Hamburg. Der Regisseur spricht über seinen neuen Film „Rheingold“, ungewöhnliche Rollenbesetzungen, Hark Bohm und Marlene Dietrich.

An Schauspieler Emilio Sakraya klebt das Image eines Filmschönlings, und denen traut man keine große Bandbreite zu. Aber das wird man nun anders sehen. Am Donnerstag startet der neue Film von Erfolgsregisseur Fatih Akin, „Rheingold“: ein Biopic über Giware Hajabi, der in Deutschland erst als Goldräuber von sich reden machte, bevor er sich als Rapper und Musikproduzent Xatar neu erfand.

Fathik Akin erweist sich bei "Rheingold" erneut als großer Talentscout

Immer wieder erzählt Akin in seinen Filmen über Einwanderung, Assimilation und Fremdsein. Da passt diese Geschichte bestens ins Œuvre. Akin erweist sich damit auch einmal mehr als großer Talent-Scout. Weil er Sakraya die Titelrolle zutraute – wofür dieser sich eine Glatze rasieren und reichlich Pfunde anfressen musste. Wir haben mit Fatih Akin über seinen Film gesprochen – und über ein weiteres Projekt, das neugierig macht.

Wie kamen Sie darauf, die Autobiografie des Rappers Xatar zu verfilmen? Kannten Sie sich schon?

Fatih Akin: Moritz Bleibtreu hat uns mit­ein­ander bekannt gemacht. Moritz hatte „Nur Gott kann mich richten“ von Özgür Yildirim produziert, zu dem Xatar Musik beigesteuert hat, und „Familiye“ von Sedat Kirtan und Kubilay Sarikaya, wo Xatar mitgespielt hatte. Wir schwirrten also schon eine Weile umeinander herum. Ich mochte auch seine Musik. Und als ich seine Autobiografie gelesen habe, hatte ich sofort eine Vision für einen Film.

Ist das eine andere Herausforderung, wenn man einen Film über eine noch lebende Persönlichkeit dreht? Sie wollen dem Publikum, müssen aber auch der Person gerecht werden: Ein zusätzlicher Stressfaktor?

Wenn jemand schon gestorben ist wie der Frauenmörder Fritz Honka in „Der Goldene Handschuh“, bist du natürlich viel freier. Hier war das anders. Dabei hat Xatar gar nicht gestresst. Überhaupt nicht! Es gab keine Form der Zensur, nicht einen Moment, wo er sich falsch dargestellt fühlte. Er war schlau genug, mir zu vertrauen. Aber viele Leute in seinem Umfeld, die ja auch vorkommen – seine Eltern, seine Kumpels –, musste man auch für dieses Projekt gewinnen. Deren Vertrauen zu erlangen hat viel Feingefühl erfordert.

Und wie darf man sich das vorstellen? Schaute Ihnen Xatar bei den Dreharbeiten über die Schulter? Wollte er Einfluss nehmen darauf, wie er dargestellt wurde? Oder hatten Sie alle Freiheiten?

Er hat mir komplett die Freiheit gelassen. Aber ein Film lebt von seinen Details. Am Ende ist es wie bei „Avatar“, du tauchst als Zuschauer in eine fremde Welt ein. Da brauchte ich jemanden, der diese Welt auch bis ins Kleinste kennt. Denn ich habe keine Ahnung, was die richtigen Sneakers oder Jogginganzüge sind, die diese Jungs trugen. Xatar schon. Deshalb war er immer an meiner Seite, quasi als Berater.

Und wie sieht er den fertigen Film? Fühlt er sich richtig getroffen? Hat er dabei womöglich sogar noch etwas über sich gelernt?

Er ist sehr berührt von dem Film. Emotional war er ganz schön erschlagen, gerade wenn es um die Fluchtgeschichte und die spätere Trennung seiner Eltern ging. Das sind Eckpunkte in meiner Erzählung, und so was weiß ich ja auch emotional zu erzählen. Ich glaube, das hat er so nicht erwartet. Er hat wohl auch nicht gedacht, dass der Film so gut wird.(lacht)

Für einen Film über einen Musiker kommt erstaunlich wenig Musik vor. Denken Sie, das ist ohnehin bekannt? Hat Sie die kriminelle Vorgeschichte mehr interessiert?

Mich hat in der Tat nicht so sehr der Rapper interessiert. Sondern, wie er dazu kam und wovon er rappt. Was er erlebt hat, ist so außergewöhnlich, da wäre es ganz egal, ob er ein Unternehmer oder Maler geworden wäre. Aber diese Geschichte musste raus. Natürlich ist er Rapper, ich musste den Fans also gerecht werden. Und ich mag Rapmusik ja auch. Aber der Film sollte auch funktionieren für ein Publikum, das mit Rapmusik nichts anfangen kann.

Xatar ist heute ein angesehener Musikproduzent, manche rümpfen aber die Nase wegen seiner kriminellen Vergangenheit. Kommen bei einem solchen Film womöglich die Frage auf, ob man das heroisiert?

Ich glaube, das sind Ressentiments. Wenn ich einen Film über Dagobert gemacht hätte, würde das auch keiner fragen. Ich habe das auch bei „Der Goldene Handschuh“ über den Frauenmörder Fritz Honka nicht erlebt. Aber hier gibt es so einen Reflex, dass die Moral hinterfragt wird. Das hat mit Rassismus zu tun. Ich glorifiziere nicht, urteile aber auch nicht. Ich interessiere mich sehr für diese Geschichte und versuche sie mit vielen Fragezeichen zu verstehen und zu erzählen.

