Hamburg. Der Hamburger Tenor über seine Karriere und eine Kaffeemaschine, seine Operette „Hopfen und Malz“ und das Thema Heimat.

Einen weißen Tenorschal hat Daniel Behle nicht. Aber mit den klassischen Tenor-Klischees hat er es eh nicht so, sicher auch, weil er zunächst keiner war. Der gebürtige Hamburger hat Posaune, Schulmusik und Komposition studiert und erst mit 22 den Tenor in sich entdeckt. Inzwischen singt er an vielen ersten Adressen und von Léhar bis Ligeti. Demnächst gastiert der Wahl-Schweizer mit seinem „Heimat“-Programm in der Elbphilharmonie.

Hamburger Abendblatt: Was war die allerallerbeste Empfehlung, die Ihnen Ihre Mutter, die Sopranistin Renate Behle, auf den Berufsweg als Tenor mitgegeben hat?

Daniel Behle: Sich selber zuzuhören, es ist nie verkehrt, wenn man sein eigener strengster Kritiker ist.

Die Mutter Sängerin, der Vater Oboist im NDR-Orchester – bei dem familiären Hintergrund war nie eine Option, Zahnarzt oder wenigstens Anwalt zu werden?

Behle: Das bin ich nicht. Ich habe relativ schnell herausgefunden, was ich bin und was nicht. Bei mir gab es ein langes Suchen. Anfangs habe ich gedacht, es müsste etwas mit Musik sein, weil ich das immer besser konnte als alles andere. Dann habe ich vieles studiert und das sogar alles abgeschlossen. Das Singen, als Familientherapie nach dem frühen Tod meines Vaters, war vielleicht der letzte Rettungsanker, um womöglich auch mal von dem zu leben, was man tut.

„Ich langweile mich schnell“, haben Sie gesagt.

Behle: Weil ich so hoch drehe, kann ich nie lange an einer Stelle bleiben. Fünf Jahre Bayreuther Festspiele, jedes Jahr „Meistersinger“, da war das letzte Jahr schon echt hart. Aber man ist unter Vertrag und muss das auch durchziehen.

Vor dem Singen haben Sie erkannt, dass Sie weder am Klavier noch an der Posaune „der Bringer“ waren und dass auch die Kompositionen „schön ins Mittelfeld abfallen“. Und dann haben Sie versehentlich zuhause gesungen und jemand sagte, das solltest Du öfter tun?

Behle: Nebenfach Schulmusik, die Lehrerin dort war das. Da habe ich immer die Nebenfach-Gesang-Kollegen auf den Arm genommen. Sie meinte, hör auf damit, was du machst, ist gar nicht so schlecht. Meine Mutter hatte einen Lehrauftrag in Graz und als ich keine Lust zum Posaune üben hatte, habe ich ein bisschen gesungen. Das Gis war schön, der Rest nicht so, wir haben zwei Jahre lang die tiefe und die mittlere Lage trainiert. Dann wurde der Tenor James Wagner auf mich aufmerksam und ich habe bei ihm studiert.

Und Ihre Posaune ist nur noch Briefbeschwerer?

Behle: Die rostet so vor sich hin.

Klingt womöglich etwas sonderbar, ist aber gar nicht so gemeint: Was, glauben Sie, ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?

Behle: Ich mache immer mein Ding. Ich habe noch nie etwas für andere gemacht. Jede meiner CDs war für mich: selber bezahlt, das Programm ausgesucht, ums Label gekümmert. Dann kamen nette Kritiken und es hat immer für das nächste Projekt gereicht. Ich bleibe mir treu. Was man in meinem Fach aufnehmen muss, habe ich durch. Also kann ich jetzt die Dinge machen, die etwas anders sind. Jetzt wird es allmählich spannend. Drei Diplome habe ich abgeschlossen, nach denen hat mich nie jemand gefragt, aber ich bin immer noch stolz darauf. Mein Kompositionslehrer meinte, dass ich zwar nicht immer das Schönste schreibe – aber ich werde immer fertig.

Wie viel von so einer Tenor-Karriere ist Arbeit, wie viel Arbeit und wie viel Zufall?

