Hamburg. Carlsen-Chef Joachim Kaufmann erklärt, weshalb er weiter an Büroarbeit glaubt – und verrät das Geheimnis erfolgreicher Bücher.
Er ist der Mann hinter Figuren wie Harry Potter, Tim und Struppi und Conny: Joachim Kaufmann führt seit 16 Jahren den Hamburger Carlsen Verlag, obwohl er eigentlich längst an der Spitze eines Unternehmens stehen könnte, das seiner Familie gehört. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ erklärt der Carlsen-Chef, warum das so ist, wieso zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ihn das Wichtigste sind – und was es bringt, dem Verlag ein eigenes Manuskript zu schicken. Das Gespräch ist als Podcast unter www.abendblatt.de/entscheider zu hören.
Das sagt Joachim Kaufmann über
… die Frage, warum er als eher ungeduldiger und umtriebiger Mensch seit mehr als anderthalb Jahrzehnten bei Carlsen ist:
„Ich arbeite sehr, sehr gern in der Buchbranche, und ich glaube, dass es in dieser Branche keinen attraktiveren Job gibt, als den Carlsen Verlag zu leiten. Als ich kam, waren wir 70 Leute, jetzt sind wir 200 und auch gemessen am Umsatz der größte Publikumsverlag in Deutschland. Ich bin in der komfortablen Situation, dass ich auch nach 16 Jahren jeden Tag gern zur Arbeit komme und mir nichts anderes vorstellen kann.“
… zufriedene Kolleginnen und Kollegen, die für den wirtschaftlichen Erfolg das Wichtigste seien:
„Mir ist es wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen gern bei uns arbeiten, weil ich glaube, dass wir nur dann wirklich erfolgreich sein können. Dieser Grundgedanke treibt mich seit vielen Jahren um, und deshalb versuchen wir möglichst alles dafür zu tun, dass die Menschen mindestens in ihrem Job sehr zufrieden sind. Das zu ermöglichen, ist eine meiner Hauptaufgaben. Am Ende geht es immer darum, dass das Arbeiten sich um den Menschen dreht und nicht umgekehrt. Deshalb haben wir seit 2019 unseren Firmensitz im Ottensen in ehemaligen Industriegebäuden umgebaut.
Winston Churchill hat einmal gesagt: Erst prägen wir Menschen die Gebäude, dann prägen die Gebäude uns. Ich merke an mir, dass das wirklich so ist. Die großen Hallen, die Offenheit und Transparenz, die unsere Arbeitsräume ausmachen, strahlen auch auf unsere Art zu arbeiten ab. Wir haben Flächen, auf denen man Yoga machen kann, wir alle miteinander zu Mittag essen oder auf denen sich der Carlsen-Chor trifft. Wir können viele neue Angebote schaffen. Ich glaube an Büros und daran, dass Kreativität dort entsteht, wo sich Menschen in einem inspirierenden Umfeld treffen. Natürlich ist bei uns Homeoffice möglich, war es auch schon vor der Pandemie. Aber wir bitten unsere Kolleginnen und Kollegen, etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit im Büro zu verbringen.“
… das Verhältnis von Klassikern und Neuerscheinungen:
„Ungefähr die Hälfte unseres Umsatzes machen wir mit der sogenannten Backlist, also Büchern, die es wie ,Harry Potter‘ oder Comics wie ,Tim & Struppi‘ teilweise schon lange gibt. Das heißt aber, dass wir die andere Hälfte des Umsatzes mit Neuheiten erwirtschaften müssen, weshalb wir in diesem Bereich einen großen Aufwand betreiben. Wir bringen jedes Jahr rund 1000 Neuerscheinungen auf den Markt, und wir versuchen, jedes einzelne Buch zu einem Erfolg zu machen. Natürlich verdienen wir nicht mit jeder Neuerscheinung Geld, aber das ist bei einigen Büchern bei uns auch eingeplant. Wir glauben, dass es bestimmte Inhalte gibt, die ein Anrecht haben, veröffentlicht zu werden, auch wenn sie sich wirtschaftlich nicht rechnen werden. Das ist als Verlag unsere gesellschaftliche Verantwortung, die wir uns hoffentlich immer leisten können.“
… das Geheimnis erfolgreicher Bücher:
