Hamburg. Vom Film zum Theater: Philipp Stölzl hat schon mit Stars wie Madonna und Rammstein gedreht. Jetzt inszeniert er am Schauspielhaus.

Vor wenigen Tagen erst ist sein Vater, der Historiker und Politiker Christoph Stölzl, gestorben. Es gibt viel zu organisieren – und viel zu verarbeiten für den Sohn und den Regisseur Philipp Stölzl, der eigentlich mitten in der Arbeit für eine deutschsprachige Erstaufführung steckt. Es ist seine erste Regie am Deutschen Schauspielhaus, für einige Zeit hat Intendantin Karin Beier ihn bei den Proben vertreten.

An diesem Freitag geht nun die Premiere von „Der lange Schlaf“ des australischen Dramatikers Finegan Kruckemeyer über die Bühne. Dennoch findet Stölzl, in dessen künstlerischer Vergangenheit auch Rammstein, Madonna und Jürgen Flimm eine entscheidende Rolle spielten, in den anstrengenden Endproben noch Zeit für ein Gespräch.

Herr Stölzl, wie geht es Ihnen mit den Endproben zu „Der lange Schlaf“ gerade?

Ach, Endproben sind fast immer anstrengend und von Zweifeln geprägt, so auch hier. Aber das Stück und seine große epische Metapher zur Klimakrise lohnt die Mühe, glaube ich. Es ist eine sehr direkte Fragestellung zur großen Frage unserer Zeit. Das ist aus meiner Sicht ein Chance fürs Theater, die so frontal stellen zu können. Für die Spielenden und die Regie ist der Text allerdings eine Herausforderung.

Er ist von der Sprache her sehr filmisch und arbeitet mit einer ganzen Reihe Erzählstränge, die sich in einem Zeitraum von 20 Jahren rund um den Globus abspielen und nur lose verknüpft sind. Man hat also eine Collage von superkurzen und oft sehr intimen Szenen vor sich, in der die Spielenden ohne jeden Anlauf auf engstem Raum Figuren, ihre Konflikte und Bögen spürbar machen müssen.

Es geht ja darum, dass die Erde zur Rettung ein Jahr lang in ein Klima-Koma versetzt wird. Was halten Sie von der Idee? Sie erinnert ja auch an die Realität im Frühstadium der Pandemie.

Der lange Schlaf ist als märchenhafte Idee und als Metapher zu verstehen. Natürlich kann man, wissenschaftlich gesehen, die Menschheit nicht ein Jahr lang schlafen legen. Aber das Stück stellt die entscheidende Frage: Wie weit werden wir gehen müssen, um als Spezies überhaupt zu überleben? Und können wir uns auf diese radikalen Schritte einigen?

Die Pandemie kann man als eine Art Preview zu dieser Fragestellung sehen. Auch da haben sich in der Reaktion auf diese globale Herausforderung sofort lauter ethische und moralische Fragen gestellt und tiefste Gräben zwischen den Menschen aufgetan.

Es handelt sich ja beim langen Schlaf nicht um eine demokratische Entscheidung. Was ist mit der persönlichen Freiheit des Einzelnen? Braucht man etwa eine Diktatur, um als Menschheit zu überleben?

Dieser Dornröschenschlaf, in der die Welt sich von unserer Zerstörung erholen soll, ist auf den ersten Blick ein fast religiöses Heilsversprechen. Aber wenn man eine Vollnarkose für die Menschheit in die Atmosphäre pumpt, auch wenn ein Viertel der Menschheit gar nicht mitmachen will, ist das ein unfassbar autoritärer, diktatorischer Akt.

Hier wirft das Stück die Frage zwischen dem Wert von individueller Freiheit und dem Wert unseres Fortbestands als Menschheit auf. Die Antwort muss sich der Zuschauer selber geben, der Text lässt offen, ob wir hier eine Utopie oder eine Dystopie sehen.

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  • Es fallen ja nicht alle in den Schlaf und es gibt zwei Figuren die wach bleiben, weil sie künstliche Lungen haben.

    Ja. Das ist ein Coup des Autors in der Mitte der Geschichte. Zwei bleiben wach, ein Mann, eine Frau, sie streifen alleine und seelisch verwildert durch die schlafende Welt, treffen sich und werden so ein Art Adam und Eva, die ersten oder eben die letzten Menschen. Auf poetische Weise stellt sich hier die radikale Frage, ob die Welt ohne den Lärm und die Zerstörungswut der Menschen nicht eine Schönere wäre. Wäre es vielleicht besser, dass wir wieder Jäger und Sammler werden, die im Einklang mit dem Rest der Natur leben?

