Mehr als vier Jahre folgte Suter eine Filmcrew: Ab Donnerstag läuft der Streifen im Kino. Das sagt der Bestsellerautor über die Doku.

Martin Suter ist ein Erfolgsgarant. Seine Bücher werden verlässlich zu Bestsellern, Romane wie „Lila, Lila“ und „Die dunkle Seite des Mondes“, aber auch die „Allmen“-Krimis. Die meisten wurden erfolgreich verfilmt, nun aber wurde der Schweizer Autor selbst zum Filmstoff.

Für die Dokumentation „Alles über Martin Suter. Außer die Wahrheit“ hat André Schäfer den Schriftsteller vier Jahre lang immer wieder besucht und gefilmt. An diesem Donnerstag kommt der Film ins Kino,
wir haben vorab per Videokonferenz mit Martin Suter gesprochen.

Herr Suter, Sie sind seit Langem ein Star der Literaturszene. Nun sind Sie auch der Star eines Films. Wie fühlt sich das an?

Martin Suter: (lacht) Also, als Filmstar fühle ich mich nicht. Aber das fühlt sich schon gut an. Ich war anfangs etwas skeptisch, ob der Film gut wird. Das Konzept von André Schäfer war ja gewagt. Aber jetzt bin ich froh, dass ich keine Sekunde gezögert habe. Ich hätte allerdings auch nicht gezögert, wenn das ein ganz konventioneller Film geworden wäre. Wer bekommt schon einen Kinofilm über sich?

Autoren, sagen Sie im Film, sollten nicht über sich selbst schreiben. Nun folgte Ihnen ein Filmteam mehr als vier Jahre lang, bei Lesungen, Konzerten und auch ganz privat, und befragte Sie zu Ihrem Werdegang.

Das klingt jetzt extremer, als es ist. Das ging zwar über diesen Zeitraum, aber das waren immer nur wenige Anlässe. Insgesamt vielleicht gerade mal 20 Drehtage. Das Team war sehr klein und angenehm. Ich habe das gar nicht richtig wahrgenommen. Außer wenn ich dafür geschminkt und interviewt wurde. Aber André brachte es auch dann fertig, dass man sich nicht in einem Interview fühlt. Das waren einfach angenehme Gespräche. Ich habe immer vergessen, dass ich in einem Film bin.

Dann staunen Sie im Kino vielleicht selber, was Sie da tun?

Ja, wirklich. Das glaubt mir niemand, dass das nicht gestellt ist. André fragte frech: Du warst ja Werbetexter, wie würdest du diesen Film nennen? Ich meinte noch, das könne man nicht so aus dem Ärmel schütteln und sagte dann was. Und er nahm es dann als Titel! Da habe ich erst gestutzt, aber inzwischen finde ich den Titel ganz gut. Weil er viel mit mir zu tun hat. Wie ich arbeite. Und was mir so rausrutscht, wenn ich gedrängt werde, etwas zu sagen.

Der Titel lautet „Alles über Martin Suter. Außer die Wahrheit“. Ist das nur Ironie oder werden tatsächlich Unwahrheiten erzählt?

Na, das verrate ich Ihnen natürlich nicht! Das wäre ja falsch gelogen. (lacht) Aber viele, die den Film gesehen haben, meinen, der Titel stimmt nicht. Es sei alles die Wahrheit. Sehr viel ist ganz spontan entstanden. Die meisten Szenen wurden nur einmal gedreht. Suter, die 25. – das gab es bei uns nie. Das war also keine Strapaze.

Viele Autoren beschreiben ihre Arbeit als Ringen: mit der Kunst, mit sich selbst. Sie vergleichen das eher mit einem Bürojob von neun bis fünf. Das klingt sehr diszipliniert, Kommt dabei wirklich immer etwas
heraus? Und gibt es nie Schreibblockaden?

Schreiben ist schon auch ein Job. Ich habe mich immer geärgert über das Mystifizieren des kreativen Prozesses. Und habe das manchmal etwas überspitzt formuliert, dass ein Schreiber keine Schreibblockaden haben darf, weil ein Schreiner sich ja auch keine Hobelblockade leisten kann. Inzwischen bin ich da vorsichtiger geworden. Ich kann mir schon vorstellen, dass es Situationen gibt, in denen man nicht mehr schreiben kann. Schreiben war für mich immer ein sehr disziplinierter Vorgang, morgens und nachmittags, mit einer Mittagspause. Aber bei dem Buch, an dem ich gerade schreibe, arbeite ich erstmals ganz anders. (nimmt den Laptop und läuft damit durch sein Wohnzimmer). Ich schreibe nicht mehr am Schreibtisch, ich sitze hier auf dem Sofa oder wenn das Wetter schön ist, auch da drüben, und schreibe per Hand in ein reMarkable, das das dann in Druckbuchstaben umwandelt. Das ist für mich ein ganz neues Arbeiten.

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  • Sie sprechen im Film auch darüber, dass der Buchmarkt im Umbruch ist und Sie immer mehr Leser verlieren. Bereitet Ihnen das Sorgen? Nicht nur als Schriftsteller, auch für die Gesellschaft, die immer weniger liest?

    Ich glaube gar nicht, dass die Menschen weniger lesen. Sie lesen nur immer weniger Bücher. Wo immer ich bin, überall starren alle aufs Handy, schauen Filme, hören Musik, lesen Texte. Sicher nicht meine. Da ändern sich einfach Gewohnheiten. Man kann sich gegen diese Veränderungen nicht wehren, man muss sich dem anpassen. Wenn die Leute nicht mehr meine Bücher kaufen, dann muss ich eben auf sie zugehen. Deshalb habe ich meine Website eingerichtet. Vielleicht landet der eine oder andere so doch bei mir.

