Hamburg. Bei der Zusammenkunft will das Netzwerk auch Nebenkriegsschauplätze beleuchten. Eingeladen sind nicht nur Redaktionen.
Sie wollen unsere Blicke weiten und unsere Augen öffnen für mehr als jeweils nur ein Land, das im Fokus der Weltöffentlichkeit steht. Der Verein „Weltreporter, in dem sich Auslandsjournalistinnen und -journalisten aus der ganzen Welt zu einem Netzwerk vereint haben, lädt für kommenden Freitag in Hamburg zu seinem Jahrestreffen ein. Eingeladen sind nicht nur Redaktionen, sondern alle interessierten Hamburgerinnen und Hamburger. Warum, erklärt der langjährige Weltreporter-Vorsitzende und Organisator des Treffens, Marc Engelhardt, im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt.
Was sind die Weltreporter?
Marc Engelhardt: Die Weltreporter sind ein Zusammenschluss von mehr als 50 Korrespondentinnen und Korrespondenten, die freiberuflich im Ausland sind. Wir arbeiten für praktisch alle deutschsprachigen Medien – von der „taz“ bis Springer, von ARD bis ZDF –, und wir tun das auf allen Kontinenten, berichten aus Ländern, die die meisten von uns seit Jahren und Jahrzehnten kennen, einfach weil wir da leben. Die Weltreporter fliegen nicht nach Taipeh oder Nairobi, wenn irgendwas passiert ist, sondern sind schon da.
Seit wann und warum gibt es den Verein?
Marc Engelhardt: Die Weltreporter gibt es seit mehr als 15 Jahren. Der Gründungsgedanke war ganz einfach. Es gab damals erstmals Leute, die sind mit Laptop und Handy und Kamera losgezogen und haben gesagt, ich berichte jetzt mal zum Beispiel aus China, und die waren dann da, aber ziemlich allein. Feste Korrespondenten haben eine Redaktion im Rücken. Wir haben das nicht. Daraus entstand die geniale Idee, eine virtuelle Redaktion, ein Netzwerk zu gründen. So können wir uns absprechen und uns gegenseitig helfen, wenn mal was schiefgeht. Aber wir tauschen uns auch über die Erfahrungen bei Verhandlungen mit einer Redaktion aus. Daraus ist ein Netzwerk entstanden, das immer mehr gemeinsame Projekte umsetzt. Wir haben gemeinsam viele Bücher herausgegeben. Dabei geht es immer darum zu schauen, wie Probleme – zuletzt der Klimawandel – aus globaler Perspektive aussehen. Es gibt immer unterschiedliche Sichtweisen auf ein konkretes Problem.
Aber sind die Weltreporter nicht auch eine Plattform, die Redaktionen nutzen können, um Korrespondenten zu finden?
Marc Engelhardt: So ist es. Wenn etwa eine Redaktion einen Korrespondenten in Maputo sucht, in Mosambik, dann wird sie bei uns fündig. Wir haben auf unserer Webseite eine Weltkarte mit den Namen und Standorten aller Weltreporter. Wenn eine Redaktion jemanden braucht an einem Ort, an dem sonst eben niemand ist, dann bekommt sie über die Weltreporterin oder den Weltreporter normalerweise ganz schnell einen Draht ins Land und zu jemandem, der das Land wirklich gut kennt, der die Sprache spricht, der die Kultur kennt.
Kommenden Freitag gibt es ein internationales Jahrestreffen der Weltreporter in Hamburg. Wie viele Reporter aus welchen Kontinenten werden erwartet?
Marc Engelhardt: Mehr als 20 Weltreporterinnen und Weltreporter aus allen Kontinenten – außer Ozeanien – werden nach Hamburg kommen. Die Kolleginnen aus Australien und Neuseeland werden virtuell dabei sein. Und unser Ziel ist es, beim ersten richtigen Treffen seit der Pandemie auch darüber zu diskutieren, wie sich der Journalismus und die Arbeit der Auslandsreporter durch die Corona-Zeit verändert hat. Wir möchten bei unserem Treffen zudem mit Redaktionen und mit Leserinnen und Lesern über das, was in der Welt geschieht, ins Gespräch kommen.
