Hamburg. Die Schauspielerin spielt in der Netflix-Serie „Kleo“ eine Stasi-Killerin. Und findet, man müsse auch aus Fehlern der DDR lernen.

Ein größerer Kontrast ist kaum möglich: Zuletzt war Jella Haase im Film „Lieber Thomas“ zu sehen, der von Repressionen der DDR gegen Kulturschaffende handelte. Dafür gewann die 29-Jährige beim Deutschen Filmpreis eine Lola.

Am Freitag startete die Netflix-Serie „Kleo“, die die Vergangenheit ganz anders verarbeitet und satirisch überhöht: In dem Sechsteiler spielt Jella Haase, die als Chantal in dem Film „Fack ju Göhte“ bekannt wurde, eine Stasi-Killerin, die sich nach dem Fall der Mauer an allen rächen will, die ihr Leben verpfuscht haben. Wir haben mit der Schauspielerin gesprochen.

Hamburger Abendblatt: Gratulation erst mal nachträglich für den Deutschen Filmpreis. Wie war es, die Lola zu bekommen?

Jella Haase: Erst mal ist das eine wahnsinnige Anerkennung. Ich freue mich sehr über diese Sichtbarkeit. Denn es war schon die dritte Nominierung. Die erste gab es für einen sehr kommerziellen Film mit der Chantal-Figur aus „Fack ju Göhte“, die zweite für „Berlin Alexanderplatz“. Man unterscheidet hierzulande ja leider immer noch zwischen E und U, zwischen kommerziell und Arthouse. Aber dass ich diese Brücke schlagen konnte und mich auf allen Ebenen beweisen darf, macht dieser Preis irgendwie amtlich. Dennoch gab es ein paar Energien, die mir den Lola-Abend nicht so angenehm gemacht haben. Und dann leben meine Großeltern nicht mehr. Es war immer einfacher, Preise für andere zu gewinnen. Am liebsten habe ich das für meinen Opa und meine Oma gemacht. Jetzt sind sie nicht mehr da. Ich muss irgendwie lernen, die Preise für mich selbst zu gewinnen. Und das auch einzuordnen.

War diese Lola auch eine späte Genugtuung? Früher wurden ja Sie gern auf Ihre Chantal festgelegt.

Haase: Genugtuung nicht. Ich habe diese Chantal-Figur ja lieb. Und Dimi, mein Schauspielkollege aus „Kleo“ (Dimitrij Schaad, die Red.), hat gesagt: Jella, du hast mit dieser Figur etwas geschaffen, was nur ganz selten passiert: Man sagt den Namen Chantal, und jeder weiß, wer gemeint ist. Das ist sogar in den Sprachgebrauch übergegangen, dass jemand „chantallig“ ist. Wenn man das so betrachtet, erfüllt mich das mit Stolz. Diese Reduktion auf die Chantal war aber eher so ein Bild, das medial geschürt wurde. Das hat meinem eigenen Gefühl nie entsprochen.

In „Kleo“ spielen Sie nun eine taffe Stasi-Killerin. War das befreiend, auch mal eine so ganz andere Rolle zu spielen?

Haase: Ehrlich gesagt: Vor der Befreiung stand erst mal ein ganz großer Zweifel. Ähnlich wie damals bei Chantal. Da dachte ich auch: Glaubt mir irgendjemand, was ich da tue? Hier wurde ich aber in einem ganz frühen Stadium gefragt, ob ich die Rolle spielen mag. Es gab noch keine Drehbücher. Die Autoren haben mir aber einen Abend lang die Zauberreise dieser Kleo erzählt. Das soll jetzt nicht nach Klischee klingen, aber da sprang die Magie des Geschichtenerzählens auf mich über.

Wieso hatten Sie zunächst Zweifel?

Haase: Ich wusste einfach nicht, was das werden würde. Aber die Autoren haben es für mich weiterentwickelt und gesagt: Du bist das Tolle daran. Das ist das Schlimmste, was man mir sagen kann! Was für eine Verantwortung. Ich musste da nicht nur ins kalte Wasser, ich musste ins Eisbecken springen. Ich war damals noch im Ensemble der Volksbühne, das ging nahtlos ineinander über. Wir hatten noch letzte Vorstellungen, dann gingen die Proben für „Kleo“ los. Aber ich habe wieder mit meiner Sprecherzieherin gearbeitet, wie schon für den Brasch-Film „Lieber Thomas“. Sie war mein großes Korrektiv, für beide Projekte, weil sie, was die DDR anbelangt, eine ganz andere Verbindung hat.

Sie sind Jahrgang 1992. Ist das Ost-West-Thema überhaupt noch relevant für Sie?

Haase: Doch, ja. In meinem Freundeskreis gibt es schon die mit Ost- und West-Sozialisation. Das fängt einfach damit an, wo man wohnt. Ich bin früher, gebe ich zu, auch nicht so oft in den Osten gegangen. Das hat etwas gedauert. Mit meiner Mutter war ich oft zum Eislauftraining in den alten DDR-Sporthallen. Da hat sie mir auch gezeigt, wo die Mauer stand. Aber so richtig kennengelernt habe ich den Osten vor allem durch meine Arbeit. Und die Menschen, die dort gewohnt haben und die ich als sehr idealistisch wahrnehme. Das habe ich an der Volksbühne und auch beim Brasch-Film erlebt. Es ist ein großes Geschenk, dass ich all das durch meine Arbeit lernen darf.

Es ist sicher reiner Zufall, aber doch spannend, nach einem so emotionalen Film wie „Lieber Thomas“ die DDR auch in einer satirischen Serie aufzuarbeiten.

