Hamburg. Beate und Serge Klarsfeld sind zum Filmfest nach Hamburg gekommen. Gefeiert wurden sie für ihr Lebenswerk.
Erste Sätze sind wichtig, sie lenken den Blick. Der erste Satz in Mike Lerners und Martin Herrings Dokumentarfilm „Klarsfeld: A Love Story“ lautet so: „Wir hatten Erfolg, weil wir glücklich waren.“ Und ausgesprochen wird er von Serge Klarsfeld, dem französischen, jüdischen Historiker und Juristen, der 1935 in Bukarest geboren wurde und als Kind mit seiner Familie vor den Nazis nach Nizza fliehen musste. Sie entkamen ihnen nicht. 1943 standen die Deutschen vor der Tür. Serge Klarsfeld, seine Mutter und Schwester versteckten sich hinter einer doppelten Wand. Der Vater opferte sich, damit die Häscher keinen Verdacht schöpften. Er starb dann in Auschwitz, ermordet von den Deutschen. Für Serge Klarsfeld war es der Verlust seines Lebens.
Und dieser Mann, jetzt weit über 80, sagt also, er habe ein glückliches Leben gehabt? Ein erfolgreiches dazu, aber das ist vielleicht weniger verwunderlich. Erfolg kann ja eine Lücke füllen. Es ist das „Glück“, das begrifflich haften bleibt, und man weiß ja, als historisch halbwegs Gebildeter, auch ohne diesen neuen, im Übrigen großartigen Film, der jetzt als Weltpremiere auf dem Filmfest Hamburg gezeigt wurde, was für ein Leben Serge Klarsfeld führte, es war in beinahe jederlei Hinsicht bemerkenswert.
Filmfest Hamburg: Das Leben der Klarsfelds ist in der Tat Filmstoff
So bemerkenswert, dass man spätestens im Kinosaal daran erinnert wird, wie Netflix-tauglich die ganze unwahrscheinliche Biografie Serge Klarsfelds ist. Sein Leben ist in der Tat Filmstoff – und das seiner Frau Beate Klarsfeld, die 1939 in Berlin geboren wurde und einst die berühmteste Ohrfeige der deutschen Geschichte verabreichte.
1968 war das: Beate Klarsfeld, eine wahre deutsche Heldin, griff auf der Bühne des CDU-Parteitags den damaligen deutschen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, ein ehemaliges NSDAP-Mitglied, tätlich an. Eigentlich ein ungeheuerlicher Vorgang, der Beate Klarsfeld ein Jahr Haft einbrachte, das sie aber aufgrund ihrer französischen Staatsbürgerschaft (seit 1960 lebte sie in Paris) nicht antreten musste. Aber es war eben auch eine hoch symbolische Aktion, zu der Mut gehörte. Zum Beispiel der Mut, es auf sich zu nehmen, im Geburtsland fortan erst mal als Nestbeschmutzerin zu gelten.
Klarsfelds sind das Powerpaar des Antifaschismus
Und das sind die Klarsfelds in den vergangenen Jahrzehnten ja immer gewesen, daran erinnert der Dokumentarfilm eindrücklich: völlig unerschrockene Kämpfer gegen Antisemitismus und Rassismus, das Powerpaar des Antifaschismus. Serge Klarsfeld, der Holocaust-Überlebende, und Beate Klarsfeld, die Frau aus dem Täterland, dokumentierten vor allem die Taten der Nazis in Frankreich, und sie spürten sie in Lateinamerika auf, zum Beispiel Klaus Barbie, den „Schlächter von Lyon“. Erst auf ihre Initiative hin wurde Barbie Mitte der 1980er-Jahre in Frankreich der Prozess gemacht.
Auf der Leinwand betrachten konnten sich die Klarsfelds schon öfter, mehrere Filme widmen sich ihrem speziellen Leben. In Hamburg sitzen sie bei der Premiere im Metropolis in der ersten Reihe. Und weil Kinosäle eng sind und ab einem bestimmten Zeitpunkt auch ein bisschen stickig, hat man sofort etwas Mitleid mit ihnen. Aber sie sind fraglos die elegantesten Besucher, und die Würde des Alters überlagert ohnehin jede Gefühlsregung, die etwas über die Beschwernisse solcher Auftritte aussagen könnte.