    Ihr Film ist kein klassisches Porträt. Es werden auch Szenen aus Ihren Büchern nachgestellt. Und Sie laufen dann durchs Bild und schauen dabei zu. Ist das auch eine Me­tapher für Ihr Arbeiten? Sehen Sie Ihre Romane als Filme vor dem geistigen Auge?

    Es gibt bei mir auf jeden Fall die Tendenz, eine Geschichte in Szenen zu erzählen. Also bin ich da auch ein wenig Zuschauer. Dieses filmische Schreiben ist wohl auch der Grund, warum so viele Bücher von mir verfilmt werden. Viele Produzenten und Regisseure meinen, daraus kann man ganz einfach einen Film machen.

    Da Sie von Verfilmungen sprechen: Sind Sie einer von den Autoren, die darauf Einfluss nehmen wollen? Oder können Sie loslassen und andere etwas Eigenes machen lassen?

    Ganz klar Letzteres. Ich habe zwar ein Mitspracherecht, darf also ein bisschen mitreden. Aber ich mische mich schon lange nicht mehr ein. Früher war mir Werktreue schon wichtig. Das habe ich aber längst aufgegeben. Das Papierschiffchen ist ja gefaltet, ich kann es dann in den Bach setzen und schauen, was es macht. Heute ist mir wichtiger, dass ein Buch jemanden zu einem tollen Film inspiriert. Das reicht mir schon. Ich möchte auch bei Dreharbeiten nicht dabei sein. Ich fühle mich nicht wohl an einem Filmset – selbst wenn es um mich selber geht. Es ist ja auch furchtbar langweilig, dieses ständige Warten und die andauernden Wiederholungen. Das ist wie beim Militär.

    Wie ist denn sonst Ihr Verhältnis zum Film? Gehen Sie gern ins Kino?

    Ich habe zum Kino ein sehr enges Verhältnis. Mein Vater war technischer Direktor bei einer Filmkopieranstalt. Von denen gab es damals nur drei in der Schweiz, da wurden alle frühen Schweizer Filme entwickelt. An Sonntagen nahm uns der Vater manchmal mit, wir durften Arbeitskopien anschauen. Nicht von ganzen Filmen, nur von ein, zwei Rollen. Wir wussten nie, was vorher passiert war. Aber das war sehr faszinierend. Die Filmwelt war deshalb nie fremd für mich. Meine Schwester hat ja den Sohn eines Filmproduzenten geheiratet. Und ich habe auch Drehbücher geschrieben, für Daniel Schmid, aber auch für den „Tatort“. Aber das Romanschreiben liegt mir doch mehr.

    Sie sind in einem Alter, in dem andere längst in Rente sind. Sie schreiben fleißig weiter. Ist Schreiben ein Lebenselixier, das jung hält?

    Da endet meine Analogie zum Schreinern. Schreiben ist keine Berufung, bei der man in Rente geht. Ich kenne auch keinen anderen aus dem Schriftstellerberuf, der aufhören würde. Im Gegenteil: Am Ende muss immer etwas Unvollendetes zurückbleiben. Früher habe ich zwar oft gesagt, ich könnte gut leben ohne zu schreiben. Aber ich habe das nie wirklich ausprobiert. Und jetzt bin ich gar nicht mehr so sicher.

    Eine Frage, Sie müssen entschuldigen, muss noch sein: Sie tragen immer tadellose Anzüge, selbst in der Hitze von Marrakesch, wie wir im Film sehen. Gehen Sie eigentlich auch mal ohne aus dem Haus? Oder ist das auch eine Art Schutzpanzer?

    (schmunzelt) Nein, Anzüge habe ich einfach gern. Es ist nicht so, wie es in manchen Zeitungen steht, dass ich mir da ein Image aufgebaut hätte und das jetzt immer einlösen müsste. Ich bemühe mich auch manchmal, etwas Fitness zu machen. Da habe ich da so ein Joggingdings, also auch einen Anzug. Wenn ich meine Tochter zur Schule bringe, könnten Sie mich manchmal auch darin sehen. Aber ach, das sollte vielleicht doch ein Geheimnis bleiben.

    Sehenswert: Die Doku über Bestsellerautor Martin Suter

    Schreiben ist Kopfsache. Es gibt daher kaum etwas Langweiligeres als Schriftstellern bei der Arbeit zuzusehen. Am Schreibtisch, noch analog mit Füller oder am Rechner. Oder gar sinnierend ins Leere schauen.

    André Schäfer geht in seinem Dokumentarfilm über den Schweizer Erfolgsautor Martin Suter einen raffiniert anderen Weg. Schäfer hat Suter nicht nur über einen Zeitraum von vier Jahren immer wieder besucht. Hat ihn nicht nur bei Lesungen, Konzerten des Liedermachers Stephan Eicher (für den Suter die Texte schreibt, aber auch die Mundharmonika spielt) oder privat begleitet. Schäfer stellt auch immer wieder Szenen von Suters Romanen nach und lässt den Autor in diese Inszenierungen hineintreten, als stillen Beobachter, der selbst ein bisschen zu staunen scheint, was er da geschaffen hat.

    Das ist eine von vielen liebevollen Ideen, die diesen Film so besonders machen. Und weshalb Suter sich dem Regisseur Schäfer vielleicht auch so geöffnet hat. Beim Abspann singt Stephan Eicher ironisch: „Weiß man wirklich mehr über Martin Suter?“ Die Antwort fällt leicht: Ja, das tut man.

    „Alles über Martin Suter. Außer die Wahrheit“ 95 Minuten, ab 12 Jahren, läuft unter anderem im Abaton, Blankeneser, Koralle (ab 14.10.) und Zeise