Behle: Man muss zur richtigen Zeit die richtigen Leute kennenlernen. Es hat viel mit Glück zu tun, und mit den richtigen Partien. Ich bin nun mal lyrischer Tenor. Mit Mozart reißt man die Leute nicht so von den Stühlen wie mit einem „Traviata“-Alfredo. Liebe, Tod, Probleme, das kann man immer gut veräußern. Wenn man aber Mozart-Sänger ist und die Tenöre bei ihm nie was auf die Reihe bekommen und immer nur herumjammern, ist es schwierig, damit einen Blumentopf zu gewinnen - beim normalen Publikum. Bei Intendanzen und Theatern ist das eine andere Geschichte. Da habe ich mir einen Ruf erarbeitet, der mich immer wieder an große Häuser bringt. Obwohl: Ich bin 47, habe jetzt auch meinen Lohengrin gesungen, und den Leuten zu verkaufen, dass ich auch ein Super-Lohengrin bin, ist gar nicht so einfach.

Sind die Bayreuther Festspiele inzwischen auch nicht mehr sooo toll?

Behle: Die suchen eben auch. Das Publikum ist sehr konservativ und haben es gern in der Oper so, wie es halt ist. Unsere „Meistersinger“ wurden in der Premiere ausgebuht, dann kamen die Kritiken, alle fanden es großartig und danach haben alle nur noch Bravo gerufen.

Was hat Corona durch die Zwangspausen mit Ihrem Karriere-Timing gemacht?

Behle: Das Einzige, was mich gereut hat, war der Florestan im Hamburger „Fidelio“. Aber weil die Inszenierung mit der Badewanne nicht so toll ist, dachte ich mir: Glück gehabt (lacht). Ich habe einen guten Weg gefunden, den schön zu singen, das hätte ich so gern gezeigt. Darauf muss ich jetzt warten. Ansonsten war ich zuhause und habe meine „Hopfen und Malz“-Operette geschrieben, für die ich sonst drei Jahre mehr gebraucht hätte. Vieles ist ins nächste Jahr gerutscht, ich habe aber auch mehr abgesagt.

Was fällt Ihnen schwerer, das Absagen oder das Zusagen?

Behle: Meine Agentur ist nicht gierig, die ist eher zurückhaltend. Wir machen das langsam. Es dankt einem ja eh niemand. Meine Mutter war die weltgrößte Einspringerin. Diese Einspringerei auf den letzten Drücker zieht so viel Lebensenergie, dass ich mir das abgewöhnt habe. Für „Tannhäuser“ hatte ich ein Vorsingen in Frankfurt. Das war toll, ich mache es aber trotzdem nicht, weil ich das Gefühl habe, erst einen Stolzing und dann den Tannhäuser. Wenn ich das Heldische nicht raffe, habe ich auch keinen Spaß.

Demnächst haben Sie hier Heimspiel, mit dem Programm Ihrer „Heimat“-CD – knapp 40 Lieder aus allen Geschmacksrichtungen und Epochen, vom „Jäger aus Kurpfalz“ über Romantisches, Poetisches und Politisches bis zu „Heimat“ von Johannes Oerding, von einem Hornquartett begleitet; bei der Aufnahme rezitiert Mario Adorf verbindende Texte. Der „Merkur“ lobte, das sei so ziemlich das Intelligenteste, was in diesem Jahr erschienen ist. Was bedeutet für Sie Heimat?

Behle: Wenn wir ganz ehrlich sind, ist Heimat für uns immer Kindheit. Mein Hamburg-Album 2016 war die erste Beschäftigung damit. Dann kam die Zusammenarbeit mit German Hornsound und die Frage: Was machen wir mit dieser Besetzung? Wir waren sehr schnell bei Volksliedern. Der Arrangeur Alexander Krampe, dem ich von dem Projekt erzählte, ist voll drauf abgegangen. Und mit Krenek ging eine Tür auf, dann kamen Eisler, die NS-Zeit, die FDJ-Hymne… Dann wollte ich aber auch den „Erlkönig“ nehmen. Was hat der mit Heimat zu tun? Na ja, der will doch nach Hause. Alexander hat Mario Adorf das Konzept unterbreitet, der fand es ganz toll. Januar 2021, als wir das Album aufnahmen, war noch Corona, er ist dann erst ein Jahr später in München ins Studio gegangen.

