Hamburg. „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ verarbeitet das Trauma nach der Anschlagsserie von Paris. Ein einfacher und doch ganz großer Film,

Welche Größe, welcher Edelmut und welche Klarheit. Eben erst hat dieser Mann, nach zwei Tagen der Ungewissheit, die Leiche seiner Frau gesehen, die bei den Pariser Anschlägen vom 13. November 2015 getötet wurde. Da setzt er sich wie in Trance an den Computer und schreibt sich diesen Text von der Seele: „Am Freitagabend habt ihr das Leben eines ganz besonderen Menschen gestohlen. Die Liebe meines Lebens. Die Mutter meines Sohnes. Aber meinen Hass bekommt ihr nicht.“

Er wendet sich direkt an die Mörder, die er „tote Seelen“ nennt. Und er will ihnen nicht das Geschenk machen, sie zu hassen: „Auch wenn es das ist, was ihr wollt. Auf den Hass mit Wut zu antworten hieße, der gleichen Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid.“ Er postet seine Nachricht auf Facebook in die Welt hinaus. Noch in derselben Nacht wird der Text zigtausendfach geteilt. Und auf der Titelseite von „Le Monde“ nachgedruckt.

Kino Hamburg: „Meinen Hass bekommt ihr nicht“

Der Journalist Antoine Leiris wurde damit über Nacht zu einer Art Nationalheld, auch wenn dies das Letzte war, was er beabsichtigt hatte. Und er wurde zum Sprachrohr all jener, die nach dem Schock jener Nacht, in der 130 Menschen starben und 700 teils schwer verletzt wurden, unfähig waren, sich auszudrücken.

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Nun ist die Geschichte von Leiris verfilmt worden: „Meinen Hass bekommt ihr nicht“, so heißt auch der Film, der auf dem Filmfestival von Locarno Premiere hatte und jetzt ins Kino kommt. Antoine (Pierre Deladonchamps) ist bei den Anschlägen nicht dabei, er kümmert sich zu Hause um den erst 17 Monate alten Sohn Melvil (Zoé Iorio), während seine Frau Hélène (Camélia Jordana) ins Konzerthaus Bata­clan geht. Das Grauen des Terrorakts bleibt ausgespart. Aber sonst erspart der Film dem Zuschauer nichts.

Der Ehemann eines Terror-Opfers wendet sich direkt an dessen Mörder

Nicht die Stunden der Ungewissheit, in denen Antoine nicht weiß, ob Hélène lebt. Nicht die Tage danach, als die Straßen von Paris wie leer gefegt sind und nur Soldaten mit Gewehren patrouillieren, während er mit seinem Sohn allein auf dem Spielplatz ist. Es ist herzzerreißend, wenn der kleine Melvil immer wieder nach seiner Mutter ruft. Und ebenso herzzerreißend, wenn Antoine ihm irgendwann erklären muss, dass sie nicht mehr nach Hause kommt.

Ein einfacher und doch ganz großer Film

Dabei bleibt der Film immer ganz eng an diesen beiden Figuren. Und als dichtes Kammerspiel überwiegend in der Wohnung, in der Antoine sich zunehmend verschanzt, vergräbt, wie in einem Schutzkokon einspinnt. Es gibt wenige schockartige Momente: Antoine, der vom Balkon stürzt, absichtlich oder ohnmächtig, was sich dann doch nur als Vision erweist. Oder wenn er erwacht und Hélène neben ihm liegt. Der Film erspart einem auch nicht, wie Antoine beinahe zu verwahrlosen und seinen Sohn zu vernachlässigen droht.

Er verschweigt nicht, wie die Schwägerin klagt, dass er sich nicht um das Begräbnis von Hélène kümmern, sondern nur ins Fernsehen wolle. Und doch eint sie der Schmerz. Und für seinen Sohn muss der Vater lernen weiterzumachen. Irgendwie. Es ist ein einfacher und doch ganz großer Film. Der vor allem von seinem Hauptdarsteller Pierre Deladonchamps lebt, der schon in „Der Fremde am See“ und „Sorry Angel“ in sehr komplexen Rollen zu sehen war und hier eine Transparenz schafft, durch die man direkt in den Schmerz und die Trauer zu sehen meint.