Haase: Ich glaube, das ist eher so eine Beobachtung von außen. Die ich auch spannend finde. Aber ich habe mich einfach ganz aufrichtig diesen Figuren gewidmet. Und die Überhöhung in der Serie auch gar nicht so gesehen. Auch wenn ich natürlich mehr Absurdität ins Spiel bringen konnte, habe ich die Kleo genauso ernst genommen wie die Kati in „Lieber Thomas“. Und auch die Auseinandersetzung mit dem Osten war von der gleichen Ernsthaftigkeit. Wenn nicht sogar ernsthafter: Denn das Schlimmste, was hier hätte passieren können, wäre gewesen, in Klischeefallen zu tappen und ein Narrativ zu bedienen, das wir sowieso schon kennen.

Sonst ist Action ja eher ein Männer-Fach. Hier sind Sie die Taffe, während der männliche Partner ein Weichei ist. Hat auch das Spaß gemacht, das Genre und die Stereotype mal gegen den Strich zu bürsten?

Haase: Auf jeden Fall! Das war auch immer die Frage bei der Stoffentwicklung: Wie wäre das, wenn man’s mal andersrum zeigt? Immer in die gegenteilige Emotion gehen! Das war anfangs alles noch gar nicht so klar, das ist erst mit der Zeit gewachsen. Und wir sind alle daran mitgewachsen.

Alle drehen. Und immer mehr Serien. Aber die Kinos sind auch nach den Corona-Lockerungen noch sehr leer. Auch die Letzten haben gelernt, zu Hause Netflix zu gucken. Denkt man, wenn man so eine Serie dreht, darüber nach, dass man auch irgendwie teilhaben könnte am Niedergang des Kinos?

Haase: Zeiten ändern sich nun mal. Und damit auch Sehgewohnheiten. Die Koexistenz und den Widerspruch kann ich als Einzelperson nicht auflösen. Ich kann aber als Einzelperson dazu beitragen, dass das Kino erhalten bleibt, indem ich weiterhin ins Kino gehe. Vielleicht sollten wir nach Wegen für ein Umdenken suchen, wie man beides vielleicht verbinden kann. Ich glaube, das eine kann das andere bestärken. Und auch wenn ich jetzt eine Netflix-Serie gedreht habe, werde ich natürlich nicht aufhören, Kinofilme zu drehen. Ich hoffe, wenn man bei Netflix ein breiteres Publikum anspricht, dass es auch dazu führen könnte, dass die Zuschauer wieder mehr Lust auf Kino haben. Und es wird auch weiterhin Filme geben, die man nur im Kino sehen kann. Da bin ich mir ganz sicher.

Die Serie ist frech, gewagt, zeigt Haltung. Und dann schreibt sie auch noch ein bisschen Geschichte um. Muss man sich da auch auf Gegenwind einstellen? Dass es heißt: So kann man das nicht machen?

Haase: Den wird’s wohl geben. Die Serie polarisiert sicher. Das ist aber auch gut. Sobald man sich was traut und was anderes erzählt, gibt es immer Gegenwind. Gerade hier fand aber ich ganz wichtig, dass man nicht gefällig wird. Das ist die große Kraft des Stoffes: dass wir eine eigene Version auf die Zeitgeschichte werfen. Und Neues kreieren – was sich dann auf die Gegenwart übertragen lässt. Das ist zwar erst mal Unterhaltung. Und man darf auch mal lachen, was gerade in diesen Tagen ja sehr nötig ist. Aber vielleicht denkt man trotzdem mal darüber nach, wie das System funktioniert, in dem wir leben. Wir sind lange dem Narrativ gefolgt, der Westen war auf der richtigen Seite. Dabei stoßen wir derzeit überall an Grenzen. Es wäre ein großer Wunsch von mir, dass man auch überlegt, aus welchen Systemen und Gesellschaftsformen man noch was lernen oder besser machen könnte und auch aus deren Fehlern lernen kann.

Müssen Sie bei systemkritischen Äußerungen jetzt doppelt überlegen? Als Sie für die Volksbühne an einem Monolog über die RAF gearbeitet haben, erzählten Sie einem Magazin, Sie teilten den Grundgedanken der RAF, die Kapitalismuskritik. Prompt hieß es danach verkürzt, Sie sympathisierten mit der RAF. Und es gab einen Shitstorm.

Haase: Das Schöne war aber, dass alle anderen Medien mich da gleich verteidigt haben. Dafür bin ich sehr dankbar. Dennoch war die Beschäftigung damit auch sehr ermüdend. Ja, wahrscheinlich müsste ich jetzt noch genauer überlegen, was ich sage. Früher ist so was an mir abgeprallt. Jetzt habe ich viele Zweifel in mir. Aber ich will auch wieder den alten Punk rausholen, den ich immer noch in mir drin habe. Und gewisse Meinungen kann ich mir vielleicht nicht verkneifen. Will ich auch gar nicht. Wenn ich nach diesem Interviewtag nach Hause komme, denke ich vielleicht: Oh, hättest du dies und das nicht gesagt, dann hättest du vielleicht mehr Ruhe. Aber wenn ich was von meiner Kleo mitnehmen kann, dann das, dass sie sagt, was sie denkt, und dafür einsteht.

Der Jahrgang 1992 wurde schon genannt. Da steht ja im Oktober ein runder Geburtstag an. Ist das eine Zäsur, ist das eine Zahl, die Ihnen etwas bedeutet?

Haase: Das wird vermutlich einfach die größte Party des Jahres. Aber das darf ich vielleicht nicht so heraufbeschwören. Sonst kommt Corona wieder und macht dem noch einen Strich durch die Rechnung