Sie verbinden Xatar mit dem Rheingold und Rapmusik mit Wagner. Das sind Anklänge an urdeutsche Mythen. Ist Xatars Geschichte für Sie eine Art moderner Mythos?

Ich setze mich in meiner Arbeit immer auch mit Deutschland auseinander. Ich glaube, „Rheingold“ ist der deutscheste Film von allen, weil er einen so großen Bogen schlägt. Es geht um Einwanderung, um Integration in Bonn, das damals noch Bundeshauptstadt war. Und ich habe immer nach einer eigenen Identität für den Film gesucht, ich wollte nicht, dass er „Alles oder nix“ heißt wie Xatars Autobiografie. Nicht nur, weil ich schon einen Film gemacht habe, der „Aus dem Nichts“ heißt. Und Xatar ging eben in Bad Godesberg aufs Gymnasium. Von da aus stößt man schnell auf den nahen Drachenfelsen und die Herkunft der Nibelungen. Und da fiel mir das wie Schuppen vor die Augen, weil Xatar ja diesen spektakulären Überfall verübt hat, bei dem man bis heute nicht weiß, wo das Gold geblieben ist. Egal in welches deutsche Getto du mit ihm gehst, überall stürmen Achtjährige auf die Straße und rufen: Xatar, wo ist das Gold? Das ist schon ein eigener Mythos geworden. Ich bin froh, dass ich diese Parallelen erkannt habe.

Wie sind Sie auf Emilio Sakraya als Xatar gekommen? Er drängt sich nicht gerade auf, ist eher auf romantische Parts festgelegt.

Meine Frau schlug ihn vor. Sie macht ja immer die Castings in meinen Filmen. Und sie castet nie, wie so viele, Schauspielerkataloge von angesagten Agenturen herunter. Sie sieht nur die Figuren und fragt mich nur, ob der Film eher dokumentarisch oder glamouröser sein soll. Ich wollte diesen Film schon bigger than life. Dann schlug sie Emilio vor. Ich war erst ein bisschen entsetzt, weil er viel zu gut aussieht. Aber sie hat mich überzeugt, ihn zum Vorsprechen einzuladen. Und da hat er uns alle begeistert, mit seiner Kraft, seiner Spielfreude. Er wollte das wissen, wollte sich Gewicht anfressen, Muskelmasse antrainieren, wollte sich eine Glatze rasieren, so sprechen und sich so bewegen wie Xatar. Er hat das als große Chance gesehen und den Raum völlig ohne Angst gefüllt. Da wusste ich, er hat die Eier dazu. Es wäre falsch gewesen, ihn nicht zu besetzen.

Sakraya ist nicht der Erste, der bei Ihnen kaum wiederzuerkennen ist. Jonas Dassler spielte in Ihrem „Goldenen Handschuh“ seine erste Hauptrolle. Diane Krüger wurde vor „Aus dem Nichts“ nicht unbedingt als Dramatikerin gesehen. Ist das eine Gabe, Kräfte zu erspüren, die sonst keiner sieht, und gegen den Strich zu besetzen?

Es ist nicht mein Hauptaugenmerk, Leute gegen den Strich zu besetzen. Ich will nur immer dem Material dienen. Wenn ich etwas in Jonas, Emilio oder eben Diane sehe, dann hat das mit meiner Vision der Figur zu tun, die sie spielen sollen. Oder sie bringen etwas mit, was ich so noch nicht gesehen habe. Wo ich denke: Wenn ich das benutze, macht es das Spektrum breiter. Wenn du jemanden gegen den Strich besetzt, verschafft das natürlich zusätzliche Neugier. Es starten jede Woche so viele Filme. Da musst du jedes Reiskorn nutzen, das sich abhebt von dem, was da draußen so kursiert.

Bald drehen Sie erneut mit Diane Kruger, diesmal eine Serie über Marlene Dietrich. Das verspricht Glamour und Historie, ist aber ein Stoff, der sich etwas abhebt von Ihren üblichen Themen. Was reizt Sie daran? Und wie wird daraus ein Akin-Projekt?

Das weiß ich noch nicht genau. Ich arbeite erst daran. Aber ich habe mich erst dafür entschieden, als ich zwei Eckpunkte fand. Marlene, die Migrantin, wie sie als Deutsche Amerikanerin wird. Einwanderung und Assimilation, das ist schon ein bisschen mein Thema. Und dann geht es um die Antifaschistin. Da stand sie ja ziemlich einsam und direkt an der Front. Das sind Magnetismen, die mich anziehen.

Aber zuerst drehen Sie „Amrum“ über die Kindheit Ihres wiederholten Koautors Hark Bohm. Er schreibt auch mit am Drehbuch.

Es war sein Projekt, er wollte den Film drehen und ich ihn nur produzieren. Aber aus vielerlei persönlichen Gründen ging das nicht. Deshalb hat er mich gefragt, ob ich übernehmen würde. Und ich meinte: Nur mit dir zusammen. Das ist ein Experiment: Ich versuche, einen Film zu machen, als wäre er von ihm.

Honka, Xatar, Hark Bohm und dann noch Marlene Dietrich – da stellt sich die Frage: Werden Sie zum Filmbiografie-Experten?

Das scheint sich gerade so zu ergeben. Ich habe auch viele Originalideen, aber für die brauche ich mehr Zeit, das Material muss erst reifen. Und das Leben schreibt einfach immer die besten Geschichten. Deshalb bieten Biografien immer die innovativsten Dramaturgien.