Hamburg. Wolf Schneider war Bestsellerautor, Talkshowmoderator und Chef der Henri-Nannen-Schule. Nun ist er mit 97 Jahren verstorben.

Vermutlich hätte sich niemand von seinen Schülern gewundert, wenn er ewig gelebt hätte. Wolf Schneider hatte etwas Zeitloses an sich, als Sprach-Papst, Vollblut-Journalist, Sachbuch-Autor, ehemaliger Chefredakteur der „Welt“, „Stern“-Verlagsleiter, Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ und von der ersten Sendung 1979 bis 1992 (mit Unterbrechung) Moderator in 97 Sendungen der NDR Talk-Show. In der Nacht zu Freitag ist Schneider mit 97 Jahren in Starnberg gestorben, wie seine Familie mitgeteilt hat.

Wolf Schneider: Langjähriger Leiter der Henri-Nannen-Schule

Doch all seine eindrucksvollen journalistischen Lebensstationen verschwimmen im Nebel angesichts seiner wirklichen Berufung: der des Leiters der Hamburger Journalistenschule von Gruner + Jahr, die 1983, vier Jahre nach ihrer Gründung, zu Ehren des „Stern“-Gründers den Namen Henri-Nannen-Schule erhielt.

Schneider und Nannen waren Weggefährten, aber haben sich nie geschont. „Der Schneider ist zwar ein Arschloch, aber er ist der Einzige, der das kann.“ Das war Nannens Kompliment über den neuen Leiter „seiner“ Schule. Für Schneider waren „wir zwei arrogante Pinsel, die einander respektierten. Er wusste, dass mir diese Position sozusagen auf den Leib geschrieben war.“

Die Hamburger Journalistenschule nahm schließlich im April 1979 die ersten 20 jungen Leute auf, die einen zweitägigen Test bestanden hatten. Regelmäßig bewarben sich rund 1000 Interessenten, 80 wurden nach Sichtung von zwei Probetexten zur Auswahl geladen. Wer die Hürde schaffte, konnte 18 Monate lang das Motto hautnah erleben. Schneiders Credo: „Qualität kommt von Qual.“

Gemischte Gefühle gegenüber Wolf Schneider

Viele Schüler und Weggenossen hegen über Schneider ähnlich widersprüchliche Gefühle wie ein „Stern“-Redakteur der ersten Stunde, der die Hassliebe zu Nannen folgendermaßen in Worte fasste: „Ich möchte ihm von hinten ein Messer ins Herz stoßen, um dann weinend über seiner Leiche zusammenzubrechen.“ Schneider löste solche Gefühle aus.

Er war nicht nur Leiter der Journalistenschule, er w a r die Journalistenschule. Sie war seine Idee, sein „Baby“, wobei er sich jede sentimentale Annäherung verbeten hätte, sie war sein Lebenswerk. Und seine Schüler jederlei Geschlechts – das heute weit verbreitete Gendern war ihm ein Greuel („Gendern ist für Wichtigtuer“) – wurden zu einer Meinung mehr oder weniger gezwungen.

Schneider: „Plaudern beherrsche ich einfach nicht“

Gleichgültigkeit war ihm fremd, er hätte es lieber gesehen, gehasst oder geliebt zu werden. Smalltalk war nie sein Ding, was dazu führte, dass er in der NDR Talkshow als scharfzüngig galt und Hermann Schreiber, viele Jahre lang sein Talkshowpartner, als liebevoll-kuschelige Ergänzung in dieser Runde. „Plaudern beherrsche ich einfach nicht“, sagte er dem „Spiegel“ in einem Gespräch zu seinem 90. Geburtstag. Er habe eine Frau, die das könne. „Sie gleicht meinen Mangel ans Sozialtalent perfekt aus.“

1980: Wolf Schneider im Gespräch mit Showmaster Hans Rosenthal.
1980: Wolf Schneider im Gespräch mit Showmaster Hans Rosenthal. © NDR/Fred Fechtner

Schneider liebte es, zu provozieren und zum Widerspruch herauszufordern. Er hielt seine Meinung, oft scharf formuliert, nicht vornehm zurück. 1944 habe er in Hitler „die letzte Hoffnung gesehen, den Krieg vielleicht doch nicht zu verlieren“. Schneider war damals 19 Jahre alt. Aber wer aus dieser Generation konnte im Rückblick unbefangen über seine Gefühle im Hitlerdeutschland reden? Ob er sich schäme, dazu wusste er allerdings nichts zu sagen. Aber die Nazi-Gräuel hätten ihn zeitlebens geplagt, fügte er noch hinzu.

Schneiders Bücher über die deutsche Sprache

Seine Bücher über die deutsche Sprache gelten als Standardwerke: „Deutsch für Profis“, „Deutsch für Kenner“ oder „Wörter machen Leute“. Er wetterte gegen Anglizismen, Worthülsen und sprachliche Ungenauigkeiten, ein Sprachwissenschaftler ohne Studium, der zum Lehrmeister des Wortes wurde.

Bei den früher regelmäßigen Jahrestreffen der Absolventen stellte sich Schneider gern vor die versammelte Mannschaft und lobte sich selbst, weil er gerade das soundsovielte Sachbuch veröffentlicht hatte. Missliebige legten das als reine Angeberei aus, aber wahrscheinlich hatte der „Meister“ auch hierbei seine Hintergedanken. „Niemals aufgeben“ und „Engagement zeigen“ war das Mantra an seine Zöglinge.

Als Schneider bei Axel Springer rausgeworfen wurde

Dass man auch aus gehobenen Positionen schnell rausfliegen kann, hatte er als von Axel Springer geschasster Chefredakteur der „Welt“ selbst erfahren. Dem war ein Streit über einen Kommentar Schneiders vorausgegangen, der sich kritisch über die Junta in Argentinien geäußert hatte. Noch am Tag seines Rauswurfs habe er abends zu Hause Unterlagen gesichtet, die er zuvor gesammelt hatte, erzählte er mal, der Startschuss für ein neues Buch.

Erst mit 70 gab Schneider die Leitung der Journalistenschule an Ingrid Kolb weiter, aber er unterrichtete noch ab und zu und war Mitgründer der Aktion Lebendiges Deutsch. Insgesamt schrieb er 28 Bücher. Sein letztes Werk „Denkt endlich an die Enkel. Eine letzte Warnung, bevor alles zu spät ist“, erschien 2019, ein ökologischer Weckruf auf 80 Seiten, den viele ihm nicht zugetraut hatten.

„Er konnte uns nerven, gelangweilt er uns nie“

Zum 90. Geburtstag verfassten ehemalige Schüler eine Gedenkschrift über ihren Meister. Einer bekannte: „Er konnte uns nerven, gelangweilt er uns nie.“ Und der frühere „Geo“Chefredakteur und Absolvent des ersten Jornalistenschul-Jahrgangs, Peter-Matthias Gaede, schrieb: „Wolf Schneider ist die scharfe Antithese zum geringsten Hauch von Waldorfschule. Vor die Gnade setzt er die Strenge. Wer ihn loben will, tut das gefälligst knapp, hart.“ Möge er in Frieden ruhen.

Christoph Rind war Absolvent der Henri-Nannen-Schule 1982 und Meinungschef beim Hamburger Abendblatt.