Hamburg. Der von Alfons und Intendant Ulrich Waller initiierte denkwürdige Abend „Zusammen!“ im St. Pauli Theater bot viel prominente Hilfe.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine schreibt seit Wochen viele grausame und leidvolle Geschichten, im Großen wie im Kleinen. Persönliche Erzählungen und Erfahrungen sowie kulturell Bemerkenswertes bot ein Benefizabend im St. Pauli Theater, den Intendant Ulrich Waller und Kabarettist Alfons in nur zehn Tagen mit prominenter Besetzung organisiert hatten.
Am Ende der denkwürdigen dreieinhalbstündigen Veranstaltung unter dem Titel „Zusammen! Benefiz für die Kinder der Ukraine“ hatte sich der Erlös aus den verkauften Eintrittskarten (17.000 Euro) dank gesammelter Spenden in der Pause und im Anschluss auf 32.000 Euro fast verdoppelt. Am Donnerstag meldete das St. Pauli Theater eine Summe von mehr als 35.000 Euro für Save the Children.
An die hierzulande in Berlin ansässige internationale Hilfsorganisation fließen alle Einnahmen, der Verein unterstützt bereits seit 2014 Familien und insbesondere Kinder in der Ukraine materiell und finanziell, nun auch verstärkt psychologisch.
Konzert für ukrainische Kinder: Udo Lindenberg überrascht
Das St. Pauli Theater, erstmals seit mehr als zwei Jahren mit 530 (komplett maskierten) Gästen bis unters Dach gefüllt, hätte dreimal so viele Karten verkaufen können. Und das Programm vom Mittwoch mit seiner besonderen Mischung aus Musik, szenischer Lesung, Artistik und Satire hätte locker für drei Abende gereicht. Finaler und emotionaler Höhepunkt war der Auftritt von Überraschungsgast Udo Lindenberg: Der Panik-Rocker hatte vor vier Jahrzehnten mit dem zehnjährigen Pascal Kravetz „Wozu sind Kriege da?“ aufgenommen.
Am späten Abend nun begleitete der heutige Songwriter Kravetz am Flügel Lindenberg beim neuerlichen Duett – für das Udo sogar mal die Sonnenbrille abnahm. Im Bühnen-Hintergrund lief das Original-Video mit den beiden von 1981 aus der Hoch-Zeit des Kalten Krieges und der leider mehr denn je aktuellen kindlichen Frage.
Publikum im St. Pauli Theater feiert Trio Essence
Der Wahl-Hamburger und Deutsch-Franzose Alfons alias Emmanuel Peterfalvi hatte als Conférencier die Entstehung von „Wozu sind Kriege da?“ ebenso charmant und anekdotenreich anmoderiert wie die dramatische Rückkehr des Trios Essence in die Hansestadt. Die drei ukrainischen Akrobatinnen Olena Kosiuchenko, Olha Shutiak und Nataliya Yuskivdes waren nach der geplanten Unterbrechung ihres Gastspiels im Hansa-Varieté-Theater in ihre Heimat gereist – Olha Shutiak etwa wollte in Kiew primär einen Zahnarzttermin wahrnehmen.
Mit ihrer Familie floh sie bei Ausbruch des Krieges dann im Auto gen Westen, derweil ihre beiden Kolleginnen per Bahn zurück nach Hamburg fanden. Und so wurde das Trio Essence nach seiner Darbietung im St. Pauli Theater nicht nur für Ausdruck, Anmut, Eleganz und große Körperbeherrschung minutenlang vom Publikum gefeiert.
Salut Salon setzt musikalisch politische Ausrufzeichen
Ähnlich war es vor der Pause Salut Salon ergangen. Hamburgs charmantester Klassik-Export spielte diesmal nur zu dritt. Quartett-Gründerin Angelika Bachmann, wie der überzeugte Europäer Alfons für ihr soziales Engagement bereits mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt, überließ zunächst Pianistin Kristina Rokashevich die Bühne. Die gebürtige Estin erzählte von ihren familiären Verbindungen und den Sorgen um ihre Großmutter im Bombardement in der Ost-Ukraine, ehe sie im Trio mit Geigerin Bachmann und María Well (Cello) nach Astor Piazzollas „Libertango“ mit einem Wiegenlied aus Georgien und einem jiddischen Volkslied aus Odessa musikalisch politische Ausrufzeichen setzte.
