Hamburg. Pianist Igor Levit und Kultursenator Carsten Brosda diskutierten über den gesellschaftlichen Stellenwert von Kultur im Politischen.

Ein Klassiker bei Podiumsdiskussionen: Der beste, klarste, wichtigste Satz war der allerletzte. Gute eine Stunde lang hatten Kultursenator Carsten Brosda und der Pianist Igor Levit in einem überschaubar gefüllten Zelt auf dem Heiligengeistfeld die Frage „Wie politisch muss Musik sein?“ umkreist und angerissen, das sollte einer von vielen Auftakten für das Reeperbahn Festival sein. Und erst als fast alles mal mehr, mal weniger konkret beantwortet war, gab Levit eine geradezu T-Shirt-Spruch taugliche Antwort: „Kunst muss existieren dürfen, das reicht schon.“

Keine öffentliche Veranstaltung mit Brosda wäre vollständig ohne ein souverän aus der Hüfte zitierten Adorno-Klassiker. Hier hoffte er auf eine Gesellschaft, „in der wir ohne Angst verschieden sein können“. Auch Levit hatte hin und wieder klare Ansagen gemacht. „Die Kultur können wir sonstwo runterspülen, wenn ein großer Teil der Gesellschaft vor die Hunde geht.“ Ein Streitgespräch mit konträren Ansichten war von den beiden Protagonisten eh nicht zu erwarten gewesen; der Musiker und der Kulturpolitiker harmonierten wie perfekt komponierte Terzen und Sexten.

Reeperbahn Festival: "Räume für Kultur sind wichtig"

Einig waren sie sich auch bei der Bedeutung von „Räumen des Gemeinsamen“ für die Produktion und die Öffentlichmachung von Kultur. Levit erinnerte an jene Corona-Phasen, in denen man immer wieder zu betonen hatte: „Diese Räume sind wichtig. Wir haben sie gerade nicht, aber sie sind wichtig.“ Es habe leider aber auch jene gegeben, die sehr schnell sagten: Ist auch verzichtbar.

Brosda rundete diesen Aspekt rhetorisch geschickt ab: „In Kulturorten können wir die Welt spielen – und zwar anders, als sie ist.“ Und weil das so sei, hätten – stark überzogen formuliert – Rechtspopulisten auch ein klareres Verständnis der Bedeutung von Kulturpolitik als das progressive Lager.

Reeperbahn Festival: "Kultur muss original gar nichts"

Zeit für das große H-Wort beim Streit um Positionen: Haltung. Die Meinung von Levit, der oft für seine Aussagenfreude kritisiert wurde: „Es ist nicht Haltung, die stört. Es ist die Tatsache, dass man da ist; hörbar ist.“ Im Hinblick auf die Debatte, wie man mit russischen Künstlerinnen und Künstlern und ihrer Position zu Putin umzugehen habe, sagte Levit: „Es gibt keine Kultur mehr ohne russisches Staatsgeld. Die haben keine andere Möglichkeit.“ Und: „Wer seine Moral am 24. Februar entdeckt hat, dem ist nicht zu helfen.“

Um sich final dann doch wieder dem Ausgangs-Thema zu nähern, erklärte Levit: „Kultur muss original gar nichts. Aber Künstler können Entscheidungen treffen: Für was streite ich?“ Und Brosda hatte kurz vor dem Schlussapplaus noch ein Zitat des legendären Theater-Intendanten August Everding als sinnige Pointe parat: „Kunst ist völlig zweckfrei und gerade deswegen so sinnvoll.“