Ein Tenor und vier Hörner – da stehe ich innerlich sofort im deutschen Romantik-Wald, tief im Klischee also. Das war aber gar nicht Ihre Absicht?

Behle: Nein. Wir bedienen das mit den Volksliedern nur zu Anfang der CD. Dann ging es über Klassik zu Wagner; danach die Zeit mit der „Flucht“ von Eisler; das „Buchenwaldlied“, das als Lagerhymne geschrieben worden war… Alexander sagte, das singst du allein, danach kannst Du die Hörner wieder bringen.

Ist das noch das x-te Tenor-Album oder ein sehr politisches Album?

Behle: Ich bin Musiker, ich denke immer musikantisch. Es geht erstmal darum, die Schönheit der Musik zu akzeptieren. Wenn ich „Tenor-Album“ schon höre, werde ich immer ganz kribbelig, weil ich an hohe Noten denke und an keine Substanz, die dahintersteckt. Schöne Stimmen gibt’s zuhauf, ich habe genügend Platten gemacht, auf denen ich schöne Töne gesungen habe.

Unterforderung bekommt ihr Publikum mit diesem Programm eher nicht.

Behle: Ich finde, da muss man zweigleisig vorgehen: Beim ersten Eindruck soll man folgen können, es soll einem gefallen. Beim zweiten, dritten Mal aber sollte durch die Substanz der Musik etwas passieren, was beim ersten Mal entgangen ist. Der Mehrwert, dann kommt die größere Freude, die einem ein Pop-Lied vielleicht nicht gibt, weil es im ersten Moment schon alles gibt, was es besitzt. Diese Meta-Ebene muss ich bauen. Das macht für mich gute Musik aus.

Zum Song von Oerding und Ina Müller: Wie kommt man da ran? Mussten Sie vorsingen, vortanzen, einfach anrufen?

Behle: Da wurde die Anfrage ans Label gestellt, am nächsten Tag kam die Antwort: kein Problem, wunderbar. Ich singe Wagner, die Gralserzählung von Lohengrin, und ich singe Pop. Das finde ich cool. Wer macht denn so einen Quatsch?

Wissen Sie noch, was Sie mit der ersten professionellen Gage gemacht haben?

Behle: Eine Kaffeemaschine gekauft für meine Mutter. Das war ein zweiter Preis bei einer Stiftung in Köln, 5000 Euro. Als Dankeschön habe ich ihr diesen Kaffeeautomaten geschenkt.

Wie ist das so mit der Eigenwahrnehmung der Sänger in den unterschiedlichen Stimmfächern?

Behle: Im deutschen Fach sind alle sehr down to earth. Bei Mozart gibt es immer die Hoffnung, dass noch mehr kommt im Leben. Und den Italiener singe ich halt nicht so.

2018 hatten Sie in Bayreuth ein Ödem auf der Stimme, Überanstrengung. Wie groß sind Angst und Verunsicherung in einem solchen Moment. Geht es an die Stimme, geht es ans Eingemachte.

Behle: Es musste wohl mal passieren. Vorher dachte ich, ich sei Superman und könne zwölf Stunden täglich singen. Beim „Tannhäuser“ in den Proben habe ich immer alles ausgesungen, habe nachts meine Ideen für „Hopfen und Malz“ in den Computer gehackt und immer alles mitgesungen, bei offenem Fenster. Da habe ich dann doch etwas Panik bekommen und bin nach München zu einem HNO-Stimmpapst gefahren. Der meinte, alles in Ordnung, Du bist überanstrengt, hast zwar ein Ödem. Aber das ist nicht fest, das bildet sich wieder zurück, wie ein Muskelkater. Das war ein Warnschuss zum richtigen Zeitpunkt. Für mich war das die Erkenntnis, dass Pausen zwischen den Stücken wichtiger sind, als immer zu singen. Nach drei Wochen war das Ding dann auch weg.

