Hamburg. Die Ukrainerin Alona Dmukhovska ist nach Hamburg geflohen. Sie erklärt, warum Putins Krieg die Popszene ihres Heimatlandes stärkt.
Seit im Februar die russische Armee den Nachbarstaat Ukraine angriff, herrscht in Osteuropa offener Krieg, unzählige Ukrainer und Ukrainerinnen sind in den Westen geflüchtet. Eine von ihnen ist Alona Dmukhovska, die mittlerweile von Hamburg aus die ukrainische Popkultur international bekannt macht.
Hamburger Abendblatt: Frau Dmukhovska, seit April leben Sie wegen des Krieges in der Ukraine in Hamburg. Aber Ihre Initiative Music Export Ukraine arbeitet weiterhin?
Alona Dmukhovska: Wir sind eine NGO, die unabhängig ist von der Regierung oder anderen Institutionen. Das ist gleichzeitig gut und schlecht – wir sind sehr flexibel, aber wir haben keine Garantien, dass unsere Finanzierung steht, dass wir unser Team zu 100 Prozent unterstützen können. Deswegen versuchen wir so aktiv wie möglich zu bleiben, Gelder einzuwerben, Unterstützung von der internationalen Gemeinschaft zu bekommen.
Sie sind zu siebt. Sind Sie gerade alle in Hamburg?
Dmukhovska: Nein, ich bin die einzige. Wir sind über vier Staaten verstreut, und zwei Mitarbeiterinnen sind immer noch in der Ukraine.
Und Sie arbeiten online?
Dmukhovska: Ja, während der Corona-Pandemie haben wir sehr viel gelernt. Schon 2020 haben wir uns fast ein Jahr lang nicht gesehen. Wir treffen uns online, jede ist für ihren Bereich selbst verantwortlich. Das Problem ist nicht die Zusammenarbeit, das Problem ist, dass sich die Zukunft schwer vorhersagen lässt.
Gibt es in der Ukraine aktuell überhaupt ein Musikleben?
Dmukhovska: Wir haben gerade zwei Realitäten. Im Digitalen ist die Szene extrem aktiv, es gab während der vergangenen Monate unglaublich viele Veröffentlichungen. Keine Ahnung, wie die Bands überhaupt Songs aufnehmen, manchmal ist es schon unmöglich, zum Aufnahmestudio zu kommen. Außerdem sind Bands in unterschiedliche Teile des Landes geflohen, da gibt es keine Infrastruktur, wahrscheinlich machen sie Homerecordings. Die Live-Industrie dagegen liegt fast vollkommen am Boden. Eine Möglichkeit für die Künstler ist, in U-Bahn-Stationen zu spielen – das ist ein cooles Format, es ist sicher, es ist underground, es ist einzigartig. Vor einigen Wochen haben auch Bono und The Edge von U2 ein Konzert in einer ukrainischen U-Bahn-Station gespielt. Und Swjatoslaw Wakartschuk, der Sänger von Okean Elzy, einer der bekanntesten ukrainischen Bands, hat eine Tour durch Krankenhäuser und U-Bahn-Stationen gemacht. Aber davon abgesehen ist jede öffentliche Veranstaltung eine Herausforderung. Schon alleine aus Sicherheitsgründen – man braucht einen Bunker in der Nähe, und man muss die Leute in fünf Minuten evakuieren können.
Music Export Ukraine hat allerdings das
erklärte Ziel, Musik in den Rest Europas zu exportieren …
Dmukhovska: Ja. Wir versuchen, Kontakt zu internationalen Medien zu halten, zum Beispiel, indem wir Interviews mit Künstlern organisieren. Darüber hinaus wurden wir ein bisschen zu einer Konzertagentur. Wir hatten das eigentlich nicht geplant, aber nach Kriegsausbruch fragten internationale Festivals an, ob wir ihnen ukrainische Bands vermitteln könnten. Wenn also gerade ukrainische Künstler in Europa sind und gerne auf Festivals spielen würden, dann verbinden wir sie mit den Promotern. Denn darum geht es: Den Künstlern eine Stimme zu verschaffen und ihnen die Möglichkeit zu geben, diese Stimme auf der Bühne zu erheben.
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Vor dem Krieg kannte ich kaum ukrainische Musik. Erst jetzt, durch die verstärkte Berichterstattung, habe ich gemerkt: Da lohnt ein Hinhören. Provokant gefragt – hat der Krieg der ukrainischen Popszene geholfen?
Dmukhovska: Das ist nicht provokant, das ist die Realität. Man muss so eine Gelegenheit ergreifen, das ist einfach der Moment, an dem dir die Leute zuhören, das muss man ausnutzen. Eine andere Frage ist: Ist gerade wirklich die Zeit, Lieder zu singen, während andere für unsere Freiheit kämpfen? Ich sage: Ja! Es geht darum, unsere Kultur bekannt zu machen, denn genau diese Kultur möchte Russland vernichten.