Hamburg. Ein Gespräch mit dem umstrittenen Rap-Star und Produzenten über Kunst, Kommerz und Fatih Akins biografischem Spielfilm „Rheingold“.

Im Dezember 2009 überfiel ein aufstrebender Bonner Rapper mit mehreren Komplizen einen Werttransporter. Die Schulden von Xatar alias Giware Hajabi sollten „refinanziert“ werden. Eine (unbewaffnete) Räuberpistole, die nun vom Hamburger Regisseur Fatih Akin („Soul Kitchen“) unter dem Titel „Rheingold“ verfilmt worden ist und am 1. Oktober beim Filmfest Hamburg Premiere feiert.

Während und nach seiner Verurteilung zu acht Jahren Haft, von denen er drei Jahre absitzen musste, stiegen Xatar und sein Musiklabel Alles oder Nix Records zu einer der dominierenden Marken in der deutschen Straßenrap-Szene auf. Dazu kommt mittlerweile ein wachsendes Lifestyle- und Gastroimperium. Von seiner kriminellen Vergangenheit distanziert sich Xatar im Abendblatt-Gespräch über Hip-Hop-Kultur und -Kommerz, Von der Beute des Überfalls, Schmuck und Zahngold im Wert von 1,7 Millionen Euro, fehlt bis heute jede Spur.

Hamburger Abendblatt: Herr Hajabi, 2015 haben Sie Ihre Autobiografie „Alles oder nix: Bei uns sagt man, die Welt gehört dir“ veröffentlicht. Ihnen gehören ein Musiklabel, eine Stiftung für Kinder und Jugendliche, sie sind Startup-Manager und Unternehmer mit eigener Fashion-Linie und Grill-Franchise. Sind Sie Künstler oder Geschäftsmann?

Giware Hajabi: In erster Linie bin ich Mensch. Alles was ich tue, tue ich für meine Familie. Rap ist mein Ventil, mein Sprachrohr, um meine Gedanken und Gefühle zu verarbeiten. Das Geschäft lernte ich in erster Linie, um meine Kunst zu schützen, dann um die geschäftlichen Interessen meiner Künstler vertreten zu können.

Fatih Akin verfilmte in „Rheingold“ Ihre Geschichte. Wenn Sie wie N.W.A, Eminem oder 50 Cent schon zu Lebzeiten Kinofigur sind, haben Sie dann alles erreicht?

Hajabi: Alles erreicht zu haben würden bedeuten, dass ich am Ende meiner Karriere stehe, dabei stehe ich gefühlt noch am Anfang. Ich habe noch viele Ideen und Projekte, die ich umsetzen werde. Und es gibt noch Vieles, das ich lernen möchte.

Schaut man als „Baba aller Babas“ ängstlich nach unten wie Shakespeares Macbeth, weil junge, hungrige und wütende Rapperinnen und Rapper nach oben drängen?

Hajabi: Ich bin Labelinhaber. Mein Job ist es, Newcomer gewissenhaft aufzubauen. Dafür nutze ich alle verfügbaren Mittel, meine Netzwerke, Plattformen und mein Know-how. Mein Anspruch ist es, sie so erfolgreich zu machen wie es in meiner Macht steht. Deshalb freue ich mich wenn sie erfolgreicher werden als ich: Das bedeutet, dass ich ein guten Job mache.

„Deutscher Rap liegt auf dem Rücksitz am verbluten“, reimt Gzuz von der 187 Strassenbande. Tatsächlich ermüdet die Themenwelt Kokain-Knarren-Karren.

Hajabi: Künstler sprechen über das, was sie sehen und erleben. Das ist wie bei Liebesliedern, sie werden nicht langweilig, weil diese Songs vom Leben handeln. Solange es Ghettos gibt, wird es auch den passenden Soundtrack geben für die Menschen, die dort leben. Die Verhältnisse auf den Straßen und in den Blocks sind, wie sie sind, und Hip-Hop beschreibt sie entsprechend authentisch.

Trotzdem hinterfragen wenige Rap-Stars, warum die Umstände so sind, wie sie sind. Einer der wenigen wäre der kapitalismuskritische Rapper Disarstar. Ist „para“ die Lösung für alles, Geld und Status?

Hajabi: „Para“, Geld, ist die Lösung für viele Probleme von Menschen, die keins haben, aber nicht die Lösung aller Probleme. Viele Künstler hinterfragen die sozialen Probleme, verarbeiten sie aber selten in Songs. Die sozial Schwachen können wenig verändern, stattdessen gibt es eher Songs über Wut und Hunger.

Ihre frühen Jahre haben eine erschreckend kriminelle Bilanz aufzuweisen. Drogenhandel, der viel erwähnte Überfall auf einen Geldtransporter, mehrere Jahre Gefängnis.

Hajabi: Ich rate jedem da draußen, sich meinen kriminellen Weg nicht als Vorbild zu nehmen. Kriminalität lohnt sich nicht und ist falsch. Die Konsequenzen sind schmerzhaft aber sie sind auch meine größten Lektionen. Ich steh zu meiner Vergangenheit. Meine Geschichte hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin und morgen noch werde.

