Berlin. Der Schauspieler spricht über seinen neuen Film „Oskars Kleid“, Jungs in Kleidern und seine neue Rolle als Vater.
Stell dir vor, dein Sohn möchte plötzlich ein Mädchen sein und im Kleid in die Schule gehen. Das ist die Ausgangssituation von dem neuen Film „Oskars Kleid“, der am Donnerstag in die Kinos kommt.
Florian David Fitz spielt darin nicht nur den Vater, der mit dieser Situation heillos überfordert ist, der Schauspieler hat auch das Drehbuch geschrieben. Das Thema treibt ihn um. Dafür ist der Münchner auch nach Berlin gekommen. Wir haben ihn im Hotel Das Stue getroffen und auch zu seiner eigenen Vaterschaft befragt.
Hamburger Abendblatt: Herr Fitz, wie kamen Sie auf die Idee zu „Oskars Kleid“? Wurden Sie auch inspiriert, weil Sie inzwischen selber Vater sind?
Florian David Fitz: Nicht wirklich, das Drehbuch habe ich geschrieben, als ich noch gar nicht Vater war. Die Idee ist schon Jahre alt. Witzigerweise verdanke ich den Stoff eigentlich Alice Schwarzer. Ich saß mit ihr in einer Talkshow, und danach hatten wir einen sehr schönen Abend mit einem sehr billigen Wein. Später hat sie mir dann ein Care-Paket zukommen lassen mit ihrer Autobiografie und der „Emma“. Ich habe zum Einstieg mit der „Emma“ begonnen, und da stieß ich auf ein Foto, an dem ich hängen blieb. Und ich dachte sofort, das wäre ein tolles Ende für einen Film. Ich habe die Geschichte dazu dann gar nicht erst gelesen, ich wollte mir selber ausdenken, wie es dazu kam. Ich habe das Alice später erzählt. Sie hat aber inzwischen eine etwas kontroverse Position zu diesem Thema, das finde ich schade. Da hätte ich mir nach all ihren Kämpfen mehr Verständnis erhofft.
Der Film kommt damit genau zur rechten Zeit, in der über Gender und Geschlechteridentitäten heftig diskutiert wird.
Fitz: Dabei habe ich vor sechs oder sieben Jahren zu schreiben begonnen. Da war das Thema zwar auch schon da, aber es war noch nicht so ein heißes Eisen wie jetzt. Und gedreht haben wir ihn auch schon vor zwei Jahren. Der erste Lockdown hat unseren Dreh verschoben, er sollte dann Weihnachten letzten Jahres rauskommen, aber da waren die Kinos noch zu. Deshalb haben wir jetzt so lange gewartet, weil es uns wichtig war, dass er Weihnachten kommt. Da hatten wir dann eher schon die Angst: Was tun, wenn das Thema bereits durch ist. Dem war nicht so. (lacht)
Einmal fällt im Film der Satz: „Trans ist die neue Magersucht“. Ist die Transgender-Debatte eine Modeerscheinung?
Fitz: Hm. Jetzt muss man differenzieren. Und das ist ja momentan nicht so in Mode. Ja, das Thema ist neuerdings in aller Munde. Ja, es gibt vielleicht einen gewissen Nachahmer-Effekt, vor allem bei jungen Mädchen, die vielleicht gar nicht trans sind. Aber das ändert doch nichts an der Tatsache, dass es Transkinder und -menschen gibt. Und da ist es schon schön, wenn das nun endlich enttabuisiert wird. Im Kern ist es doch ganz einfach: Darf ein Mensch autonom über seinen Körper entscheiden? Ich glaube, das nimmt jeder gern für sich selber in Anspruch.
Sehen Sie den Film als Beitrag zur Debatte?
Fitz: Dass das bei Kindern für die Eltern sofort zu riesigen Dilemmata führt, darum geht es auch in unserem Film. Was ich aber mit Sorge betrachte: Früher wurde bei dem Thema von der rechten Seite gepoltert. Aber plötzlich ideologisiert sich auch die Linke. Und die eine Seite füttert ja die andere, die Rechte freut sich doch über jedes Gendersternchen, das sie ihrem Publikum zum Fraß vorwerfen kann. Ich verstehe, dass das Thema sensibel ist. Aber es wird gerade mit einem Furor betrieben, der eher symptomatisch für unser digitales Zeitalter ist, als für die Sache selber.
Sie spielen den Vater, der mit der Entscheidung seines Sohns überhaupt nicht zurechtkommt. Die größtmögliche Provokation?
