Hamburg. Andriy Khalpakhchi, Leiter des Molodist Filmfestivals in Kiew, ist mit vielen Filmen aus der Ukraine zu Gast in Hamburg.

Die tagelange Anreise zum Filmfest Hamburg per Bus, Flugzeug und Bahn war beschwerlich, doch erschöpft wirkt Andriy Khalpakhchi keineswegs: Der 72-Jährige strahlt innere Ruhe und Energie aus. In Hamburg präsentiert er Filme vom traditionsreichen Molodist Filmfestival in Kiew. Auch seine zwei Töchter sind derzeit in Deutschland. Seine Frau hingegen ist mit einer Enkelin in der ukrainischen Hauptstadt geblieben.

Hamburger Abendblatt: Herr Khalpakhchi, Sie sind gerade mit Ihrem Team aus Kiew nach Hamburg gekommen, wie ist die Lage in Ihrer Heimatstadt?

Andriy Khalpakhchi: Verhältnismäßig ruhig. In den ersten Tagen des Krieges war es ziemlich beängstigend, einerseits wegen der ständigen Bombenalarme, aber auch, weil wir befürchten mussten, morgens in einer von Russen besetzten Stadt aufzuwachen. Das wäre furchtbar gewesen.

Ich habe sehr starke Wurzeln in Kiew wo schon mein Vater und mein Großvater geboren wurden; ich lebe dort immer noch in der Straße, in der sie gelebt haben. Natürlich ist es ein irrationaler Gedanke, aber ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich dort bleiben muss, damit Kiew nicht fällt. Inzwischen heulen die Sirenen sehr viel seltener und wir versuchen, wieder unser normales Leben zu führen.

Gelingt Ihnen das?

Wer jetzt nach Kiew kommt, wundert sich vielleicht: Die Cafés und Restaurants haben geöffnet, es gibt viel Verkehr auf der Straße, alles wirkt so normal – und das soll ein Krieg sein? Aber einer unserer ukrainischen Regisseure, der jetzt an der Front kämpft, sagte mir: „Genau dafür kämpfen wir gerade, dafür, dass ihr hier ein relativ sicheres Leben führen könnt.“ Tatsächlich haben wir es all unseren Verteidigern zu verdanken, dass wir als Festivalteam überhaupt in der Lage sind, nach Hamburg zu kommen.

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  • Sie präsentieren hier bis zum 5. Oktober eine Auswahl ukrainischer Filme vom Molodist Filmfestival. Gibt es einen roten Faden?

    Viele Filme haben natürlich mit dem Krieg zu tun, der auf der Krim und im Donbass ja bereits 2014 begann, aber insgesamt ist das Programm ein Mosaik des aktuellen ukrainischen Filmschaffens, es geht um Blicke auf die moderne Ukraine. Beim Festival in Cannes traf ich Albert Wiederspiel und sein Vorschlag war, ein ukrainisches Filmprogramm in Hamburg zu zeigen. Ich habe ihn gefragt, wie es denn da mit der Finanzierung aussehe und seine Antwort war: „Darum kümmere ich mich, das kriegen wir schon hin.“

    So ist es dann auch gekommen und dafür bin ich Albert sehr dankbar. Vor ein paar Jahren kannten selbst manche Festivaldirektoren keine ukrainischen Filme, sondern nur die russischen. Das hat sich gewandelt und durch die aktuelle Situation ist das Interesse an an ukrainischen Filmemacherinnen und Filmemachern sehr gestiegen. Es gibt da eine junge Generation, die zu entdecken sich lohnt. Die ukrainische Regierung ist sehr an Kultur interessiert und hat uns in den vergangenen Jahren gut unterstützt, aber aber im Moment ist die ukrainische Filmindustrie natürlich weitgehend zum Erliegen gekommen.

    Auf der Website des berühmten Leopolis Jazz Fests in Lwiw ist zu lesen: „Das Festival findet unmittelbar nach dem Sieg statt“. Ist das auch Ihre Haltung in Bezug auf das Molodist Filmfestival?

    Da unser Festival bereits Ende Oktober wieder stattfindet, ist die Zeitspanne für einen Sieg der Ukraine vielleicht zu kurz; wir sind mitten in den Festival-Vorbereitungen. Statt mehr als 200 werden wir In diesem Jahr nur etwa 100 Filme zeigen können und verkürzen das Festival von neun auf drei Tage, aber die 51. Auflage des Molodist kommt – wir hoffen, mit einer Reihe ausländischer Gäste.