Hamburg. Das Varieté am Steindamm eröffnet die neue Spielzeit wieder mit einem Gaststar: Tony Christie singt bei der Premiere.

Es ist zwar schon ein paar Jahre her, aber trotzdem ein Bild für die Ewigkeit: Beim Glastonbury, einem der weltweit größten Festivals mit 200.000 Rock-, Pop- und Elektrofans, traten 2009 die absoluten Giganten auf: Bruce Springsteen & The E Street Band, Lady Gaga, Neil Young, Crosby, Stills & Nash, The Prodigy, The Black Eyed Peas, David Guetta – und ein älterer englischer Gentleman im Anzug: Tony Christie.

Am dritten und letzten Tag des Festivals versammelten sich Zehntausende vor der pyramidenförmigen Hauptbühne, um trotz sichtbarer Ermattung nach dreitägigem Genuss diverser legaler und illegaler Substanzen das Tanzbein zu schwingen und mit Christie „Is This The Way To Amarillo?“ zu schmettern: „Schalala lalala lala!“

"Als ich auf die Bühne kam, musste ich erst mal die Augen schließen"

13 Jahre später sitzt Tony Christie entspannt in der Bar des Hotels Reichshof am Hamburger Hauptbahnhof und lacht, als er auf den Festivalauftritt angesprochen wird: „Das war eine riesige Menschenmenge. Als ich auf die Bühne kam, musste ich erst mal die Augen schließen und durchatmen. Aber dann habe ich mich nur auf die Menschen in den vordersten Reihen konzentriert, und es konnte losgehen.“ Dieses Jahr trat er noch ein weiteres Mal in Glastonbury auf.

Bei seinen nächsten Shows wird es nicht ganz so voll, dafür aber traditionell: Am Freitag spielt er seine größten Hits live im St. Pauli Theater. Und am Donnerstag ist Christie Gaststar bei der Premieren-Gala zur Spielzeiteröffnung im Hansa-Theater.

Tony Christie ist ein Vielsetigkeitskünstler

Bis zum 26. Februar präsentieren das ehrwürdige Haus am Steindamm und Conférencier Jan-Christoph Scheibe wieder internationale Artistinnen und Artisten, Kleinkunst, Humor und Musik, unter anderem mit dem Magie-Duo Timothy Trust und Diamond, Sandmalerin Eva Aibazova, Schlangenmensch Aleksandr Batuev, Jongleur David Burlet und – ein Knaller – Peitschen-Artistin Angelika Varga. Lieblings-Paar des Garderobenpersonals ist natürlich das Quick-Change-Duo Monastyrsky, das in einem Wimpernschlag Kostüme wechseln kann.

Und nicht zu vergessen am Premieren-Abend Tony Christie. Seit dem Wiederaufleben des Hansa-Theaters 2009 ist ein besonderer Premieren-Gast mittlerweile Pflicht geworden. 2021 war es Roberto Blanco, in den Jahren davor zum Beispiel Peter Kraus und Bill Ramsey.

Und wie diese Sänger ist auch Christie ein Vielseitigkeitskünstler, dessen Schaffen weit über den jeweils größten Hit, in Christies Fall „Is This The Way To Amarillo?“, hinausgeht. Und da er in seiner langen Karriere bereits sehr oft in opulenten Varieté- und Revue-Shows auftrat, weiß er sehr gut, was ihn erwartet: „Einige der Künstler im Hansa-Programm kenne ich sogar.“

Christie wurde in den 60er-Jahren entdeckt

1943 als Anthony Fitzgerald in Conisbrough bei Sheffield geboren, zeigte Tony Christie (Filmstar Julie Christie inspirierte den Künstlernamen) im Schulchor erstes Können. In den Swinging Sixties sang er in Bands und nahm 1966 mit den Trackers seine erste Single, „Life’s Too Good To Waste“, auf: „Wir hatten seinerzeit leider keinen Gitarristen, stießen aber auf einen jungen Studiomusiker, der den Song trotz schlimmer Erkältung und laufender Nase mit uns aufnahm.“ Der junge Gitarrist wechselte übrigens kurz darauf zu den Yardbirds und gründete dann eine eigene Band, Led Zeppelin: Jimmy Page.