Fitz: Das hat einen einfachen dramaturgischen Grund: Es wäre total langweilig, jemandem zuzuschauen, der bekehrt ist. Und ich will ja schon, dass sich Menschen dafür interessieren. Da ist es viel spannender, wenn jemand erst mal gar nicht mit der Situation umgehen kann. Darin liegt auch komödiantisches Potenzial. Und die Fallhöhe hilft, dass es, wenn es wehtut, richtig wehtut. Es hilft aber auch, die Leute an die Hand zu nehmen und an das Thema ranzuführen. Ich will nicht mit dem moralischen Zeigefinger kommen. Den habe ich im Übrigen nicht, der steht mir auch nicht zu. Und wenn andere mit dem Zeigefinger kommen, werde ich sofort misstrauisch. Mir geht es nicht darum, Antworten zu geben. Ich will nur Fragen stellen.
Eine Frage, die Ihnen in Verbindung mit diesem Film vermutlich jeder stellt …
Fitz: Da bin ich jetzt gespannt ...
Haben Sie als Kind denn selbst mal ein Kleid getragen?
Fitz: Nee, die Frage hat noch keiner gestellt! (lacht) Na klar, als Kind habe ich ganz oft Kleider getragen. Das war ja das Schönste, auf dem Speicher meiner Eltern mit meiner Schwester oder anderen Kindern Verkleiden spielen. Da haben wir alles Mögliche getragen, Frack und Zylinder, Kleid, alles, für ein Kind macht das keinen Unterschied. Da gibt es ja noch nicht diese Vorbehalte. Meine Eltern waren da ganz entspannt. Es gibt sogar Heimvideos, wie ich in Kleidern rumtanze. Ich kann mir schon vorstellen, dass meinem Vater, der sehr traditionell war, dabei manchmal der Eierlikör im Glas geronnen ist.
Wie würden Sie denn jetzt, da Sie selber Vater sind, darauf reagieren, wenn Ihr Sohn ein Kleid tragen möchte?
Fitz: Diese Frage kam tatsächlich schon. Meine Reaktion ist vermutlich nicht so interessant wie die von meiner Filmfigur. Weil ich mich für informierter halte. Aber das Dilemma bleibt wohl dasselbe: Du willst das Richtige für dein Kind machen. Und das mach mal! Und darum geht es ja auch im Film: Alle wollen das Beste. Und trotzdem gibt es da sehr unterschiedliche Wege.
Es geht im Film erst mal um das große Thema Transgender, aber dann auch ganz allgemein um den Wunsch, so angenommen zu werden, wie man will?
Fitz: Genau. Am Ende ist es eine ganz allgemeingültige Geschichte. Ich suche ja in all meinen Filmen immer das Menschliche. Etwa in „Vincent will meer“, wo ich einen jungen Mann mit Tourette-Syndrom gespielt habe. In „Oskars Kleid“ geht es zwar um Transgender, aber letztlich auch einfach darum, ein Außenseiter zu sein. Egal, ob das wegen Hautfarbe, Geschlecht oder Behinderung ist. Und ich glaube, das ist etwas, das die meisten von uns kennen und in dem man sich wiederfindet: nicht dazuzugehören, nicht akzeptiert zu werden.
Wenn das Drehbuch schon entstand, bevor Sie Vater wurden – haben Sie beim Drehen noch mal neue Wahrheiten erkannt, die Sie beim Schreiben noch nicht ahnten?
Fitz: Nein. Es ist ja auch nicht die erste Vater-Rolle, die ich geschrieben habe. Da hatte ich auch schon kompliziertere Rollen. Klar veränderst du dich, wenn du Kinder hast. Aber das geht eher in die Richtung, dass du dir gewisse Sachen nicht mehr anschauen kannst. Gewisse Dinge packt man nicht mehr, du bist näher am Wasser gebaut – solche Sachen. Und Kinder berühren einen natürlich anders.
Ich muss jetzt eine Frage stellen, die sonst nur Frauen zu hören kriegen und die sie dann auch mit Recht kritisieren …
Fitz: Oh, ich weiß: Wie können Sie Beruf und Familie zusammenbringen?
Genau. Wenn Sie drehen, sind Sie ja manchmal wochenlang nicht zu Hause.
Fitz: Ich habe gerade für Netflix lange gedreht. Da war die Bedingung: Ich drehe nur in München. Und ich möchte erst 8.30 Uhr abgeholt werden, damit ich die Kinder noch zur Kita bringen kann. Und natürlich habe ich Hilfe, die ganze Familie steht hinter mir. Und: Ich mache keine Regie.
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Das fällt sofort auf: Das hätten Sie sonst auch noch gleich mit übernommen.
Fitz: Selber schreiben, Regie führen, den Film rausbringen und noch andere Filme drehen – da wäre ich überhaupt nicht mehr zu Hause. Regie werde ich auf absehbare Zeit nicht mehr machen können. Weil ich einfach die Zeit brauche. Und weil ich das auch möchte. Regie hat mir immer großen Spaß gemacht. Aber dann mache ich das halt später. Das läuft mir nicht davon.
„Oskars Kleid“ läuft von Donnerstag an in vielen Hamburger Kinos. Der Schauspieler Gustav Peter Wöhler, der ebenfalls mitspielt, ist am Freitag, 23.12., 20 Uhr, zu Gast im Zeise