Das machte auch der dritte Bundesverdienstkreuzträger auf der Bühne, TV-Moderator, Sänger und Gitarrist Reinhold Beckmann. Nach zwei Liedern, darunter dem über seine Mutter und deren „4 Brüder“, die alle im Zweiten Weltkrieg gefallen waren, erinnerte Beckmann als Vertreter der „Hippie-Generation“ bewegt und bewegend daran, dass auch jetzt manche Mütter in der Ukraine als auch in Russland ihre Söhne nur in Holzsärgen zurückbekämen.
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Schüler der Stadtteilschule am Hafen singen „Stay With Me“
Peter Franke, Schauspiel-Doyen am St. Pauli Theater und als ausdrucksstarker Mime des Jahrgangs 1941 noch Kriegsgeneration, mahnte, dass es in 3500 Jahren Menschheitsgeschichte nur 250 gegeben habe, in denen kein Krieg geherrscht habe. Wie zum Beweis rezitierte er Matthias Claudius’ bekanntes „Kriegslied“, in dem der Wandsbeker Lyriker den Krieg schon 1778 als grausam und leidvoll geschildert hatte.
Frankes Kollegin Hannelore Hoger las aus dem Buch „Warum ich nicht im Netz bin. Gedichte aus dem Krieg“ des ukrainischen Schriftstellers Serhij Zhadan. Auch Schauspielerin Anne Weber rezitierte Ukrainisches, Victoria Fleer, Anneke Schwabe, Anna Depenbusch, Gustav Peter Wöhler und Stefan Gwildis sangen. Ebenso Schülerinnen und Schüler aus 14 verschiedenen Nationen der Stadtteilschule am Hafen die Hymne „Stay With Me“. Viel versprechende jugendliche Zukunftsmusik, aber auch ein Gebot der Stunde.
Benefizabend für ukrainische Kinder in Hamburg – auch mit Satire
Die Gegenwart kritisch zu beleuchten blieb zwei wortstarken Schwergewichten vorbehalten. Der Freiburger Kabarettist Matthias Deutschmann – im „trendigen“ olivgrünen T-Shirt – bewies einmal mehr, dass trotz bedrohlicher Zeiten intelligente innen- wie außenpolitische Satire möglich ist. „Wenn bei der Bundeswehr nur drei von 49 Helikoptern einsatzbereit sind – was ist, wenn der ADAC angreift“? spottete er etwa. Und in seiner Fantasie stellt er sich Putín zunächst in einem Escape-Room mit Angela Merkel vor, dann bei einem Gipfeltreffen und -essen in Potsdam mit dem US-Präsidenten, dem britischen Premier und dem französischen Staatschef („als Kellner“), bis Putin in den Zug nach Den Haag steigen muss – bekanntlich Sitz des UN-Kriegsverbrechertribunals.
Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda hatte in seinem Grußwort auf die Bedeutung von Kulturstätten als Symbole der Freiheit hingewiesen, etwa auf das zerstörte Theater in Mariupol. Literarisch nahm der SPD-Politiker Anleihen beim österreichischen Schriftsteller Joseph Roth, dem kanadischen Singer-Songwriter und Dichter Leonard Cohen sowie auch bei Andrij Kurkow, Der Schriftsteller ist seit 2018 Präsident der PEN Ukraine. Dessen Roman „Der Tod und der Pinguin“ hatte Brosda schon in den 1990ern gelesen, er spielt auch im Kiew der Jahre 1996 und 1997.
Nicht nur Brosda war vom Benefiz-Abend angetan. „Das zeigt auch, was privat geführte Häuser leisten können“, so der Kultursenator. „Wichtig ist nur, dass die Hilfe insgesamt nicht nach wenigen Wochen nachlässt.“ Seinen persönlichen Beitrag leistete er nach der Vorstellung vor dem St. Pauli Theater. Als ihn Alfons in seiner neu angefertigten Trainingsjacke in den ukrainischen Nationalfarben aufforderte, „La Friedensjacke“ mal anzuziehen, legte Brosda sein dunkles Sakko ab und trug für ein gemeinsames Foto kurzzeitig Blau-Gelb. Für Alfons war das beim Senator wie bei alle anderen Interessenten der Anlass, so weitere Spenden für Save the Children zu sammeln. Ein weiterer Clou des „Zusammen!“-Benefiz-Initiators.