Hamburg. Die frische Ausstellung am Großen Burstah verspricht spannende Neuentdeckungen – allerdings vorrangig an diesem Wochenende.
Am Großen Burstah 32 ist etwas im Gange. Spediteure und Handwerker kommen und gehen, in Windeseile werden Stühle, Tische und eine mobile Bar aufgebaut. Neugierig bleibt man an einem der großen Schaufenster stehen und wird förmlich hineingezogen: von großen Malereien in leuchtenden Farben und silbrig schimmernden Wandskulpturen.
Dort, wo einst Habitat seine Möbel verkaufte, ist jetzt die Kunst eingezogen – und macht viel Arbeit. Das ist Margarita Holle aber gewohnt. Zum zwölften Mal lädt sie zusammen mit ihrem Mann Christian zum Salon der Gegenwart. Stets an originellen Orten. Mal in einem Garten in Harvestehude, mal in einem Rohbau im ehemaligen Verlagsgebäude von Axel Springer.
Ausstellung Hamburg: Konzept des Salons ist exklusiv
Nun also sind die Ausstellungsmacher zu Gast im ehemaligen Möbelhaus mit perfekter Ausleuchtung, gepflegten Böden und weiß gestrichenen Wänden. Und einer Weite, in der die Kunstwerke ihre Wirkung auf zwei Etagen ideal entfalten können. Das Konzept des Salons ist exklusiv: Gezeigt werden jährlich wechselnde Künstlerinnen und Künstler, die ihren Hochschulabschluss möglichst erst im Ausstellungsjahr gemacht haben.
Bei Messebesuchen, Hochschulrundgängen und Atelierbesuchen bei Kreativen in ganz Deutschland machen die Holles ihre Entdeckungen und garantieren so, dass dem Publikum stets der vielversprechendste künstlerische Nachwuchs, ein Querschnitt der jungen Malerei, mit aktuellen Werken zu Einstiegspreisen präsentiert wird.
„Nach dem Abschluss fallen die gewohnten Strukturen weg"
Zur selben Zeit bedeutet die Ausstellung im Salon für die Künstlerinnen und Künstler meist den ersten öffentlichen Auftritt außerhalb der Akademien. Margarita Holle weiß aus vielen Gesprächen mit ihnen, dass der Start oft holprig und mit vielen Unsicherheiten verbunden ist: „Nach dem Abschluss fallen die gewohnten Strukturen weg, ebenso die kostenlosen Arbeitsplätze in den Ateliers und Werkstätten. Sich neben der kreativen Arbeit selbst zu organisieren und auch noch zu vermarkten ist eine große Herausforderung, denn die meisten jungen Künstlerinnen und Künstler haben bei Abschluss ihres Studiums noch keine Galerie, die sie vertritt. Und nicht alle Hochschulen bereiten ihre Schützlinge ganz praktisch auf diesen großen Schritt vor.“
Am Eingang fallen einem kleinformatige Stillleben auf: eine Cantaloupe-Melone, eine Silberschale mit Zitronen, ein kunstvoller Schmetterling. Julia Hochbaum hat die Motive virtuos in altmeisterlicher Manier auf Holz gemalt. Kollegin Cécile Lempert hat Ausschnitte von Frauengesichtern – eine Augenpartie, ein Ohr – in ähnlicher Stilistik mit Leimfarbe auf Leinwand gebracht.
Ölmalereien von Algorithmus erstellt
Dem gegenüber steht die digitale Malerei von Roman Cherezov oder die Kunst von Marco Reichert: Dessen auffallend großen Ölmalereien („Ohne Titel“) wurden von einem Algorithmus erstellt, wobei die gleichmäßig in einem Rund angeordneten Linien vielerlei Deutung zulassen, vom Kopf, den man von oben betrachtet, bis zum Fingerabdruck. Monochrome Arbeiten wie die von Matti Braun oder Theresa Heitfeld, die grobes Leinen in Pastelltönen über einen Holzrahmen gespannt hat, lassen viel Raum für eigene Assoziationen.
„Kunst wird erst dann interessant, wenn wir vor irgendetwas stehen, das wir nicht gleich restlos erklären können.“ Diesen Spruch des 2010 gestorbenen Regisseurs und Aktionskünstlers Christoph Schlingensief hat sich der diesjährige Salon sehr passend zum Motto genommen. Er begleitet einen durch die Ausstellung.
Viele Selbstporträts ausgestellt
„Wir zeigen in diesem Jahr sehr viele Selbstporträts. Wie es scheint, haben sich die Kreativen während der Pandemie sehr intensiv mit sich selbst auseinandergesetzt“, sagt Margarita Holle. Als Beispiele nennt sie Annemarie Faupels Bilder, die die Künstlerin in aufreizenden Posen zeigen, oder Oska Gutheils zwischen Comic und naiver Kunst angesiedelte „Kuss“-Bilder, in denen der jetzt schon sehr gehypte Maler seine persönliche Transformation von der Frau zum Mann thematisiert.
Auch der durch Corona forcierte digitale Medienkonsum ist ein zentrales Motiv, etwa bei Jonah Gebka, der einen jungen Mann mit seinem Laptop auf dem Bett zeigt, oder Julie Batteux und ihrem überdimensionierten „Display VIII“ in Öl.
Ausstellung Hamburg: Auch etablierte Namen dabei
Flankiert werden die Newcomer traditionell durch etablierte Namen im Kunstbetrieb. Bei dieser Ausstellung sind es der 81-jährige Minimal-Art-Künstler Imi Knoebel, der mit einem auffälligen „Standing Painting“ sowie einer kleinen, mittlerweile kaum mehr erhältlichen Bildserie vertreten ist, außerdem Heinz Mack mit zwei aktuellen farbstarken Acrylarbeiten.
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Michael Sailstorfer, der von der Galerie König in Berlin vertreten wird, hat für sein Gemälde „Heavy Eyes 68 Blue Brown“ einen ungewöhnlichen Materialmix aus Blei und Lidschatten verwendet, was für einen irisierenden Effekt sorgt.
Salon der Gegenwart 5./6.11. jew. 11.00-17.00, Großer Burstah 32 (U Rödingsmarkt), statt Eintritt wird eine Spende erbeten. Die Kunstvermittlerin Veronika Schöne bietet stündlich Führungen für Besucherinnen und Besucher an. Für organisierte Gruppen und Schulklassen ist der Salon noch bis 10.11. geöffnet. www.salondergegenwart.de