„Wenn der nächste Band der „Schule der magischen Tiere“ erscheint, wissen wir vorher, dass wir davon mehr als 100.000 Stück verkaufen werden. Das ist einfach. Was aber die neuen Erfolge der Zukunft sein werden und die Autoren, die sie schreiben, ist jedes Mal wie ein Glücksspiel. Allerdings haben unsere Kolleginnen und Kollegen sehr viel Erfahrung darin, wie man Bücher erfolgreich und bekannt machen kann, und wir wollen jedes Buch bestmöglich vermarkten, aber das geht immer nur bis zu einem bestimmten Grad. Und dann entscheiden die Leserinnen und Leser, die ganz großen Erfolge werden von denen gemacht. Selbst ,Harry Potter‘ ging nicht vom ersten Tag an durch die Decke. Der große Durchbruch kam erst mit Band vier. Als der erschien, wurden in einem Jahr bei uns zehn Millionen „Harry Potter“-Bücher verkauft.“
… den Zeitpunkt, ab dem man von einem erfolgreichen Buch sprechen kann:
„Bücher, von denen 100.000 Exemplare und mehr verkauft werden, sind die große Ausnahme. Über 90 Prozent aller unserer Bücher kommen auf Zahlen zwischen 3000 und 15.000; alles, was darüberliegt, ist also schon sehr gut.“
… unverlangt eingesandte Manuskripte:
„Wir erhalten jedes Jahr 2000 bis 3000 unverlangt eingesandte Manuskripte. Die werden alle angeschaut und geprüft, aber wir veröffentlichen davon nur zwischen null bis fünf. Alle anderen Neuerscheinungen werden uns über Agenten vermittelt, von ausländischen Verlagen gekauft oder von uns selbst gemeinsam mit Kreativen entwickelt.“
Der Fragebogen an Joachim Kaufmann
Was wollten Sie als Kind werden und warum?
Posaunist oder Verleger. Posaunist, weil wir fünf Kinder von unserer Mutter SEHR zur Musik erzogen wurden (alle meine drei Schwestern wurden Musikerinnen). Verleger, weil ich buchstäblich in einem Verlag aufgewachsen bin und zwischen den Buchpaletten Verstecken spielen konnte.
Was war der beste Rat Ihrer Eltern?
Mach nach deinem Abi zuerst einmal eine Ausbildung.
Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?
Ich glaube eigentlich nicht an Vorbilder. Ich möchte gerne die beste Version meines eigenen Ichs sein und nicht versuchen, jemandem mit einer ganz anderen Persönlichkeit nachzueifern. Aber natürlich gab es immer viele Menschen, bei denen mich bestimmte Eigenschaften oder Fähigkeiten fasziniert und inspiriert haben.
Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?
Meine Theater- und Psychologielehrerin meinte einmal, ich sei der krasseste Fall von „schulintelligent“, der ihr je begegnet sei – mit minimalem Aufwand maximal viel erreichen. Das ist die freundliche Bezeichnung für „ziemlich faul“, fürchte ich. Meine Leidenschaft in der Schule war das Schultheater.
Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute ausüben?
Schon sehr früh, also noch während meiner Schulzeit, weil ich später einmal den Verlag übernehmen wollte, den mein Urururgroßvater 1816 in Süddeutschland gegründet hat, den ich heute jedoch nur von Hamburg aus als Gesellschafter und Aufsichtsrat begleite.
Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?
Mein erster wirklicher Förderer im Berufsleben war der damalige Geschäftsführer des Herder-Verlags, wo ich meine Ausbildung gemacht habe. Lustigerweise ist er heute Mitgesellschafter und Geschäftsführer des gerade eben erwähnten Kaufmann Verlags.
Auf wen hören Sie?
Auf meine Mitarbeitenden.
Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?
Visionsstärke, Klarheit, Freiheit geben zu können, Vertrauen.
Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun?
Nur senden, nicht empfangen. Ich glaube, wirklich zuhören zu können ist eine bei Chefs häufig unterschätzte Eigenschaft.
Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?