Hamburger Publikum feiert Serge und Beate Klarsfeld
Man kann nicht sagen, ob sie das etwas zu lachbereite Hamburger Publikum – die englische Produktionsfirma heißt Roastbeef Productions, haha – anfänglich enervierend fanden. Den lange anhaltenden Applaus nahmen Serge und Beate Klarsfeld, die Nazijäger und Gedenkenaufrechterhalter, jedenfalls gerne entgegen. Der Saal feierte sie für ihr Lebenswerk, so wie es auch der Film „Klarsfeld: A Love Story“ tut; auf eine stille, berührende Art und Weise.
Man sieht dort Serge Klarsfeld, der zusammen mit seiner Frau ein Buch über 44 in Auschwitz ermordete französische Kinder geschrieben hat, wie er sich über die Fotoaufnahmen der Toten beugt. Ein Moment, in dem er um Fassung zu ringen scheint. Klarsfeld, dem der Vater in der Kindheit weggemordet wurde, hat sein Leben der Aufgabe verschrieben, die Toten vor dem Vergessen zu bewahren.
Einen Tag nach der Premiere zieht er auf Nachfrage des Abendblattreporters nur, was die Lage der Juden in der Welt („Antisemitismus gibt es immer noch, er geht aber hauptsächlich vom fundamentalistischen Islam aus“) angeht, ein einigermaßen positives Fazit. „1945 haben wir nicht zu hoffen gewagt, dass wir insgesamt in Europa so lange in Frieden leben können, jetzt wird es vielleicht den dritten Weltkrieg geben“, sagt Klarsfeld in einem Konferenzräumchen des Grand Elysée.
2015 erhielten die Klarsfelds das Bundesverdienstkreuz
Er wirkt, als habe er keine Zeit zu verlieren; wenn seine Frau Beate auf Deutsch spricht, sortiert und markiert er seine Unterlagen. Sie sind so lange unterwegs gewesen im Dienste ihrer Aufgabe, sind Bombenanschlägen entgangen, haben Ehrungen erhalten und sind dabei zur Marke geworden. Sie sind als Zeitzeugen gefragt, in Frankreich noch mehr als in Deutschland. Ist sie in Deutschland eigentlich berühmt genug, die Berlinerin Beate Klarsfeld?
Sie sei, sagt Klarsfeld, die alte Dame, die sich dieser Tage so massiv in einer jüngeren Version ihrer selbst begegnet, „schon ab den Achtzigern nicht mehr die Nestbeschmutzerin“ gewesen, früh hätte ihr die deutsche Politik bei ihren Projekten Unterstützung widerfahren lassen. Manchmal muss sie während des Interviews ihren Mann verbal anstupsen; schau, du bist mit dieser Frage jetzt auch gemeint, hör zu!
Es ist aber auch ein ziemliches multilinguales Gemisch. Weil Filmemacher Mike Lerner auch mit am Tisch sitzt, springt Beate Klarsfeld vom Englischen ins Deutsche ins Französische. Sie erzählt von ihren Kindern, der Sohn macht als Jurist Karriere und war Berater Nicolas Sarkozys, die Tochter ist auch Juristin und lebt mit ihrer Familie in Rom. 2012 wurde Beate Klarsfeld, die sich mal als „Hausfrau und Aktivistin“ bezeichnete, von der Linkspartei als Präsidentschaftskandidatin nominiert, sie unterlag Joachim Gauck. Aber es war eine späte deutsche Anerkennung ihrer Arbeit. 2015 erhielt sie mit ihrem Mann das Bundesverdienstkreuz in der deutschen Botschaft in Paris. Immerhin, scheint in ihren Worten mitzuschwingen.