Haben Sie immer noch Badeschlappen, DVD-Player und Hip-Hop-CDs im Notfallpaket, falls der nächste Haftbefehl droht?

Hajabi: Der einzige Haftbefehl, der Xatar noch was anhaben kann, ist aus Offenbach. Und ja, es wird episch für das Game, wenn es denn da heißt: „Coup 2“ von Xatar und Haftbefehl.

Ohne Zweifel sorgen Konflikte mit Ordnungsmächten oder der Rapper-Konkurrenz für enormes Aufsehen, und Sie bauen sich, wenn auch mit Selbstironie und Humor, daraus ein entsprechendes Image. Würden Sie sagen, Sie sind ein geschickter Selbstvermarkter?

Hajabi: Das beste Image ist das, was am nächsten an der Wahrheit ist. Ich bin nur ich selbst, meine Community ist mit mir groß geworden und würde merken, wenn ich mich verstellen würde. Authentizität ist alles.

Sie sind noch mit Platten, Tapes und CDs von Dr. Dre und Co. aufgewachsen, Ihr Vater war ein klassischer Komponist von Format. Bedauern Sie nicht, dass Musik heute ein Wegwerfartikel ist? Einzelne Tracks werden extrem schnell am Rechner produziert und sofort in den Streaming-Portalen gedroppt. Das Album-Prinzip ist tot.

Hajabi: Hip-Hop ist das mit Abstand erfolgreichste Musikgenre. Alle Mainstream-Genres von gestern sind heute Nische. Dieser unaufhaltbare Siegeszug von Hip-Hop wurde durch die Demokratisierung des Musikkonsums erst möglich gemacht. Dem Format Album hinterher zu trauern aus einer musikideologischen oder gar künstlerischen Sicht ist fragwürdig, wenn man bedenkt, dass das Konzept Album eine Industrie-Erfindung war um nach dem Krieg das neue massentaugliche Format Vinyl-LP so effektiv wie möglich vermarkten zu können. Durch das Internet ist alles schneller geworden, aber nicht schlechter! Es ist einfacher geworden, die nötigen Skills zu lernen. der Konsum des Publikums entscheidet über kommerziellen Erfolg, und nicht mehr nur ein paar alte Plattenbosse. Alles in allem ist es heute besser denn je.

YouTube, TikTok, Instagram und Co. sind die Plattformen, die jetzt die Dynamik der Popmusik bestimmen. Wie lebt es sich mit dem Zwang, permanent Inhalte liefern zu müssen?

Hajabi: Ich gehöre zu den ersten Musikern überhaupt, die YouTube bereits 2007 als Musikvideo-Promoplattform benutzt haben, was aber daran lag, dass wir keine andere Wahl hatten. MTV und Viva wollten uns nicht. Die großen Plattenfirmen blockierten YouTube seinerzeit noch. Social Media hat es erst möglich gemacht, ohne Mittelsmann die Community erreichen zu können. Das hat die Tür aufgemacht, Independent-Musik vertreiben zu können. Ich erstelle gerne Content und teile auch gerne mit meiner Community, ich muss mich nicht dazu zwingen. Sie unterstützen mich, und ich bin dankbar dafür.

Nebenbei müssen ja auch noch Tracks produziert werden, der Hip-Hop-Nachwuchs aufgebaut, eine Franchise international aufgestellt und gemanagt oder Tiefkühlkost vertrieben werden. Ein Tag hat aber nur 24 Stunden. Wie behalten Sie den Überblick, ohne sich zu verzetteln?

Hajabi: Ich hab wirklich viel zu tun, aber auch ein starkes Team hinter mir, das mir den Rücken frei hält. Ich lerne täglich dazu, und arbeite intensiv an der perfekten Struktur, damit wir alles, was wir uns vornehmen umsetzen können.

Früher sprühten Rapper Graffiti, heute Organigramme ihrer Konzernstrukturen?

Hajabi: Die Graffiti-Kultur lebt immer noch und ist ein fester Bestandteil von Hip-Hop. Einige sind Grafiker geworden, andere Tätowierer, aber die Kunst wird nie aussterben. Der einzige Unterschied ist, dass sie heute auch für Louis Vuitton und Audi designen.

Wie endet so ein Tag im Optimalfall: Im Seiden-Nachtmantel am Wurlitzer-E-Piano sitzend bei einer Schale Tee? Oder im Club in der abgekordelten VIP-Ecke, umgeben von Ja-Sagern und Schnorrern?

Hajabi: Schnorrer und Ja-Sager kenn ich nicht. Wenn ich Menschen treffe, wollen sie meistens einfach nur eine Chance, gehört zu werden. Das respektiere ich, denn es ging mir genauso. Ein optimaler Feierabend wäre: Bei meiner Familie zuhause zu sein, gutes Essen und mein Handy ausschalten zu können. Die Realität sieht oft anders aus, weil ich so viel arbeite.

Eine Frage noch: Wo ist das Gold?

Hajabi: Schweigen ist Gold.

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