Venedig. „Victim“ feierte auf in Venedig Weltpremiere. Das Drama mit Hamburger Hauptdarstellerin kommt auch zum Filmfest Hamburg.

Wie entstehen Hass und Hetze? Wie entlädt sich struktureller Rassismus, und welche Rädchen kann eine scheinbar kleine Lüge in Bewegung setzen? Diesen Fragestellungen widmet sich das Drama „Victim“ (auf Deutsch „Opfer“), das am Donnerstag als deutsch-tschechisch-slowakische Co-Produktion auf den diesjährigen Internationalen Filmfestspielen von Venedig in der Wettbewerbssektion „Orrizonti“ Weltpremiere gefeiert hat. Die Electric-Sheep-Produktion mit der in Hamburg lebenden und aus der Ukraine stammenden Hauptdarstellerin Vita Smachelyuk soll auf dem Filmfest Hamburg erstmalig in Deutschland gezeigt werden.

In „Victim“ nähert sich der slowakische Regisseur Michal Blaško Ambivalenzen aus dem Themenspektrum Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Dazu lädt er seine Zuschauer in die triste Plattenbausiedlung einer tschechischen Kleinstadt ein, wo die Ukrainerin und alleinerziehende Mutter Irina mit ihrem Sohn Igor in einer winzigen Wohnung lebt. Als Igor lebensgefährlich verletzt wird – eigenen Angaben zufolge von einer Handvoll Roma –, setzt dies im Ort eine ausländerfeindliche Gruppendynamik in Gang, die Irina bald schon nicht mehr kontrollieren kann. Und dann findet sie heraus: Schuld an Igors Unfall waren überhaupt keine Roma.

Welchen der Protagonisten der Filmtitel letztlich meint, bleibt unklar – respektive dem Zuschauer überlassen. „Das ist auf jeden Fall diskussionswürdig“, meint Hauptdarstellerin Vita Smachelyuk im Gespräch mit dem Abendblatt. „Fast jede Person aus dem Film könnte ein Opfer sein – und fast jede als Täter beschuldigt werden.“ Reines Schwarz oder Weiß gibt es in „Victim“ schließlich nicht. Hier gerät die eine Minderheit mit einer anderen in Konflikt. Es entsteht ein sich selbst beschleunigender Prozess unter „Beihilfe“ der Skandalpresse, der Lokalpolitik und durch Personen aus dem rechten Spek­trum, die den vermeintlichen Roma-Angriff für ihre eigene Agenda ausschlachten.

Hauptdarstellerin Smachelyuk hat mit ihrer Filmfigur viel gemeinsam

Das realistische Drama wird von Smachelyuks natürlichem Spiel getragen. Wie sie erzählt, habe sie die Rolle der verantwortungsbewussten und Sohn Igor gegenüber aufopferungsvollen Irina „so authentisch wie möglich“ darstellen wollen. Statt das Verhalten einer erdachten Protagonistin zu antizipieren, habe sie versucht, selbst tief in die Situation einzudringen: „Es sollte nicht künstlich sein. Ich habe mir beim Spielen immer gedacht: ,Wie würde ich mich jetzt verhalten?‘“ Dass sie mit ihrer Rolle einiges gemeinsam hat – etwa das Muttersein und das Leben in einem Land fernab ihrer Heimat –, habe ihr eine besondere Empathie ermöglicht.

Smachelyuk ist einst wegen eines Jobwechsels ihres Mannes nach Deutschland gekommen. Zuvor hatte sie in der Ukraine bereits in diversen Filmproduktionen gespielt. Im Zuge der Weltpremiere von „Victim“ bei den Fimfestspielen in Venedig nutzte die 41-Jährige das öffentliche Interesse, um Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ins Gedächtnis der Anwesenden zu rufen: „Wir müssen jeden Tag darüber sprechen, was gerade in der Ukraine passiert. Wir dürfen es nicht vergessen“, erklärte sie.

Das komplette Programm des Filmfests Hamburg, bei dem auch „Victim“ läuft, wird am 13.9. bekannt gegeben