Hamburg. Eine Portion aus der Oper „Donnerstag“ bescherte dem Internationalen Musikfest Hamburg einen denkwürdigen Abend.

Auf solche Ereignisse arbeiten Festspiele manisch hin, erreichen sie aber nur selten: diese leicht ­irren Momente, wenn man sich vom ­Erlebten angenehm überfordert fühlt, wenn das Hirn heißgelaufen trudelt und man sich ungläubig fragen kann: Was bitteschön war das denn jetzt?

Karlheinz Stockhausen und Hamburg – ein weites, problembestücktes Feld war dieses Thema, seit jenem Post-9/11-Skandal, der ihn 2001 zum Komponisten non grata werden ließ. 17 Jahre später jedoch stand ein Teil eines Teils seines monumental versponnenen, All umfassenden Opern-Zyklus „Licht“ im Programm des Musikfests. Und am ­Ende, als diese Episode von „Raum­patrouille Stockhausen“ ­beendet war, setzte das Bedauern ein, dass nach dem einem kleinen, großartigen Akt aus „Donnerstag“ schon wieder Schluss sein sollte, obwohl sich die Tür in die radikal anderen ­Gedankensphären nur einen Spalt geöffnet hatte. Stockhausen war nicht ­immer von dieser Welt, dieses Musik-Theater-Happening dokumentierte (im Rahmen des auf Kamp­nagel Möglichen) eindrücklich, wie sehr.

Überbordendes Orchester

Als Empfangskomittee spielte ein Teil des später in der K6 überbordenden Orchesters im Foyer einen „Gruß“, blitzschnelle 15 Minuten vielleicht, als abstrakt feierliche Einstimmung. Das tönende Bodenpersonal kam von der hiesigen Musikhochschule. Zunächst wirkte dieser Nachwuchs arg von Ehrfurcht vor der Aufgabe gelähmt, auch weil mit Peter Eötvös ein leibhaftiger Stockhausen-Schüler die ­Lotsenarbeit übernahm. Das gab sich. Im Saal selbst war der Klangkörper dutzendfach größer.

Dass die Realisation des „Michael-Akts“ halbszenisch gewagt wurde, war sehr schön, aber auch ein ­bedauerliches Sensations-Defizit. Denn ­bereits in dieser Magerversion schimmerte das universale, kosmologisch-theologische Sendungsbewusstsein durch, mit dem Stockhausen seine sehr eigene Version der Schöpfungs­geschichte mit epischem Gesamtkunstwerk-Anspruch verschraubt hatte. Es blieb beim Ansatz.

Realitätsverbiegende Mission

Schöner, viel schöner noch waren die Qualität und die Hingabe der höchstspezialisierten Solisten an ihre realitätsverbiegende Mission, die Darstellung und Verkörperung des ewigen Kampfs zwischen Glauben und Wissen, Gut und Böse. Oberhalb von toll: Emmanuelle Grach als synchrongestikulierende Michael-Tänzerin, Rolf Romei als dieser Erzengel, Michael Leibundgut als nachtschwarz dröhnender Luzifer.

Die Spezialmelange aus rustikalen, rheinisch gefärbten Zeilen, dem großflächigen Pinseln von Klangflächen und der Idee, Musik durch Gesten und Choreografie-Ansätze buchstäblich sichtbar werden zu lassen, gelang den vielen Evas, Michaels und Luzifer-Manifestationen maßstabsetzend. Zum noch besseren Unverständnis der Rollen waren sie in Primärfarben gekleidet. Ein Tänzer verbarg sich unter einer halben Weltkugel, zwei ­Engel in Weiß, klar, spielten Sopransaxofon-Duette, Surround-Einsätze der Stimmen beschallten das Publikum.

Ausklingen, Abklingen, Runterkommen, Geerdetwerden beim „Abschied“, zurück im Foyer, wo fünf Trompeten als Mutation der Bayreuther Einlasszeichen-Fanfare Fragmente jener ­Motiv-Keimzelle spielten, aus denen Stockhausen für „Licht“ gottgleich alles modelliert hatte. Ganz großes, erhabenes, erhellendes Welt-Raum-Theater.