Hamburg. Der klimaschädliche Brennstoff erlebt eine Renaissance. Hansaport und Binnenschiffer können Nachfrage kaum bewältigen. Die Folgen.

Lange Zeit war die Richtung eindeutig: Der Klimawandel und die aus ihm resultierende Notwendigkeit einer Energiewende sollte – je früher, desto besser-- das Ende der Nutzung fossiler, klimaschädlicher Brennstoffe bedeuten. So schnell wie irgend möglich raus aus den Energieträgern Kohle und Öl lautete die Devise. Erdgas galt und gilt – weil etwas weniger belastend für das Klima – als unvermeidbares Übel. Doch seitdem Erdgas aus Russland zeitweise gar nicht oder nur spärlich und unverlässlich nach Deutschland fließt, haben sich die Vorzeichen geändert.

Hamburgs Unternehmen haben Wirtschaftsenator Michael Westhagemann (parteilos) zugesagt, sie wären bereit, ihren Gasverbrauch um 25 Prozent zu verringern, wenn denn Privathaushalte eine ähnlich große Verringerung des Verbrauchs realisieren. Nun wird auch über die Verlängerung der Laufzeiten der drei letzten Atomkraftwerke diskutiert, doch das ist in der Ampelkoalition in Berlin hoch umstritten. Derweil erleben Kohle und Öl, das „schwarze Gold“, eine Renaissance, insbesondere in Importhäfen wie Hamburg.

Gaskrise: BDB verzeichnet enorm hohe Nachfrage

Die Reederei Dettmer mit Sitz in Hamburg und Bremen betreibt rund 20 Binnenschiffe zum Transport von Öl- und Kohleprodukten. „Wir könnten derzeit noch zehn bis 15 zusätzlich chartern und würden diese immer noch gut auslasten können“, sagt der Distributionsleiter der Reederei, Sebastian Poser. Die Industrie im Hinterland lechze geradezu nach Öl und Kohle.

Der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB) spricht von einer „enorm hohen Nachfrage nach Schiffsraum“ – etwa für Kohle, Container und Getreide. Diese Nachfrage balle sich nun wegen des Wiederhochfahrens von Kohlekraftwerken. „Deshalb kann es passieren, dass nicht jeder Kunde in dem Umfang bedient werden kann, wie er es sich wünscht“, sagt Verbandsgeschäftsführer Jens Schwanen.

Transport-Engpässe im Hamburger Hafen

Der Verein der Kohleimporteure rechnet für Deutschland mit einem Kraftwerkskohle-Verbrauch von mehr als 30 Millionen Tonnen in diesem Jahr. Das wären mehr als elf Prozent mehr als 2021. Inzwischen ist die Situation so angespannt, dass es auch zu Transport-Engpässen im Hamburger Hafen kommt, wo ein erheblicher Teil der Kohle anlandet. Die Lager sind voll und die Umschlagskapazitäten ausgelastet.

„Die aktuelle geopolitische Lage und besonders die angespannte Energiesituation führen aktuell zu einer sehr hohen Nachfrage nach Kohleumschlagsleistungen“, sagt ein Sprecher des Hansaport-Terminals, dem größten Schüttgut-Terminal in einem deutschen Seehafen und Hauptumschlagspunkt für Kohle. Im vergangenen Jahr sind offiziellen Zahlen zufolge im Hamburger Hafen 5,5 Millionen Tonnen davon umgeschlagen worden. In diesem Jahr waren es zwischen Januar und Juni bereits drei Millionen Tonnen.

Neukunden haben es derzeit nicht leicht

Doch nun stoßen die Kapazitäten offenbar an ihre Grenzen. Mehr Kohle für seine Kunden nimmt Hansaport nur an, wenn gleichzeitig auch mehr abgefahren wird. Und Neukunden haben derzeit gar keine Chance: „Kunden, die sich bei uns Lagerflächen vertraglich gesichert haben, können über eine Erhöhung der Abfuhrfrequenz die Umschlagsmengen steigern“, so der Hansaport-Sprecher.

