Hamburg. Das Kunstspiel zum Mitmachen – jeden Montag im Abendblatt. Heute: Franz Radziwill „Kanal mit gelber Brücke“.

Es ist eine beinahe unheimlich anmutende Kulisse, die der Maler Franz Radziwill (1895– 1983) da geschaffen hat: Der fast schwarze nächtliche Himmel senkt sich nieder auf die Häuser, die, ebenso wie der Rasen an der Böschung, eigenartig angeleuchtet scheinen – doch woher kommt dieses Licht? Neben der unnatürlich in leuchtendem Gelb aufgeladenen Brücke steht ein Baum mit rosafarbenem Blattwerk. Der Maler Franz Radziwill ist international für seine beeindruckenden Landschaftsporträts bekannt.

Dabei lässt sich sein Werk in unterschiedliche Schaffensperioden einteilen: ein expressionistisches Frühwerk, das er im Austausch mit den Kollegen Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Max Pechstein, George Grosz und Otto Dix ab 1920 in Hamburg und Berlin entwickelte und jüngstes Mitglied in der Berliner Freien Sezession wurde, ein magisch realistisches Hauptwerk, das in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt wurde, und ein vom Symbolismus und der Hinwendung zu religiösen Themen geprägtes Spätwerk, das Radziwill 1972 beenden musste, weil er am Grünen Star erkrankt war.

Kunsthalle Hamburg: Werk durch virtuose Lichtregie charakterisiert

Das hier gezeigte Bild „Kanal mit gelber Brücke“ (1928) zählt zum Hauptwerk des Künstlers. Von einer Schleusenanlage aus betrachtet, ist das Gemälde eine von Ingenieuren gestaltete Landschaft, in der diagonale Fluchten und gerade Linien vorherrschen. Wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten liegt ein einmastiges Segelschiff am Ufer.

Radziwills Ausbildung zum Maurer und sein anschließendes Studium der Architektur und Industriellen Formgebung an der Höheren Technischen Staatslehr­anstalten in Bremen mögen ausschlaggebend bei der Motivwahl und ihrer Gestaltung gewesen sein. Doch belässt es der Künstler nicht bei der realistischen Wiedergabe dieser Industrieanlage, sondern setzt als zentrales Mittel der Bildgestaltung eine virtuose Lichtregie ein: Der Vordergrund ist wie von einem imaginären Scheinwerfer gleichmäßig und ohne Schattenwurf ausgeleuchtet. Hinter der gelben Stahlbrücke und der Eisenbahntrasse, die den Kanal kreuzt, herrscht dagegen die Schwärze eines nahezu undurchdringlichen Nachthimmels.

Kunsthalle Hamburg: Radziwill entwickelte ,magischen Realismus‘

„Mitte der 1920er-Jahre nahm Radziwill nach expressionistischen Anfängen die klaren und nüchternen Stilmittel der Neuen Sachlichkeit auf und entwickelte daraus einen ,magischen Realismus‘. Durch die übersteigerte Darstellung der Wirklichkeit lässt der Maler sein Unbehagen angesichts der von der Technik zergliederten Natur in das Bild einfließen. Statt Zuflucht zu bieten, ist die moderne Landschaftsansicht von einer kalten, bedrohlichen Atmosphäre geprägt“, schreibt Daniel Koep in der Sammlung Online der Hamburger Kunsthalle. Auch in weiteren Werken, die im Besitz des Museums sind, lassen sich diese stilistischen Elemente beobachten, etwa in „Mühle in roter Landschaft“ (1921) und „Der Lilienstein an der Elbe“ (1928).

Franz Radziwill: „Kanal mit gelber Brücke“, 1928, Maße 80,3 x 98 cm, Öl auf Leinwand.
Franz Radziwill: „Kanal mit gelber Brücke“, 1928, Maße 80,3 x 98 cm, Öl auf Leinwand. © © Hamburger Kunsthalle / bpk © VG Bild-Kunst, Bonn Foto: Elke Walford

Radziwills Leben und Werk waren von den Erfahrungen in zwei Weltkriegen geprägt: Als 20-Jähriger ging er als Sanitätssoldat nach Russland, Belgien und Frankreich (1915 bis 1918) und kam anschließend in englische Kriegsgefangenschaft. Zurück in Bremen, nahm er seine künstlerische Arbeit wieder auf, verfasste auch Prosa und Lyrik und wendete sich ab 1923 einem neuen Realismus zu.

Radziwill trat NSDAP bei

Irritierend ist, dass der Maler 1931 Mitglied der revolutionären Vereinigung Novembergruppe wurde und zwei Jahre später der NSDAP beitrat, gleichzeitig aber die völkische Kunstauffassung des „NS Kampfbundes für deutsche Kultur“ ablehnte. Die Parteimitgliedschaft konnte Radziwill jedoch nicht davor bewahren, als sogenannter entarteter Künstler verfemt zu werden.

1939 bis 1941 wurde Radziwill erneut als Sanitätssoldat an der Westfront eingesetzt und wurde aus Altersgründen vom Wehrdienst befreit. Ab 1945 lebte er in seinem Haus im niedersächsischen Nordseebad Dangast. Dort, wo noch heute das Künstlerhaus mit einer Ausstellung den Maler erfahrbar macht.