Vertrauen. Mein Wunsch ist es, dass nur Führungskräfte mit mir arbeiten, die das, was sie tun, viel besser machen, als ich es könnte. Ich sehe mich lediglich in der Rolle, mit ihnen an einer gemeinsamen Vision und klaren Zielen zu arbeiten, die dann im Zusammenspiel auch ineinandergreifen.
Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?
Wenn ich sage, überhaupt nicht wichtig, klingt das für jemanden, der nicht weiß, wie er die gestiegenen Heizkosten bezahlen soll, unglaublich abgehoben. Aber in der Tat bin ich überzeugt, dass ab einem gewissen Lebensstandard Geld überhaupt nicht wichtig für die eigene Zufriedenheit ist.
Was erwarten Sie von Mitarbeitern?
Leidenschaft, Ehrlichkeit, Eigenständigkeit.
Worauf achten Sie bei Bewerbungen?
Wofür brennt der Mensch, passt sie oder er zu uns als Carlsen und ins jeweilige Team.
Duzen oder siezen Sie?
Duzen.
Was sind Ihre größten Stärken?
Sehr offen für neue Chancen zu sein, die sich immer wieder auftun, diese konsequent aufzugreifen und mit dem Team weiterzuverfolgen. Dabei kann ich große Leidenschaft und Energie entfalten. Ich bilde mir ein, relativ früh Potenziale in einer Sache oder einem Menschen zu sehen.
Was sind Ihre größten Schwächen?
Schwer Nein sagen zu können, wenn ich diese Chancen oder Potenziale sehe. Damit, und mit meiner Energie, bin ich als Chef und Impulsgeber manchmal ganz schön anstrengend und auch sicher nicht immer der Geduldigste ...
Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?
Nelson Mandela – ihn hätte ich liebend gerne kennengelernt.
Was hätten Sie ihn gefragt?
Wie er trotz seiner Erfahrungen mit der Apartheid seinen Peinigern die Hand reichen konnte und eine friedvolle Vision für sein Land entwickeln und leben konnte.
Was denken Sie über Betriebsräte?
Ich bin sehr froh, mit unserem Betriebsrat viele Entscheidungen gemeinsam vertraulich vorbesprechen zu können und ein ehrliches, offenes und auch kritisches Feedback zu erhalten.
Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?
Hm – wahrscheinlich gestern. Für mich sind Fehler nichts Schlimmes. Schlimm ist nur, nichts zu tun aus Angst vor Fehlern, nicht zu Fehlern zu stehen oder nicht aus ihnen zu lernen.
Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?
Eine Entscheidung, mit der ich sehr gehadert habe. Ich habe 2005 ein sehr attraktives Jobangebot kurz vor Vertragsunterzeichnung abgelehnt. Kurz darauf bekam ich das Angebot, Geschäftsführer von Carlsen zu werden, eine Entscheidung, die ich niemals bereut habe.
Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?
Viel weniger als früher, im Schnitt vielleicht ca. 50 Stunden.
Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)?
Zwischen 6 und 7.
Wie gehen Sie mit Stress um?
Ich fühle mich eigentlich selten gestresst. Zumindest nicht von Arbeit. Stressen tun mich Spannungen in zwischenmenschlichen Beziehungen, am Arbeitsplatz und privat.
Wie kommunizieren Sie?
Offen und transparent. Versuche ich zumindest. Und ich rede zu viel ...
Wie viel Zeit verbringen Sie an ihrem Schreibtisch?
Relativ wenig – ich bin meistens in Meetings mit einem oder mehreren Menschen. Inzwischen finden diese Meetings häufig am Bildschirm statt.
Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcherwäre das?
Mach das, wofür du wirklich brennst und gehe konsequent deinen Weg dafür.
Was unterscheidet den Menschen von dem Manager Joachim Kaufmann?
Glücklicherweise immer weniger. Als ich mit damals 33 Jahren sehr jung Geschäftsführer eines relativ großen Verlages wurde, glaubte ich, ein bestimmtes Bild erfüllen zu müssen. Heute bin ich froh, als der Mensch zu Carlsen zu gehen, der ich bin – egal, ob das allen gefällt oder nicht.
Und nun zum Schluss: Herr Kaufmann, was wollten Sie immer schon mal sagen?
Dass Arbeit und Beruf wichtig sind, aber es auch viel Wichtigeres gibt.