Ab welchem Punkt fangen Sie an, einen Dirigenten oder einen Regisseur bei Proben nicht mehr ernst zu nehmen?

Behle: Da hatte ich bislang Glück. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie alle mir immer etwas zu sagen hatten.

Erklären Sie mir die Magie einer Opernaufführung, wenn so ein Abend richtig schnurrt und alles hat, was man möchte, wenn alles funktioniert. Dreht man innerlich durch, weil es so toll ist, oder ist es immer noch Arbeit?

Behle: Nein, so etwas ist schon sehr befriedigend. Meine Erfahrung ist aber leider, dass solche Abende gern an Dienstagen stattfinden, mitten in der Woche, dann sind die im Publikum schon alle müde, die Frau hat den Mann mitgeschleppt. Und da merken sie oft gar nicht, dass wir da oben gerade etwas Krasses abliefern. In Bayreuth war das auch so: Die Premiere ist immer die schlechteste Vorstellung, weil alle noch viel zu aufgeregt sind. Man muss immer in die dritte oder vierte gehen.

Singen Sie für das schwarze Loch vor der Bühne oder singen Sie konkret Menschen an?

Behle: Bei Liederabenden gibt es vielleicht den einen oder die andere, die ganze Zeit in der vierten Reihe lächelnd und sich freut. Für den oder die habe ich da tatsächlich schon mal gesungen. Bei der Opernbühne sehe ich nicht so viel. Manchmal singe ich auch nur für den Dirigenten. Riccardo Minasi beispielsweise, der ist so cool da vorn, der macht so tolle Tempi, dann bin ich mit ihm im Dialog. Schön!

Ein anderes Herzensthema von Ihnen: die Operette „Hopfen und Malz“. Uraufführung im Januar, in Annaberg-Buchholz in Sachsen. Es geht um einen Bierbrau-Wettbewerb und Sie haben praktisch jeden Kalauer mitgenommen, der nicht bei drei auf dem Baum war: „Das Bier aus dem Kloster St. Demenz, jeder mag’s und keiner kennt’s“, der Liebeskummer heißt „Die Wunde von Bernd“, zwei Figuren heißen Senta und Klaus, es gibt den „Bayerischen Holländer“-Gasthof, jemand heißt Flens, Freibier wird in der Wolfsbucht gebraut, „der Flens ist da“… Meine Güte!

Behle: So funktioniert Operette. Ich liebe das ja, das sind so die „Fledermaus“-Gags. Ich bin bei den „Die nackte Kanone“-Filmen: Selbst wenn jemand ein grenzenlos humorloser Mensch ist, hat man wenigstens einen veritablen Krimi gesehen. So soll das bei der Operette eigentlich auch laufen. Meine Geschichte ist etwas an den „Freischütz“ angelehnt, die Musik ist gut. Und der Opernkenner lacht. Die Anspielungen sind zahlreich, aber für das Verständnis nicht notwendig.

Ihre nächste Operette soll sich um Bayreuth drehen, inklusive Gefangenenchor der Kritiker, was ich nicht nett finde…

Behle: … Das ist noch am Werden. Der Kritiker-Chor ist momentan eher der Chor der drogenabhängigen Wagnerianer…

… Sie wollen da offenbar unbedingt nicht mehr engagiert werden…

Behle: … Nein, nein, das ist sehr nett! Der Festspielleiter ist in dem Stück eigentlich der alte Komponist, kann aber seit 300 Jahren nicht sterben, wegen eines Fluchs, bis alle Tenöre tot sind.

Welche Oper finden Sie sterbenslangweilig?

Behle: Die „Zauberflöte“.

Was möchten Sie im nächsten Leben werden – wieder Tenor oder etwas Vernünftiges?

Behle: Musiker.

Wann sind Sie wieder in Hamburg an der Oper zu hören?

Durch Corona etwas vertagt. Aber ich bin dran an dem Thema und hoffe, dass da wieder was kommt.

Konzert: 11.12., 19.30 Uhr, Elbphilharmonie, Kl. Saal. CD: „Heimat“ (Prospero / Note 1, 2 CDs, ca. 30 Euro)