    Es gibt viel Personal und viele Schauplätze. Wie setzen Sie das um? Sie sehen sich ja als einen klassisch erzählenden Regisseur.

    Der erste und der dritte Akt erfordern ein filmisches Erzählen, da wechseln die Schauplätze sich sehr schnell ab, es ist ein narratives Uhrwerk, in dem man die Figuren und vor allem den Plot eng führen und auch ganz klassisch bedienen muss, damit man die Geschichte überhaupt versteht und die einzelne Puzzlestücke im Kopf zusammenfügen kann. Der Mittelakt mit seiner poetischen Setzung lässt mehr theatralische Freiheit zu.

    Sie kommen ursprünglich vom Bühnenbild. Was haben Sie als Assistent bei Jürgen Rose gelernt? Die Hamburger kennen ihn von vielen John-Neumeier-Produktionen.

    Ich bin nach dem Abitur direkt zum Theater gegangen und habe bei ihm als Assistent gelernt. Er war ein ziemlich strenger, fordernder Chef, aber vor allem ein großer Künstler, mit jeder Faser ein Theatertier. Seine Detailversessenheit und seine unglaubliche Leidenschaft für jede einzelne Produktion sind mir bis heute Vorbild, es geht ihm einfach immer um alles. Mich wundert überhaupt nicht, dass er jetzt, im hohen Alter, immer noch vital am Start ist.

    Sie haben sich nach einer Zeit als Bühnenbildner mit dem Regisseur Armin Petras erst einmal dem Film zugewandt. Hat Sie das Theater nicht mehr interessiert?

    Als ich mit Armin Petras in den 90igern durch die neuen Bundesländer gezogen bin, war ich gerade mal Mitte Zwanzig. Ich dachte einfach irgendwann, dass es für mich künstlerisch im Leben noch mehr zu entdecken gibt. Dann bin ich an die Musikvideos geraten, in denen damals viel Energie, Geld und auch Kunstmöglichkeit steckte.

    Es ging danach weiter mit Filmarbeit, kurz in der Werbung, dann kamen die Kinofilme. Irgendwann rief mich ein befreundeter Regisseur an, Sebastian Baumgarten, und sagte: Mach doch mal eine Oper bei uns in Meiningen. Das hab ich dann gemacht und es war gleich sehr schön.

    Jürgen Flimm schaute in der Provinz vorbei und hat mich direkt für die Ruhrtriennale und die Salzburger Festspiele engagiert. Was für ein Glück. Jürgen ist dann in den Jahren danach so etwas wie eine künstlerische Vaterfigur für mich geworden.

    Mit dem Musikvideo zu Rammsteins „Du hast“ haben Sie 1997 einen frühen Klassiker des Genres kreiert. Was war daran neu und warum hat es Sie gereizt?

    Das ist Ende der 1990er und Anfang der 2000er-Jahre eine Phase in meinem Leben gewesen. Es war eine unglaubliche Zeit, in der man permanent noch um die ganze Welt geflogen ist. Ich hatte das Glück, dass der Rammstein-Song in den USA ein Hit wurde, das hat mir den internationalen Markt aufgesperrt.

    Sie haben mit vielen Stars gearbeitet. Wer war am meisten Profi: Madonna? Mick Jagger? Oder eben Rammstein?

    Alles spannende Begegnungen auf die eine oder andere Weise. Mick Jagger hat mich sehr begeistert. Man denkt immer, das ist ein wilder Typ, aber er ist eigentlich mehr ein „Sir“, ein netter, höflicher, gebildeter Mensch mit einer großen Aura.

    Was interessiert Sie am Theatermachen heute wieder im Vergleich zur Oper oder einem Filmdreh?

    Der Raum, den die Arbeit mit dem Schauspieler im Rahmen eines Filmdrehs hat, ist einfach sehr limitiert. Da geht es um viele andere Dinge. Auf den Theaterproben ist dafür ungleich mehr Platz und Zeit. Das Eintauchen in die Figuren und ihre Seelenzustände ist im besten Falle ein schöner und intensiver Prozess, der immer auch eine psychotherapeutische Note hat.

    Deswegen freu ich mich, wenn ich neben meiner Filmarbeit immer wieder auch am Theater arbeiten kann. Ich habe in den letzten Jahren gemeinsam mit dem Hamburger Schriftsteller Jan Dvorak eine Reihe von eigenen Stücken entwickelt und aufgeführt, die Arbeit mit „fremden“ Texten geht für mich gerade erst los.

    „Der lange Schlaf“ Premiere 20.1., 19.30 Uhr, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de