Ende der 60er-Jahre wurde Christie bei einem Trackers-Konzert von Talentsucher und Pop-Manager Harvey Lisberg (Herman’s Hermits, Julie Driscoll, 10cc) entdeckt und als Solist aufgebaut. Doch trotz gleich dreier Single-Hits 1971 in England, „Las Vegas“, „I Did What I Did for Maria“ und „Is This the Way to Amarillo?“, war ihm in der Heimat keine große Karriere vergönnt. Obwohl er dort nie aufhörte, Alben und Singles zu veröffentlichen, sang er jahrzehntelang unter dem Radar.

Tony Christie bei einem Auftritt Mitte der 70er-Jahre.
Tony Christie bei einem Auftritt Mitte der 70er-Jahre. © Monitor Picture Library/ picture alliance / Avalon/Retna

Benefiz-Single von Christie startete richtig durch

In Kontinentaleuropa, vor allem in der Schlagernation Deutschland, lief es deutlich besser, sogar noch in den 90er-Jahren, als er mit Produzenten-Gigant Jack White zusammenarbeitete für Alben wie „Calypso And Rum“ (1994) oder „Weihnachten mit Tony Christie“. Seinen zweiten Frühling durfte Tony Christie allerdings doch in England erleben: 2005 wurde „Is This The Way To Amarillo?“ von Christie und Komiker Peter Kay neu aufgenommen – als Benefiz-Single für die wohltätige Organisation Comic Relief. Seit 1986 veröffentlicht die jährlich einen Song und spendet die Einnahmen für Projekte in Afrika. So gelang Tony Christie zum ersten Mal ein erster Platz in den UK-Charts.

Doch obwohl „Is This the Way To Amarillo?“ für Christie so bedeutsam ist, hat er sich nie auf diesem Hit ausgeruht, sondern sich bis ins höhere Alter Neugier und Aufgeschlossenheit für neue Rock- und Pop-Generationen bewahrt. Seine Konzerte in Glastonbury sind schon Beweise, ein noch deutlicherer ist sein 2008 erschienenes Album „Made In Sheffield“, eine Hommage an die Arbeiterstadt und ihre Musikszene.

Christie: „Hamburg ist meine deutsche Lieblingsstadt"

In Zusammenarbeit mit angesagten Rock-Größen wie Richard Hawley und Arctic Monkeys präsentierte Christie elf neue Songs und Coverversionen von Pulp, The Human League und Mark Sheridan. „Eine unerwartete Freude und ein wirklich großartiges Album“, fasste der „New Musical Express“, eigentlich eher die Bibel für den heißen Scheiß von Morgen als von Gestern, die Platte und ihr allgemeines Kritikerlob für Christie als Sänger und auch als Songschreiber zusammen. Christie ist jedenfalls heute sicher: „Meine Stimme ist besser denn je.“

In Hamburg trat er zuletzt im November 2019 auf, damals im Rahmen einer „Abschiedstournee“. Abwarten. Seit er 1971 spontan eine Rückreise von Austra­lien nach London in Hamburg unterbrach, um hier einen Preis für seinen ersten Hit entgegenzunehmen, kommt er immer wieder gern: „Hamburg ist meine deutsche Lieblingsstadt. Sie ist einfach … very British.“

Übrigens trat beim Glastonbury Festival 2009 am gleichen Tag wie Tony Christie auch ein gewisser Tom Jones auf. Der wäre doch auch ein Kandidat für die Spielzeit-Eröffnung 2023 im Hansa-Theater, oder?

Varieté im Hansa-Theater Do 27.10. bis So 26.2., Di–Fr 19.30, Sa 15.30 und 19.30, So 14.30 und 18.30, Karten ab 44,90, Hansa-Theater, Steindamm 17, T. 47 11 06 44; www.hansa-theater.com Hamburger Abendblatt Spezial für Leserinnen und Leser Sa 5.11., 20.00, Karten zu 75,-/65,- inkl. Begrüßungsgetränk, hanseatisch-bayrische Brotzeit, Dessert, Programmheft und Garderobengebühr in der Hamburger Abendblatt Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32, Mo–Fr 9.00–18.00, Sa 10.00–16.00, T. 30 30 98 98Tony Christie – The Greatest Hits Fr 28.10., 19.30, St. Pauli Theater (S Reeperbahn), Spielbudenplatz 29-30, Karten ab 24,90, T. 47 11 06 66; www.st-pauli-theater.de