Hamburg. Klaus-Michael Kühne will die NS-Vergangenheit seiner Firma nicht aufarbeiten: Nun verzichtet noch eine Autorin auf ihre Nominierung.

Am Freitagabend beginnt, mit der Eröffnung in der Elbphilharmonie, die 14. Ausgabe des Harbour Front Festivals. Es ist alles angerichtet für prächtige Poesiewochen, für tolle Veranstaltungen mit tollen Autorinnen und Autoren. Annonciert sind unter anderem Ian McEwan, Ferdinand von Schirach, Simone Buchholz und Jennifer Egan. Und doch schwelt seit vergangener Woche ein Thema, das einen Schatten auf die Festwochen wirft.

Es geht um die Absage von Kühne + Nagel an eine systematische Aufarbeitung seiner Verstrickungen in den Nationalsozialismus. Das Unternehmen weigert sich in Person des Firmenerbes und Mehrheitsaktionärs Klaus-Michael Kühne, die historisch verbriefte Rolle bei sogenannten „Arisierungen“ transparent darzustellen.

Harbour Front Festival: Pfizenmaier und Gäsler ziehen Teilnahme zurück

Das ist alles lange bekannt, wirkt seit Ende August nun aber thematisch in das Festival hinein, dessen Hauptgeldgeber neben der Kulturbehörde die Kühne-Stiftung ist. Mit Verweis auf die unterlassene Vergangenheitsbewältigung („Da sich Klaus-Michael Kühne aktiv dagegen wehrt, die NS-Historie seines Unternehmens aufzuarbeiten“) zog der Autor Sven Pfizenmaier seine Teilnahme am Debütantensalon des Festivals und der Bewerbung um den mit 10.000 Euro dotierten Klaus-Michael Kühne-Preis zurück. Und er ist nicht der Einzige.

Wie am Mittwoch auf der Webseite buchmarkt.de bekannt wurde, verzichtet nun auch die Schriftstellerin Franziska Gäsler auf ihre Nominierung für die Vergabe des Kühne Preises – die fehlende Reaktion auf Pfizenmaiers Rückzug habe sie massiv enttäuscht: "Ich denke, es hätte einen öffentlichen Diskurs gebraucht, der ein Ernstnehmen seiner Kritik erkennbar macht und zeigt, dass es das Anliegen der Stiftung ist, genau das zu fördern – kritische literarische Stimmen."

"Unter diesen Umständen weiter auf die Auszeichnung zu hoffen, erscheint mir, unabhängig von der finanziellen Komponente, wie ein Wegsehen, das ich nicht gut mit mir und meinem Schreiben vereinbaren kann", so erklärt Gäsler ihre Entscheidung.

Harbour Front Festival: Kühne-Stiftung will Kühne-Preis „überdenken“

Ein Vorgang, der seitdem Wellen schlägt. Die Festivalleitung nominierte einen Ersatz für Pfizenmaier nach und äußerte sich darüber hinaus nicht. Ob sie dies angesichts des weiteren Rückzugs von Gäsler nachholt, bleibt abzuwarten. Es ist eine Strategie, die man umso besser versteht, wenn man auf die mehr als pikierte Reaktion der Kühne-Stiftung schaut. Die fühlt sich, wie die „taz“ berichtet, „in dieser Angelegenheit im höchsten Grade ungerecht behandelt".

Auf Anfrage der Zeitung lässt sich die Stiftung weiter wie folgt zitieren: Die Stiftung habe „mit Vorgängen, die ca. 80 Jahre zurückliegen, nichts zu tun und wird die traditionelle Verleihung des Klaus-Michael Kühne-Preises jetzt überdenken“.Obwohl das Damoklesschwert des vollständigen Rückzugs noch nicht geschwungen wird, ist die Kulturbehörde alarmiert.

Sie äußerte sich auf Anfrage in eher dürren Worten zu den Vorgängen: „Die Geschichte von Kühne+Nagel ist seit vielen Jahren, wie auch die anderer Unternehmen, immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Dies ist auch gut und wichtig, leistet es doch einen Beitrag zur Aufarbeitung unserer Geschichte. Die Kühne-Stiftung leistet seit vielen Jahren insbesondere für die Kultur und Wissenschaft gute und wichtige Unterstützung, die nicht ohne Weiteres durch die öffentliche Hand ersetzt werden kann.“

Harbour Front Festival: Jury bringt den Vermittler Wolf Biermann ins Spiel

Gedanken macht man sich auch in der Jury des Kühne-Preises. Stephan Lohr, langjähriger NDR-Journalist und mit dem Festival seit Langem in verschiedenen Funktionen verbunden, hofft, dass es Festival und Behörde gelingt, „Kühne von der Notwendigkeit einer Untersuchung der Unternehmensgeschichte in seinem eigenen Interesse zu überzeugen“.

Im Hinblick auf diese Überlegung bringt Lohr den mit Kühne befreundeten Wolf Biermann als Vermittler ins Spiel – „so oder so werden sich Kulturbehörde und Festival verhalten müssen“.