Hamburg. Die Tonndorfer werden 75. Geschäftsführer Johannes Züll spricht über Gehaltsverzicht, die Branchenkrise und besondere Produktionen.
Eins der größten Medien-Produktions- und -Dienstleistungsunternehmen Deutschlands hat in Tonndorf seinen Hauptsitz. Geleitet wird es von Johannes Züll und Kurt Bellmann. Gegründet wurde es vor 75 Jahren von Gyula Trebitsch und Walter Koppel. Das Spektrum der Produktionen reicht von „Der Hauptmann von Köpenick“ über das „Großstadtrevier“ bis zu „Ich bin dein Mensch“.
Das Studio Hamburg ist sehr viel älter als Sie selbst. Wie nehmen Sie die Geschichte des Unternehmens wahr?
Johannes Züll: 75 Jahre ist ja eigentlich ein rüstiges Alter. Ich finde, wir sind jünger denn je. Dass wir Teil dieser langen und wunderbaren Geschichte – auch mit vielen Aufs und Abs – sein dürfen, macht mich demütig.
Zum Beispiel?
Züll: Wir haben die gesamte Film- und Fernsehgeschichte mitgemacht. Nach dem Krieg war Hamburg eine Zeit lang der stärkste Kinostandort Deutschlands. Und dann kam das Fernsehen auf. Die Gründer Walter Koppel und Gyula Trebitsch haben sich in diesem Zusammenhang getrennt. Koppel wollte nicht für das Fernsehen arbeiten, Trebitsch schon. Zuerst gab es nur öffentlich-rechtliche Sender, dann kamen die privaten dazu. Wir sind mal kleiner, dann wieder größer geworden. Zeitweise hatten wir hier RTL, Sat.1 und Premiere auf dem Gelände. Wir haben sehr viel für die Privaten gemacht, die aber alle wieder weggegangen sind. Das führte zu einer Krise, weil die Studios nicht mehr ausgelastet waren. In den vergangenen sieben oder acht Jahren haben wir uns aber gut gefunden, wir entwickeln uns hervorragend. Studio Hamburg arbeitet für alle Sender, Verleiher und eben auch für die Streamingdienste. Wir haben eine gute Auslastung und sind auch verhältnismäßig gut durch die Corona-Krise gekommen, vor allem unser Vertrieb Studio Hamburg Enterprises war in dieser schwierigen Zeit besonders erfolgreich.
2020 mussten Sie die Produktion wegen der Pandemie einstellen. Wie schwer war das für das Unternehmen?
Züll: Das war Mitte März 2020 und in den ersten beiden Monaten richtig schwer. Wir haben damals in der Geschäftsleitung freiwillig auf Gehalt verzichtet. Wir hatten Sorge, dass wir nicht über genügend Liquidität verfügen, um die laufenden Kosten zu bezahlen. Aber dann haben alle die Köpfe zusammengesteckt und sich überlegt: Wie kann man in diesen Zeiten produzieren? Die Jahre 2020 und 2021 haben wir den Umständen entsprechend gut überstanden. Die Pandemie hat uns erst in diesem Jahr so richtig erwischt. Es gab Stillstände, aber keine richtigen Abbrüche. Da es jetzt auch den Ausfallfonds nicht mehr gibt, ist 2022 das herausforderndste der drei.
Das Studio hat mittlerweile viele Zweigstellen. Wollen Sie die noch ausweiten?
Züll: Wir machen alles, was staatsvertraglich möglich ist. Es ist wichtig, dass man Präsenz zeigt, denn Arbeitskräfte sind knapp. Wir sind in Berlin, München, Köln, Lüneburg, Kiel, Schwerin und London – und natürlich in Hamburg. Auch in Leipzig und Dresden sind wir aktiv, obwohl wir dort keinen eigenen Standort haben.
Auf welche Produktionen sind Sie stolz?
Züll: Auf die langlaufenden Formate, die sich ständig neu erfinden. Dazu gehört schon viel Klasse. Die „Roten Rosen“, „SOKO Wismar“, das „Großstadtrevier“, „Notruf Hafenkante“. Zwischen der ersten Folge des „Großstadtreviers“ und einer aktuellen liegen Welten. Die Bildsprache und der Inhalt haben sich sehr verändert. Aber natürlich sind auch „Blochin“, „Bad Banks“, „Die Toten von Marnow“ und „Unorthodox“ ganz herausragende Produktionen. Selbstverständlich hat uns die nationale und internationale Erfolgsgeschichte von „Ich bin dein Mensch“ sehr stolz gemacht. Ich habe ihn mir zusammen mit Freunden bei einem Glas Rotwein angesehen. Man konnte hinterher hervorragend darüber diskutieren, ob das die schöne neue Welt sein wird – hoffentlich nicht. Neben den Produktionen der Studio Hamburg Production Group, der Polyphon und der Studio Hamburg Serienwerft setzen wir viele interessante Projekte auch in den anderen Bereichen um. Z. B. bei Studio Berlin oder hier in der Synchron oder in der Postproduction, wo wir in eine sehr moderne Filmrestaurierungsanlage investiert haben. In unseren Werkstätten arbeiten über 100 Handwerker für Bühnen- und Dekorationsarbeiten. Die MCI entwickelt Lösungen für das Fernsehen der Zukunft.
Apropos Zukunft. Welche Erwartungen haben Sie an die Zukunft?
Züll: Die Medienlandschaft steht vor vielen Herausforderungen. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben Probleme mit der Finanzierung, die Privaten werden von der Rezession betroffen sein, wenn der Werbemarkt schwächelt. Bei den Streamingplattformen stagnieren die Abozahlen. Der Personalmangel macht es schwierig, die heutige Nachfrage zu bedienen. Aber: Es gibt noch gute und interessante Entwicklungsmöglichkeiten. Ich bleibe sehr positiv gestimmt. Die Studio Hamburg Gruppe ist auch für schweren Seegang gut gerüstet. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, hat die Studio Hamburg Production Group z. B. gemeinsam mit der Hamburg Media School und der Moin Filmförderung das Trainee-Programm „GetOnSet“ ins Leben gerufen.
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Die Initiative richtet sich vor allem an Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, die Lust auf einen Wechsel in die Filmbranche haben. Einer der wichtigsten Innovationsschritte des Jahres ist auch der Beitritt unserer gesamten Firmengruppe in das bundesweite Nachhaltigkeitsbündnis „Green Motion“ und dabei die Herausforderung, die einheitlichen ökologischen Richtlinien konsequent in allen Bereichen umzusetzen.