Hamburg. In den Deichtorhallen erzählen Künstler und Künstlerinnen der Sharjah Art Foundation von Exil und Diaspora
Die Poesie, die sich aus der Begegnung von Kunst und Architektur entspinnt, wird mit Betreten der Halle für aktuelle Kunst sofort spürbar: Die Besucherinnen und Besucher tauchen ein in eine andere Welt, in ein Labyrinth aus mal kräftigen, mal zarten Farben, aus überbordend großen Installationen und dann wieder feinen, kleinformatigen Zeichnungen. Alles Gezeigte hat eine persönliche, ja intime Bedeutung; das wird schnell klar, sobald man die entsprechenden Wandtexte liest.
Es sind Erzählungen von Künstlerinnen und Künstlern über Vertreibung und Entwurzelung, Flucht und eine Suche nach Heimat fernab ihres Heimatlandes. Sie haben in der Sharjah Art Foundation ein zumindest künstlerisches neues Zuhause gefunden.
Ausstellung: "In the heart of another courntry"
Seit 2009 vereint die Foundation im drittgrößten arabischen Emirat moderne, zeitgenössische Kunst und fördert sie, nicht zuletzt mit der vielbeachteten Sharjah Biennale, mit der sich die Golfstaaten als wichtiger Player in der internationalen Kunstszene etabliert haben. Mittlerweile beherbergt sie an die 1300 Kunstwerke aus aller Welt. Ihr Kurator Omar Kholeif hat zusammen mit Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow die 150 Werke umfassende, außergewöhnliche Ausstellung „In the heart of another country“ geschaffen.
Angelehnt ist der Titel an das Buch „In the heart of the heart of another country“ der libanesisch-amerikanischen Malerin und Autorin Etel Adnan (1925-2021), das 2005 bei City Lights Publishers erschien; darin berichtet sie über ihre Erfahrungen von Exil und Diaspora. Etel Adnan verließ als 24-Jährige ihre Heimatstadt Beirut, lebte in Paris und Kalifornien und kehrte nach 17 Jahren wieder zurück in den Libanon.
Wegen des Bürgerkriegs dort floh sie 1976 und ließ sich wiederum in Kalifornien nieder. Zuletzt hatte sie mit ihrer Partnern, der Bildhauerin Simone Fattal (die ebenfalls in der Ausstellung gezeigt wird), in Paris gelebt.
"Die Malerin benutzte ihre Kunst, um sich in ihr zu verorten“
Adnans Geschichte zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung, gleich zu Beginn wird das Publikum von einem großen, begehbaren Grundriss der Stadt Beirut empfangen, an mehreren Stellen begegnen einem ihre farbintensiven Landschaftsbilder: Himmel, Berge, Meer – „die Malerin benutzte ihre Kunst, um sich in ihr zu verorten“, sagt Dirk Luckow.
Was bedeuten Mobilität, aber auch die Trennung von der Kultur, aus der man kommt und das Leben in einer neue,n Kultur für die Menschen, und wie sind sie künstlerisch damit umgegangen?“ – das sind die zentralen Fragen, die aus den Bildern, Collagen, Skulpturen, Installationen, Sound- und Videoarbeiten sprechen.
Kritischer Blick auf eurozentrische Kunstszene
Dabei schwingt Omar Kholeifs Definition von Exil als „ein Lied, das niemals aufhört“ mit. So werden die Grenzerfahrungen der Kreativen nicht nur geografisch oder politisch ausgelotet, sondern auch und vor allem auf geistig-spiritueller Ebene. Es geht um Sehnsucht und den Wunsch nach Zugehörigkeit, aber auch um Selbstbehauptung und einen kritischen Blick auf die eurozentrische Kunstgeschichte.
Etwa bei dem spanischen Maler Anuar Khalifi, der die Hermetik westlicher Historienmalerei aufbricht, indem er Braune und Schwarze Körper in Szenen bekannter Neoimpressionisten wie Georges Seurat oder Henri-Edmond Cross darstellt und somit auf ihr Fehlen aufmerksam macht.
Kunst geprägt von erlebter Diskriminierung
Die türkische Opernsängerin und Künstlerin Semiha Berksoy zeigt sich in einem ihrer Gemälde als „Kettenbrecherin“ in einem unheilvoll erscheinendem Wellenmeer; sie verweist damit auf ihre Welt der Bühne und die Schwierigkeit, aus dem klassischen Rollenbild der Frau auszubrechen. Eine interessante Entwicklung hat der 1935 in Pakistan geborene Rasheed Araeen erlebt: Aus seiner Zeit als Bauingenieur leitete er einen eigenen Malereistil ab, abzulesen in „Before the Departure (Black Paintings)“, 1963/64.
In den späten 1970er-Jahren, als Künstler in London, veränderte sich seine Arbeit, sie wurde politischer. Geprägt durch Diskriminierung und das Gefühl der Chancenlosigkeit schuf er eine Reihe von Porträts, auf die er Hakenkreuze setzte oder den Aufruf „Paki go home“, um so dem eigenen Trauma entgegenzuwirken.
Fotograf hält alltägliche Szene im Südsudan fest
Um der gängigen Vorstellung vom Südsudan als Land von Krieg und ungezügelter Gewalt entgegenzutreten, fotografiert Richard Lokiden Wani Menschen seiner Wahlheimatstadt Juba, der Hauptstadt des Südsudan, bei Tag mit Blitzlicht in alltäglichen Situationen: „Couple by night“ (2000), das ein Pärchen auf einem Motorrad zeigt, oder „Family Portrait“ (beide aus dem Jahr 2000) erhalten dadurch eine sehr spezielle, eigensprachliche Ästhetik.
Einer vertrauten, orientalisch intonierten Melodie von „Smoke On The Water“ folgend, gelangt man in einen Raum, in dessen Mitte viele kleine Exponate aufgereiht sind: eine Krone, ein goldener Helm, mehrerer Statuen und Schmuck.
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Es ist das Work in progress des irakisch-amerikanischen Künstlers Michael Rakowitz: 2007 begann er, aus Lebensmittelverpackungen und Zeitungen, vornehmlich aus arabischen Supermärkten, maßstabgetreue Nachbildungen von im Irak geraubten oder zerstörten Artefakten anzufertigen, um auf die wenig beachteten Plünderungen im Irakischen Nationalmuseum in Bagdad nach der US-amerikanischen Invasion 2003 aufmerksam zu machen.
Abu Hamdan: Zwischen Folter, Gewalt und Hoffnung
Die mit dem Turner Prize ausgezeichnete Arbeit von Lawrence Abu Hamdan ist in einem Filmraum zu erleben: In der Soundarbeit „Saydnaya (the missing 19db)“ von 2017 berichten Überlebende des gleichnamigen syrischen Gefängnisses sehr berührend von Folter und Gewalt. Aber es gibt auch immer wieder Geschichten, die Hoffnung machen, zum Beispiel die der iranischen Künstlerin Monir Shahroudy Farmanfarmaian, die in ihrem Exil durch ein Gewebe, das Bauarbeiter über eine zu reparierende Straße spannten, zu ihrem neuen Werkstoff gelangte: In ihrer ersten in New York angefertigten Collage „CG8“ von 1982 sind leuchtend bunte Schmetterlinge eingewoben.
„In the heart of another country“ bis 12.3.2023, Halle für aktuelle Kunst (U Meßberg), Deichtorstraße 1-2, Di-So 11.00-18.00, Eintritt 12,-/7,- (erm.), www.deichtorhallen.de