- Filmfest: Fatih Akin (fast) allein unter Gangsterrappern
- „Ich hatte das Gefühl, wenn ich gehe, fällt Kiew“
- Kinderfilmfest-Eröffnung im Abaton: Frei-Eis für alle
Beate Klarsfeld: "Wir waren als Familie immer glücklich"
Ihre Sätze, auch die auf der Metropolis-Bühne, beendet sie oft mit einem „Voilà“. Und man hat natürlich den Eindruck, und so nehmen sie auch die anderen Besucherinnen und Besucher im Kino wahr, dass mit Serge und Beate Klarsfeld die Geschichte selbst, mit ihren Untiefen, dem blutigen Morast, den Traumata, Tiefpunkten, Brüchen, Hoffnungen, in diesen Tagen durch Hamburg wandelt.
Auf der Leinwand ist Serge Klarsfeld einmal – da ist er in Berlin, um eine Shoah-Ausstellung im Bundestag auf den Weg zu bringen – sichtlich erschöpft, der Weg zum Restaurant ist viel zu lang. Er sei zu alt für sowas, mault Klarsfeld, und das macht dann deutlich, das die Herumreiserei, dass dieses ganze intensive Leben halt auch ihren Preis hatten. Der Film ist gut darin, die großen, mutigen Momente der Klarsfelds, im Gerichtssaal von Lyon etwa, ihr Erbe in den Geschichtsbüchern, gegen die kleinen alltäglichen zu schneiden. Als der alte Serge in Auschwitz durch die Gedenkstätte läuft, ruft Beate einstweilen vergeblich seinen Namen.
Ob sie etwas anders machen würden, könnten sie ihr Leben noch einmal leben – eine klassische Frage an Menschen im Spätherbst des Lebens. Der 87-jährige Serge Klarsfeld sagt dann ein paar gar nicht pathetische Worte in seinem französischen Englisch, die zeigen, warum der Dokumentarfilm genau mit jenem programmatischen Satz über das Glück beginnen muss: „Ich habe glücklich gelebt mit meiner deutschen Frau, und ich entkam der Shoah. Wir konnten aus unserem Gebiet viel erreichen. Aus unseren Kindern ist etwas geworden. Wir waren als Familie immer glücklich und von unseren Tieren umgeben.“
Filmfest Hamburg: Beate Klarsfeld lässt ihrem Mann auch im Film öfter den Vortritt
Das sind in dieser Einfachheit, die beinah etwas Existenzielles hat, schöne Sätze, und man sieht aus dem Augenwinkel, wie sanft ihn seine Ehefrau ansieht, als Serge Klarsfeld sie ausspricht. Auch im Film ist das in vielen Szenen so, sie lässt ihm öfter den Vortritt, ohne je übertrieben zurückhaltend zu wirken.
Als deutscher Part in diesem auf so eminent wichtige Weise geschichtsbesessenen bilateralen Tandem ist Beate Klarsfeld seit Jahrzehnten das Gesicht des Anstands. Sie sei, hat Klarsfeld oft erzählt, erst durch ihren Mann – sie hat ihn während ihrer Zeit als Au-pair in der Pariser U-Bahn kennengelernt – dominant auf das Thema der deutschen Vergangenheit gestoßen worden. Im Film sagt die junge Klarsfeld mit Nachdruck und auch rhetorischem Geschick, dass sie eine deutsche Patriotin sei, die ihr Land moralisch rehabilitieren wolle. Damit gab sie ein Beispiel ab und nahm vieles von dem vorweg, was in Sachen Vergangenheitsbewältigung und Opfergedenken in Deutschland insgesamt doch ziemlich gut gelaufen ist in den vergangenen Jahrzehnten.
Sorgen um künftige Wahlerfolge der AfD macht sich die Frau, die unbeirrbar und mit einigem Recht weiter vor Neurechten und Populisten warnt, aber dennoch. Man müsse immer einen Weg zwischen linksextrem und rechtsextrem finden, erklärt Beate Klarsfeld.
„Meine Frau“, sagt Serge Klarsfeld einmal bei seinem Hamburg-Besuch, „hatte ein starkes nationales Empfinden, sie liebte Berlin – und sie entschied sich, eine gute Deutsche zu werden wie Hans und Sophie Scholl“.