Hamburg. Das neue Hamburger „Sorbet Lesefest“ kombiniert Literatur mit Gaumenfreuden: Zum Beispiel Bienenstich mit Buchpreis-Kandidatin.
Wie lässt sich am besten über Mütter nachdenken? Während man sich genüsslich einen Kuchen aus der Kindheit im Mund zergehen lässt. Möglichst einen nach Großmutters Rezept, der Mutter aller Mütter. Gaumenschmaus inspiriert die Gedankenwelt. Das ist die Devise des neuen „Sorbet Lesefests“, das zu literarischen Veranstaltungen mit kulinarischem Konzept lädt. Es können Craft Bier, Wein, chinesische Dumplings und eben Kuchen an der Weidenallee gekostet werden. Wer sich für das Café Lorenz entscheidet, dem wird Süßes aufgetischt.
Literaturfest Hamburg: Schriftstellerin stellt ihr Debüt vor
Warmer Chai-Latte-Geruch erfüllt den Innenraum, an zwei Cafétischen stehen Mikrofone bereit. Daniela Dröscher bringt ihren Roman „Lügen über meine Mutter“ mit, der auf der Shortlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises steht. Kuchenwunsch: Bienenstich. „Es gibt wohl keinen Kuchen, der mehr für das Kleinbürgertum steht“, begründet Dröscher lachend ihre Wahl und gibt schon den ersten Hinweis auf ihre Geschichte. Gün Tanks Debüt trägt den Titel „Die Optimistinnen“. Ihr Kuchenwunsch: Schoko. Beide Schriftstellerinnen haben mehr gemeinsam, als an diesem Tag zur selben Zeit im selben Café zu sitzen. Ihre Werke versuchen gleichermaßen eine Wahrheit zu verstehen, die ihre Mütter umgibt.
Daniela Dröscher erzählt in ihrem Roman vom Alltag einer Familie in den 80er-Jahren im Hunsrück, in der das Körpergewicht der Mutter zum Problem wird. Von der Außenwelt gedemütigt, plagt diese sich von Diät zu Diät – wahrgenommen und verarbeitet in Rückblenden und aus der Perspektive der Tochter. Dröscher lässt ihr kindliches Alter Ego die Jahre, in denen sich dieses „Kammerspiel mit Namen Familie“ abspielt, noch einmal durchleben.
Literaturfest Hamburg: Gastarbeiterinnen bei Gün Tank im Vordergrund
Gün Tank widmet sich der Geschichte der Gastarbeiterinnen. Ihre Protagonistin Nour kommt 1972 aus Istanbul nach Deutschland, in ein Wohnheim in der Oberpfalz. Jung und voller Kraft setzt sie sich für die Rechte der Arbeiterinnen ein. Natürlich sei ein Teil der Geschichte ihrer eigenen Mutter darin enthalten, aber es sei vor allem ein Verschmelzen verschiedener Frauen, die sie im Laufe ihres Lebens kennengelernt habe, erklärt Tank. „Und die alle – ich schien mein Interesse auf der Stirn stehen zu haben – offen ihre Geschichte teilten.“ Mit ihrem Roman will Gün Tank die arbeitenden, starken und mutigen Frauen zeigen, die das Land mit aufbauten und veränderten.
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Je weiter der Abend fortschreitet, desto klarer zeigt sich, wie unterschiedlich die Protagonistinnen in den Romanen sind – Mutterfiguren sind komplexe, vielschichtige Charaktere. Kleine und große Akte der Rebellion treffen auf Fragen wie: Wofür kämpfen Mütter seit Generationen? Welches Bild von Verantwortung und Fürsorge halten sich selbst gegenüber aufrecht? Und welches geben Mütter an ihre Töchter weiter?
Im Roman von Daniela Dröscher finden sich übrigens 39 Stellen mit dem Wort „Kuchen“, bei Gün Tank kommt er zwei Mal vor. Frischer Hefekuchen, von dem die zu dunklen Streusel in der Kindheit genascht werden. Sahnetorte, die Nour in einem Berliner Café serviert bekommt, als sie versucht, sich in Deutschland zurechtzufinden. Ein köstlicher Abend – und der Kuchen ist ebenso gut.