Zum Interview mit dem Regisseur von „Meinen Hass bekommt ihr nicht“

„Meinen Hass bekommt ihr nicht“ ist nur einer von einer ganzen Reihe von Filmen, die derzeit ins Kino kommen und die Anschlagsserie von Paris verarbeiten. Mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. Vor drei Wochen erst startete „November“ von Cédric Jimenez, ein Polizeithriller, der die Nacht aus der Perspektive der Staatsgewalt zeigt. Ein fragwürdiges Rachedrama und sensationsheischender Actionfilm, bei dem die Polizei fünf Tage lang die Terroristen jagt, sich dabei „keine „Befindlichkeiten“ erlaubt und im Kampf gegen den Terror auch Kollateralschäden in Kauf nimmt. Auch dieser Film macht betroffen, aber die Opfer bleiben hier nur Statisten, die Toten wie die Überlebenden sind nur Zahlen.

Ganze Reihe von Filmenverarbeiten Anschlagsserie von Paris

Andere Filme schauen dagegen ganz genau auf diese „Befindlichkeiten“, auf den Schock nach den Anschlägen. Und auf die Unmöglichkeit, damit umzugehen. In Cannes stellte Alice Winocour ihr Drama „Revoir Paris“ mit Virginie Efira vor. Eine ganz persönliche Verarbeitung: Ihr Bruder hat den Anschlag im Bataclan überlebt, aber die Regisseurin wählte für ihren Film bewusst einen fiktiven Ort, eine Brasserie, auf die ein Anschlag verübt wurde und in der die damals Anwesenden, direkt am Tatort, in einer Selbsthilfegruppe über die Geschehnisse sprechen sollen.

Eine weitere psychologische Studie einer Traumabewältigung ist auch „Un año, una noche“, der auf der Berlinale liefund unter dem Titel „Frieden, Liebe und Death Metal“ am 15. Dezember in die Kinos kommt. Er handelt von einem jungen Paar, das ebenfalls die Nacht im Bataclan erlebt. Doch während das Mädchen (Noémie Merlant) das Leid hinter sich lassen und bewusst vergessen, verdrängen will, wird der Junge (Nahuel Pérez Biscayart) zunehmend aus der Bahn geworfen, kann nicht mehr weitermachen, wird von Albträumen geplagt. Und hat doch Angst zu vergessen, indem er sich zugleich manisch zu erinnern versucht. Dabei ist dieser Film, genau wie „Revoir Paris“, auch eine Reflexion übers Erinnern und wie trügerisch das Gedächtnis bei posttraumatischen Belastungsstörungen sein kann.

Im Mittelpunkt stehen immer der Verlust, die Trauer und die Wunden, die bleiben

Es fällt auf, dass es lange keine filmische Aufarbeitung zu diesen Anschlägen gab. Es braucht wohl eine zeitliche Distanz, um sich einem solchen Schock nähern zu kommen. Erste Reflexionen waren das Drama „Mein Leben mit Amanda“ (2018), in dem sich ein junger, unsteter Mann nach dem Tod seiner Schwester um deren Tochter kümmern muss, oder die Arte-Serie „In Therapie“ (2021), in der ein Therapeut nach dem Attentat lauter direkt oder indirekt Betroffene behandelt.

Diese filmischen Aufarbeitungen sind selbst so etwas wie eine Therapie. Und es ist vielleicht kein Zufall, dass sie nicht nur von Franzosen gedreht werden. „Un año, una noche“ wurde von dem Spanier Isaki Lacuesta inszeniert, „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ von dem Berliner Kilian Riedhof, der schon „Der Fall Barschel“ und „Gladbeck“ filmisch aufgearbeitet hat. Die Anschläge in Paris 2015 sind nicht nur ein nationales Trauma, sondern eins der ganzen westlichen Welt, sind es doch deren Werte, die hier – und nicht nur hier – unter Beschuss geraten sind.

Klug beschränken sich diese Filme, mit Ausnahme von „November“, auf Einzelschicksale, wobei der Anschlag höchstens in Ausschnitten und Schocksekunden gezeigt wird. Im Mittelpunkt stehen immer der Verlust, die Trauer, die Wunden, die bleiben, und die Unmöglichkeit der Verarbeitung. „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ geht aber noch einen Schritt weiter: weil hier ein Betroffener bewusst die Gewaltspirale durchbricht. Ein Film, der bei allem Schmerz auch Hoffnung und Mut macht.

„Meinen Hass bekommt ihr nicht“ läuft im Abaton, Zeise.