„Neuen Kunden können wir aufgrund der extremen Auslastung keine direkten Umschlagsleistungen anbieten.“ Man arbeite aber in Zusammenarbeit mit den Bestandskunden an Lösungen, um weitere Mengen umschlagen zu können. „Ob dieser partnerschaftliche Ansatz erfolgreich sein wird, hängt wesentlich davon ab, ob geeignete Kohle-Sorten und ausreichende Transportkapazitäten gefunden werden.“

Lieferverzögerungen auch in anderen Häfen

Denn nicht allein der Anstieg der Umschlagsmengen führt zu mehr Bedarf an Lagerflächen. Mittlerweile wird auch einen größere Zahl unterschiedlicher Kohlesorten im Hamburger Hafen umgeschlagen. Als Folge der Sanktionen gegen Russland stellen viele Kunden des Hansaports gerade von russischen Kohle- und Erzprodukten auf Rohstoffe etwa aus Australien, Afrika und Amerika um. „Eine weitere Herausforderung für den Hansaport besteht darin, eine aktuell sehr große Sortenvielfalt zu lagern“, so der Sprecher.

Nicht nur in Hamburg gibt es diese Probleme. „Lieferverzögerungen kann es ebenso in Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen geben, die durch den hohen Zulauf von zurzeit noch russischer Kohle plus den Alternativen dazu voll ausgelastet sind“, sagt ein Sprecher der Marketingorganisation des Hafens. Auch bei der Binnenlogistik, dem Transport der Kohle von den Seehäfen zu den Kohlekraftwerken per Schiff oder Bahn führt zu Engpässen – unter anderem wegen Personalmangels.

Energieschwenk wohl nicht mehr möglich

Ein wichtiger Kunde des Hansaports sind die Hamburger Energiewerke, genauer gesagt deren Tochterunternehmen Wärme Hamburg. Mit 247.000 angeschlossenen Wohnungen ist sie der größte Fernwärmeversorger der Stadt. Vor zwei Jahren hatte Wärme Hamburg angekündigt, den Kohleeinsatz ab sofort um 20 Prozent und ab 2023 um mindestens 30 Prozent pro Jahr zu reduzieren. Das entspräche rund 150.000 Tonnen Kohle pro Jahr, die künftig weniger verbrannt würden. Ersetzt werden sollte sie durch das moderne Gas- und Dampfkraftwerk (GUD) Tiefstack.

Doch schon im vergangenen Jahr waren die Gaspreise so hoch, dass der Energieschwenk wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war. Jetzt wäre er wegen des Gasmangels nicht einmal mehr möglich. Gleichwohl sei die Fernwärmeversorgung vorerst gesichert, meldet das Unternehmen: „Trotz der angespannten Lage auf den Energiemärkten war es den Hamburger Energiewerken dennoch möglich, ausreichend Steinkohle für die Fernwärmeversorgung einzukaufen.“

Hamburger Kohlehafen: Schwarzes Gold ist wieder in

Im vergangenen Jahr hatte russische Kohle bei der Fernwärmeversorgung noch einen Anteil von rund 50 Prozent, die verbleibenden 50 Prozent kamen nahezu vollständig aus den USA, erklärt das Unternehmen. Dieser Brennstoff-Mix wird sich wegen der Sanktionen deutlich verändern. „Aktuell sind Lieferungen aus den USA, Südafrika und Kolumbien möglich aufgrund der Eignung der Kohle zum Einsatz in unseren Kraftwerken“, sagt ein Unternehmenssprecher.

„Wir haben die Bestände unserer Kohlelager in den vergangenen Wochen um 25 Prozent erhöht, um uns gegen logistische Risiken abzusichern.“ Fehlt Gas, um Verbrauchsspitzen im Winter abzudecken, bleibt dem Unternehmen die Alternative Öl. „Einige Anlagen sind wahlweise mit Erdgas oder Heizöl zu betreiben“, sagt der Sprecher. Das schwarze Gold ist wieder in.