Hamburg. In „The Gray Man“ ist Ryan Gosling ein Auftragsmörder, der zu viel weiß. Die Netflix-Produktion läuft nur kurz im Kino.

Es ist eins dieser Angebote, die man nicht ausschlagen kann. Zumindest im Kino. Court Gentry (Ryan Gosling) sitzt wegen Totschlags im Gefängnis, und wird das noch lange tun. Es sei denn, er nimmt das Angebot von CIA-Mann Donald Fitzroy (Billy Bob Thornton) an und arbeitet für dessen Geheimdienst. Da müsste er zwar als Auftragskiller weiter töten. Aber er hätte dann ja nur die Bösen auf dem Gewissen, wie Fitzroy mit schmallippigem Lächeln versichert.

Wirklich? 18 Jahre später verrichtet Court noch immer seinen traurigen Job, als ihm Zweifel kommen. Bei seinem aktuellen Auftrag warnt ihn sein jüngstes Opfer. Der Mann weiß nicht nur seinen Namen, sondern auch, für wen er arbeitet. Weil er es selbst getan hat. Ein CIA-Killer wie er. Der Sterbende kann ihm gerade noch ein Amulett übergeben, in dem ein Computerstick versteckt ist. Und schon ist die CIA hinter Court her. Wegen des belastenden Sticks.

„The Gray Man“: Ryan Goslings „Mission: Impossible“

Nach fünf höchst erfolgreichen „Avengers“-Filmen haben die Regie-Brüder Anthony und Joe Russo in Hollywood so etwas wie Narrenfreiheit. Und können machen, was sie wollen. Nachdem sie schon so ziemlich jeden Comic-Superhelden vor der Kamera hatten, sagen sie nun auch den James-Bond- und „Mission: Impossible“-Filmen den Kampf an.

Mit Ryan Gosling als neuem coolem Actionhelden. Der trägt den Tarnnamen Sierra Six, kurz Six, was er lässig damit entschuldigt, die Sieben sei schon vergeben. Ganz kurz hört man auch die ersten Anklänge der „Mission: Impossible“-Melodie. Man scheut den Vergleich also nicht, man fordert ihn heraus.

Ryan Gosling unter Marvel-Helden

Bei der Jagd auf den Stick überlässt der neue Mann bei der CIA, Denny Carmi­chael (Regé-Jean Page), nichts dem Zufall. Er entführt nicht nur seinen Vorgänger Fitzroy und hetzt Courts ehemalige Kampfgefährtin Dani Miranda (Ana de Armas) gegen ihn auf, er heuert auch Lloyd Hansen (Chris Evans) an: ein sadistischer Psychopath, der bei seinen Einsätzen auch zahllose unschuldige Tote achselzuckend in Kauf nimmt. Der Gute gegen das Ganzganzböse.

Auch die Brüder Russo gehen bei ihrem Action-Knaller auf Nummer sicher: Ana de Armas war das Bond-Girl in „Keine Zeit zu sterben“, Regé-Jean Page war der Star der ersten „Bridgerton“-Staffel und mit Chris Evans als Captain America haben sie schon bei ihren „Avenger“-Spektakeln gearbeitet. Ryan Gosling ist dagegen so ziemlich der einzige Hollywood-Star, der noch in keinem Marvel-Film dabei war. Bisher zumindest. Gerüchten zufolge ist er für den nächsten Superhelden Nova im Gespräch.

Ob da ein einstiger gegen einen künftigen Marvelheld kämpft oder nicht: Der Film ist so oder so ein Duell der beiden Beaus. Während Gosling weiter sein Heldenimage pflegt, gibt Evans hier das brutale Gegenstück zu Captain America. Und während der Erste seinen Job schon mal mit dem von Sisyphos vergleicht, würzt Letzterer seine Foltermethoden mit Schopenhauer. Action mit Anspruch also. „The Gray Man“ ist eine Netflix-Produk­tion, die jetzt ins Kino kommt, aber eine Woche später schon gestreamt werden kann. Mit seiner bislang teuersten Produktion will der Streamingdienst beweisen, dass er es auch in Sachen Blockbuster mit den großen Filmstudios aufnimmt.

Dieser Thriller hetzt von einer Action zur nächsten und quer über den Globus, von Long Beach nach Bangkok, von Wien nach Baku. Die Szene, die in Berlin spielen soll, wurde allerdings sonstwo gedreht, nicht in der Hauptstadt. Dafür wird Prag kurz und klein geschossen. Das ist die einzige Schwachstelle des Films. Es wird eindeutig zu viel geballert. Aber „The Gray Man“ ist Popcornkino pur, wie man es seit den Lockdowns selten gesehen hat. Und ein bisschen Eskapismus kann in diesen Krisenzeiten auch mal guttun. Man sollte allerdings den Film schon auf großer Leinwand genießen – die kurze Zeit, die er da spielt.

„The Gray Man“ 122 Minuten, ab 16 Jahren, läuft am 22.7. und 23.7. im Savoy (OF)