Hamburg. Walton und Schubert in der Elbphilharmonie. Doch den Höhepunkt bildete die Zugabe zu Ehren eines Verstorbenen.
Die Zugabe ist die Spielwiese des Solisten. Dort kann er sich frei zeigen, auf seine Weise mit dem Publikum Kontakt aufnehmen, den Radius des eigentlichen Konzertprogramms erweitern. Der Bratscher Antoine Tamestit und das NDR Elbphilharmonie Orchester nutzen diesen kostbaren Moment im Großen Saal des Konzerthauses dazu, an den Pianisten Lars Vogt zu erinnern, der vergangenen Montag starb und am Konzertabend 52 Jahre alt geworden wäre.
Tamestit lässt seine Bratsche die Melodie von John Dowlands schmerzsüßem „Flow my tears“ singen, und das Streicherkollektiv zupft ganz zärtlich den Lautenpart dazu.
Elbphilharmonie: Antoine Tamestit auf Seelenreise – mit berührendem Moment
Es ist der intimste, berührendste Moment eines sehr besonderen Abends. Just am Vormittag hat Chefdirigent Alan Gilbert krankheitshalber abgesagt, und es springt Cornelius Meister ein, Generalmusikdirektor in Stuttgart und in diesem Jahr bei den Bayreuther Festspielen nicht ganz glücklich aufgefallen. Eine Verständigungsprobe am Nachmittag hat es immerhin gegeben.
Das Bratschenkonzert von William Walton wird zu einer Seelenreise. Sie verbindet Ausführende und Publikum in einer Intensität, wie sie in der Elbphilharmonie leider keine Selbstverständlichkeit ist. Von der rauchig raunenden einleitenden Orchesterphrase an erfasst die elegische Atmosphäre den ganzen Saal, und Tamestit führt die Anwesenden mit dem singenden Ton seiner Stradivari-Bratsche in eine andere Welt, weit weg von den Banalität dessen, was wir Alltagsleben nennen. In dieser abstrakten, von jeder allzu leicht entschlüsselbaren Botschaft freien Musik zählt nichts als der Ernst des Moments.
Elbphilharmonie-Publikum taucht in Musikwelt ab
So spontan und lebendig klingt das NDR Elbphilharmonie Orchester nicht alle Tage. Es groovt schon im ersten Satz, stimmt die Klangfarben haarfein mit dem Solisten ab und lässt die an Strawinsky erinnernden Rhythmen des „vivo, con molto preciso“ federn. Meister hält die Spannung über die Satzpausen hinweg, so dass das Publikum schier den Atem anhält, als wollte es nicht einen von Tamestits kostbaren Tönen verpassen.
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Wie dieser Musiker den Klang seines Instruments freilässt, wie differenziert er Vibrato einsetzt und den Bogen geradezu choreografisch einteilt, ohne dass das je kalkuliert wirken würde, das ist das reine Streicherglück. An Ende von Waltons spätromantischem Traum braucht nicht nur Tamestit merklich Zeit, um wieder aufzutauchen. Die Hörer brauchen sie auch.
Elbphilharmonie: Pulsierende Kammermusik auf der Bühne
Schuberts sogenannte „große“ C-Dur-Sinfonie, dieses Wunderwerk an Länge und Durchhörbarkeit, musizieren die Beteiligten gelöst und fließend. Nicht allezeit ist der Bläsersatz makellos koordiniert, aber was da auf der Bühne stattfindet, ist pulsierende Kammermusik. Und die himmelwärts schwingenden Kantilenen des Finales, die Schubert mit so wenigen Mitteln zaubert, geleiten das Publikum sanft in die frühherbstliche Nacht.