Was hat sich aus Ihrer eigenen Erfahrung verändert?
Marc Engelhardt: Ich habe im Auftrag der Otto Brenner Stiftung vor einem Jahr eine Studie geschrieben, die genau diesen Blick wagt: Wie steht es eigentlich um Auslandsberichterstattung in Deutschland? Die Überschrift der Studie heißt „Das Verblassen der Welt“. Und das ist genau das, was man beobachten kann: Wir schauen in den deutschen Medien sehr viel auf ganz wenige Länder. Mit Abstand am meisten wird über die USA berichtet, über sehr viele Länder hingegen nicht. Es gibt 34 Länder, über die wurde in den führenden regionalen und überregionalen Zeitungen über einen Zehnjahreszeitraum, den ich untersucht habe, praktisch gar nicht berichtet. 140 Staaten kamen kaum vor. In den 2010er-Jahren gab es über die USA 14-mal so viele Berichte als über die Ukraine. Dadurch, dass so weite Teile der Welt in der Berichterstattung ausgeblendet werden, entsteht eine völlig verzerrte Weltwahrnehmung. Dann entsteht im Kopf das Bild einer Art Zone des Guten, also Europa und vielleicht noch die USA, und des Restes der Welt, der so eine Art außersystemisches Chaos darstellt. Dem kann man nur auf eine Weise begegnen: mit mehr Auslandsjournalismus.
Die Veranstaltung in Hamburg trägt den Titel „Nebenkriegsschauplätze – Wie Russlands Krieg die Welt verändert“. Worum wird es da gehen?
Marc Engelhardt: Wir werden diese Nebenkriegsschauplätze beleuchten. Denn wir erfahren seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zwar mehr über die Ukraine. Es gibt aber viele Länder, aus denen wir seither noch weniger hören als davor. Das ist ein großes Problem. Wir sehen Eskalationen in Regionen, die vorher schon nicht im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit standen, praktisch unbemerkt. Schauen wir einmal zum Beispiel in den Sahel: Von Mauretanien bis nach Somalia beobachten wir im Moment massives Staatsversagen. Wir haben Putsche, wir haben islamistische Terroristen, wir haben Herrscher, die vom Militär gestützt werden, die keine Wahlen ansetzen, die einfach mal sagen: Ich regiere hier ein paar Jahre länger. All das passiert, ohne dass die Welt davon richtig Notiz nimmt.
Hamburg trauert um einen besonderen Welterklärer
Wie wollen die Weltreporter in Hamburg mit Lesern ins Gespräch kommen?
Marc Engelhardt: Wir veranstalten bewusst keinen Kongress und kein Symposium. Wir haben uns ein anderes Format ausgesucht. Wir nennen es Reporter-Slam. Dabei werden alle von uns Themen ganz kurz anreißen. So wollen wir ins Gespräch mit den Gästen kommen. Wenn gerade mal mehr 20 Auslandskorrespondenten in der Stadt sind, ist das doch eine super Gelegenheit für alle Hamburgerinnen und Hamburger.
Kann jeder hingehen?
Marc Engelhardt: Unbedingt! Auf der Website kann man sich anmelden. Die Teilnahme kostet nichts, macht Spaß, und man lernt die Leute kennen, die in anderen Ländern die Nachrichten aufschreiben. Und ganz wichtig: Man kann den Reporterinnen und Reportern all die Fragen stellen, die man bisher nur sich selbst stellen konnte.
Das Weltreporter-Treffen: Freitag, 11. November, 18.30 Uhr im Hamburger Forum Finkenau in der Hamburg Media School. Anmeldung unter www.weltreporter.net