Hamburg. Filmregisseur Kilian Riedhof über die Dreharbeiten zu “Meinen Hass bekommt ihr nicht“ und seinen Blick auf die Tragödie.

Seinen Durchbruch schaffte Kilian Riedhof 2011 mit dem später vielfach ausgezeichneten TV-Film „Homevideo“ über einen gemobbten Jugendlichen. Seitdem geht es für ihn steil bergauf.

Hamburger Abendblatt: Wie war es für Sie, einen Film, der sich um den Anschlag auf das Batclan 2015 in Paris dreht, in Frankreich zu drehen?

Kilian Riedhof: Wir haben große Teile auch in Köln im Studio gedreht. In Paris war es etwas seltsam zur Lockdown-Zeit. Das ist so ein bisschen wie ein Rendezvous ohne Frau. Man weiß, dass die Stadt ganz toll ist, aber es fehlen die Menschen in den Cafés, alles hatte zu.

Uns machte das auch deshalb Schwierigkeiten, weil unheimlich viele Maskenträger auf den Straßen liefen. Ich erinnere mich an eine Szene, in der unser Hauptdarsteller Pierre aus der Metro tritt und dann von einer Frau angesprochen wird, die ihre Freundin im Bataclan verloren hat. Hinter Pierre drehten sich bei dem Stichwort sofort mindestens 20 Leute um, und alle trugen Masken.

Vernünftig, aber zum Drehen natürlich ein Albtraum, oder?

Aber wir mussten natürlich dort drehen, denn die Geschichte spielt nicht nur dort, es geht auch um ein französisches Trauma.

Merkt man heute noch etwas von den Folgen dieses Traumas?

Ich finde, ja. Für viele Menschen dort ist alles noch sehr präsent. Viele kennen jemand, der im Club war oder hinein wollte. Ich habe mit Schauspielern gesprochen, die nicht mitspielen wollten, weil die Ereignisse sie bis heute schockieren. Die Wunde scheint mir noch frisch zu sein. Gerade in der Künstlerszene ist der Horror jener Nacht deutlich spürbar. Die Anschläge haben sich damals über die ganze Stadt erstreckt. Das pulsiert bis heute.

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  • Wie sind Sie als Deutscher eigentlich an die Filmrechte herangekommen? Die waren doch sicherlich sehr begehrt, gerade unter französischen Filmemachern.

    Ich habe mit Janine Jackowski schnell eine Produzentin für das Projekt begeistern können. Wir haben dann Antoine Leiris getroffen, den Autor der Vorlage. Und ihn überzeugt, dass wir sie behutsam und vorsichtig verfilmen wollten. Ein Grund für seine Entscheidung war wohl auch, dass wir gerade nicht aus dem Epizentrum des Geschehens stammten, sondern eine gewisse Distanz haben, um nicht in der Erzählung unterzugehen.

    Der Film erzählt eine sehr französische Geschichte. Trauen Sie dem deutschen Publikum zu, das adäquat zu verarbeiten?

    Ich denke schon. Wir erzählen eine Geschichte über einen Mann, der einen schlimmen Verlust erleidet. Aber da bleibt der Film ja nicht stehen. Er zeigt, wie man den Hass überwindet, auch wenn der Neubeginn fragil und vorsichtig ist. Für mich ist das eine Ode ans Leben. Antoine setzt dem Hass die Liebe zu seinem Sohn entgegen. Er verteidigt die Kultur unserer freien westlichen Welt gegen die Kräfte des Terrorismus, der Unfreiheit und Angst. Das ist großartig und sehr ergreifend.

    War es schwierig, mit Leiris über diese Ereignisse noch einmal zu sprechen?

    Ich habe ihn zwei Mal getroffen. Ich hatte großen Respekt vor dem ersten Treffen mit ihm, weil ich vorher noch niemals jemand begegnet bin, der einen so harten Schicksalsschlag verkraften musste. Aber er war sehr daran interessiert, uns zu helfen und zu unterstützen. Für ihn ist es wohl wichtig, mit diesem Lebensabschnitt zu Ende zu kommen und nicht als Handlungsreisender des eigenen Leides umherzuziehen. Danach hat er gesagt: Ihr seid frei.

    Die Franzosen haben ein besonderes Verhältnis zum Kino. Haben Sie davon etwas gespürt?

    Ja, es gibt dort eine große Wertschätzung für Filme im allgemeinen, die Kinokultur und die Arbeit des Regisseurs. Der Film ist am 2. November in Frankreich gestartet. Ich bin sehr gespannt auf Reaktionen, weil die Presse bisher positiv darauf reagierte. Das Thema bleibt jedoch sensibel. Uns war wichtig, dass der Film dort angenommen wird und nicht der Eindruck entsteht, dass Deutsche den Franzosen ihr Trauma erklären.

    Ihre bisherigen Filme waren sehr unterschiedlich („Gladbeck“, „Sein letztes Rennen“, „Der Fall Barschel“). Gibt es einen roten Faden?

    Ich versuche immer, radikale Emotionalität zu erreichen. Wie Zuschauer reagieren, interessiert mich enorm. Deshalb freue ich mich auch sehr auf Aufführungen meiner Filme, weil es nur mit Zuschauern möglich ist, die emotionale Wirkung der eigenen Arbeit mitzubekommen.

    Ihr nächster Film ist bereits so gut wie fertig, oder?

    Das ist „Stella. Ein Leben.“, den ich mit Paula Beer in der Hauptrolle gedreht habe. Es ist die Geschichte einer jüdischen „Greiferin“, die Opfer und Täterin zugleich war. Der Film kommt 2023 heraus.