Hamburg. Die britische Sängerin feierte beim ausverkauften Konzert mit ihren Fans 40 Karrierejahre. Ihr Outfit war ein Fall für die Modepolizei.

„Lasst uns die 80er-Jahre feiern“, ruft Kim Wilde ihren Fans am Mittwochabend in der ausverkauften Fabrik zu. Dieser Aufforderung hätte es gar nicht bedurft, denn das ist ja der Grund, warum sich die Zuhörer – überwiegend Generation Ü50, mehr männliche als weibliche – vor die Bühne drängen.

Die britische Popsängerin, Jahrgang 1960, hat ein Outfit gewählt, bei dem eigentlich die Modepolizei einschreiten müsste. Sie trägt ein jackenähnliches Oberteil in Rot und Schwarz, besetzt mit Strass und auf dem Rücken mit kurzen Fransen. Ins Gesicht weht ihr eine steife Brise, Ventilatoren bringen ihre langen blonden Haare zum Flattern und sorgen auf der engen Bühne für ein wenig Abkühlung. Ihr Bühnenkostüm im 80er-Jahre-Stil entspricht dem Anlass, denn gefeiert wird eine 40-jährige Karriere im Showbusiness.

Kim Wilde singt in der Fabrik – und alle singen mit

1981 landete Wilde mit „Kids In America“ ihren ersten Hit, und auch ihr Debütalbum rangierte auf vorderen Charts-Plätzen. Mit nur drei Alben wurde sie zu einem Shootingstar. Halb Europa tanzte zu Songs wie „Chequered Love“, „The Second Time“ und „Water On Glass“, in dem sie über einen Tinnitus singt. Ohrwürmer waren auch ihre nachdenklicheren Songs „View From A Bridge“, das den Suizid eines jungen Mädchens thematisiert, und „Cambodia“, ein Liebeslied mit politischem Hintergrund.

Jedes dieser Stücke hat sie natürlich im Repertoire. Ihr Auditorium singt die Refrains mit, die Botschaft geht vielleicht verloren, doch das ist an diesem Abend egal. Es geht um Party und nostalgisches Erinnern an eine weit zurückliegende Jugend.

Kim Wilde hat sich ihre natürliche Art bewahrt

Mit ihren blonden Haaren, ihrem Schmollmund und ihrer Schüchternheit war Kim Wilde ein Idol, in das man sich leicht verlieben konnte. Sie besaß nicht die Coolness von Blondie, sondern wirkte wie ein Mädchen aus der Nachbarschaft – nicht völlig unerreichbar. Diese Aura war ein wichtiger Baustein ihrer frühen Karriere. 1983 schaffte sie es sogar auf den Titel von „Spex“, eines Musikmagazins, das seine Themen eher in der subkulturellen Musik suchte und nicht im Mainstream-Pop.

Kim Wildes Synthie-Pop war tanzbar und mitreißend, die Refrains waren eingängig und mitsingbar – und das sind sie bis heute. Ihre natürliche Art hat sie sich bewahrt. Charmant plaudert sie in der Fabrik mit den Fans über Hamburg, „this great city of Rock ’n’ Roll“, lobt die Schönheit der Stadt und erzählt von einem Spaziergang durch Planten un Blomen. Nicht überraschend, dass sie ihren Nachmittag dort verbracht hat, denn nach einem Karriereknick Mitte der 90er-Jahre wurde sie zu Großbritanniens bekanntester Gärtnerin mit eigener Fernsehshow.

Kim Wilde steht mit Nichte und Bruder auf der Bühne

Ihr Fabrik-Konzert läuft mit wahnwitzigem Tempo ab. Pünktlich um 20 Uhr kommt sie mit ihrer sechsköpfigen Band auf die Bühne und legt mit „Rage To Love“ los. Zeit zum Durchatmen für die Musiker bleibt nur, wenn sie eine Ansage macht, ansonsten gibt es keine Pausen zwischen den 22 Songs auf der Setliste.

Berühmt geworden ist Kim Wilde mit dem Sound von Synthesizern. In der aktuellen Besetzung setzt Wilde jedoch auf Gitarren und verzichtet weitgehend auf den typischen Keyboard-Klang. Das gibt den Songs eine rockigere Attitüde. Außerdem sitzen im Hintergrund der Bühne ein Schlagzeuger und eine Schlagzeugerin (Jonathan Atkinson und Emily Dolan Davies), die den Rest der Band knüppelhart antreiben, denen allerdings eine gewisse Lässigkeit völlig abgeht.

Mit auf der Bühne stehen auch Kim Wildes Nichte Scarlett als Backgroundsängerin und ihr Bruder Ricky. Bei ihm bedankt sie sich besonders, denn er ist die entscheidende Person für ihre Karriere: Ricky Wilde hat viele ihrer Hits geschrieben, die Alben produziert und sie auf der Bühne unterstützt.

Neben den großen Hits sind auch drei Nummern von Wildes Album „Here Come The Aliens“ zu hören, 2018 erschienen und damals in der Großen Freiheit 36 präsentiert. Und ein paar Songs aus den späten 80er- und 90er-Jahren wie „Love Is Holy“ und „Four Letter Word“, die sie neu ins Programm genommen hat und nicht oft singt.

Eine ihrer stärksten Nummern ist immer noch das Cover des Motown-Klassikers „You Keep Me Hanging On“, das sie ans Ende des Konzerts gesetzt hat – vor den Zugabenteil. Nach „Pop Don’t Stop“ und „You Came“ gibt es zum Schluss endlich „Kids In America“, ihre erste Single. Noch einmal rasten ihre Fans aus und feiern Kim Wilde und ihre Band enthusiastisch. Nach 100 Minuten 80er-Party sieht man nur zufriedene Gesichter.