) während des Bürgerkriegs war er wohl mehreren Menschen ein Dorn im Auge.

Am Ende des Raumes ragt ein Schornstein von der Decke in den Raum

Die sich daneben befindende Arbeit „Reqa“ (2018) besteht aus nebeneinander aufgereihten Tageszeitungen. Bilder und Schrift sind geschwärzt, nur die arabische Titelbeschreibung zu den abgedruckten Fotos hat der Künstler sichtbar gelassen. Die englische Übersetzung lässt erahnen, wieso die Bilder geschwärzt wurden, und Sfeir-Semler bestätigt diese Vorahnung: „Die Bilder sind für das Auge einfach zu verletzlich.“ Die Macht der Worte, die die Bilder in unseren Köpfen entstehen lässt, spiele auch eine Rolle.

Dabei zeigt Mroué auf eine der Zeitungen. Die Schwärzung erinnert an den Umriss einer Kirche: „Das könnte auch eine Kirche in Hamburg sein.“ Es ist jedoch eine zerstörte Stadt in Syrien, wie die Bildbeschreibung zeigt. Die Presse spielt in Ländern des politischen Umbruchs als subversives Medium eine entscheidende Rolle. Gleichermaßen kann sie jedoch ebenso von politischer Zensur betroffen sein. Es komme deswegen immer darauf an, „was gezeigt wird und was nicht gezeigt wird“, sagt Mroué.

Am Ende des Raumes ragt ein Schornstein von der Decke in den Raum. Wenn man sich unter ihn stellt und nach oben blickt, sieht man ein Video, gefilmt von einer Drohne, aufgenommen aus der Vogelperspektive, die für den Betrachter nun umgedreht ist. Dazu hat der Künstler den passenden Titel „as if seen by a bird standing on a cow“ (2018) gewählt. Der Blick direkt auf das Fadenkreuz gerichtet, erzeugt den Eindruck, dass der Rezipient die Drohne selbst steuere. Unter Beschuss ist die Stadt Homs in Syrien, wie Mroué erklärt. An dieser Arbeit zeigt sich, wie der Künstler es schafft, die Grenze zwischen beobachtender und teilnehmender Per­spektive zu transzendieren.

Rabih Mroué gewährt Betrachtern intime und emotionale Einblicke

Die Arbeit „Again, we are defeated“ (2021) an der angrenzenden Wand komplementiert das Werk. Aneinandergereiht sind dort kleine Zeichnungen, die menschliche Umrisse zeigen. Ein Beamer wirft sich bewegende Drohnen auf das Ensemble. Es wirkt fast so, als ob beide Arbeiten miteinander verbunden sind und der Betrachter nun den Blickwinkel tauscht, um das Resultat des Drohnenvideos zu sehen: tote Menschen.

Die Werke von Rabih Mroué funktionieren nicht über das moralische Aufzeigen des Richtigen oder Falschen. Vielmehr gewährt er den Betrachtern einen intimen und emotionalen Einblick in den eigenen Reflexionsprozess seines Lebens. Gerade das Zurückgeworfensein auf die eigenen Erinnerungen ist es, was er mit dem Titel der Ausstellung verbindet. Manchmal komme ihm das Leben vor wie ein „lame dog“: Der langsame, verletzte Hund als Sinnbild für das Umherstreifen, die temporäre Orientierungslosigkeit und die Suche nach sich selbst.

„Rabih Mroué. My life always comes back to me as a lame dog“ bis 6.4., Galerie Sfeir-Semler (S Stadthausbrücke), Admiralitätstraße 71, Mo-Fr 11.00-18.00, Sa 11.00-16.00, Eintritt frei, www.sfeir-semler.com