Hamburg. Die Hamburger Sängerin ist jetzt Mutter und schreibt auch Songs über Fettpölsterchen. Was bei der neuen Platte polarisieren könnte.
„Some more coffee“ ist nicht nur das Stichwort beim Treffen mit der Hamburger Sängerin Sarajane in der Laundrette in Ottensen oder ein Songtitel auf ihrem neuen Album „Milk & Money“, sondern auch die Zusammenfassung ihrer vergangenen beiden Jahre. Einiges war einfach nur mit einer weiteren Kanne Kaffee zu schaffen. Der 2019 erschienene Vorgänger des neuen Werks hieß noch „Fuel“ (Treibstoff) und war ein kraftvolles, temperamentvolles und urbanes R’n’B-Pop-Album, voller Aufbruchstimmung und mitreißender Begeisterung für die eigene Kunst.
Auch auf „Milk & Money“ hat die bei Wolfsburg aufgewachsene und seit 2005 in Hamburg lebende Powerstimme, vielen auch als Backgroundsängerin von Ina Müller bekannt, nichts von ihrer enormen Spielfreude in Bezug auf Genres, Rhythmen und Sounds verloren. Und doch wirken Songs wie „Waiting For Your Love“, „Something To Lose” und „Don’t Care About No Ring” spontaner, unmittelbarer und vor allem lyrisch deutlich persönlicher. „Wir mussten die Situation, wie sie war, radikal annehmen und vieles einfach auf uns zukommen lassen“, erzählt Sarajane.
Albumkritik: Sarajane wurde Mutter
Corona war ein entscheidender Einfluss auf Arbeit und Umfeld, wie bei vielen Akteuren in der Popmusik. Statt Auftritten, gar Tourneen, war Kleingeldzählen angesagt, mit Auftragssongs, Werbekompositionen und was sonst noch greifbar war. Dazu kam, dass Sarajane mit ihrem Mann, ebenfalls Musiker, einen Sohn bekam. Das veränderte alles.
„Kaum hat man eine Verabredung, um an einem Song zu arbeiten, liegt die Familie flach, weil Magen-Darm aus der Kita mitgebracht wurde“, sagt Sarajane und lacht. Die Musik fand für das Ehepaar immer statt, wenn der Nachwuchs es zuließ. Patchwork, Minutenarbeit, Milch abpumpen, stillen, singen. Und dazwischen Kaffee. Und alles im kleineren Rahmen, digitaler, ohne wie seinerzeit mit Bandbegleitung.
Sarajane zeigt sich beim Stillen
Prioritäten verschieben sich, der Kleine ist schließlich „Everything“, wie sie zärtlich singt. „Du hast einfach Zeitfenster, und dann musst du ballern. Zwischendurch am Handy rumdaddeln oder jammen ist nicht mehr drin. Aber in meinem Selbstverständnis auch als Künstlerin bin ich jetzt weniger kompromissbereit und möchte auch weniger gefallen.“
Einfach das eigene Ding durchziehen, statt gefallen zu wollen, dafür steht auch sinnbildlich das Coverbild von „Milk & Honey“. Es zeigt Sarajane mit entblößter Brust beim Stillen. „Wir hatten eine längere Fotosession für das Cover, und zwischendurch hatte jemand einfach Hunger“, erinnert sich Sarajane, „und als ich später die Bilder durchgegangen bin, hat es mich sofort gefangen.“
Mit Beyoncé fühlt Sarajane sich verbunden
Sie überredet ihren Vertrieb, erkundigt sich über Zensurregeln bei Instagram und anderen Formaten (Stillfotos sind okay) und zieht es durch. Als es darum geht, das Bild in einem Elternforum hochzuladen, muss sie lachen, als sie sich den wahrscheinlich sofort einsetzenden Shitstorm vorstellt: „Egal, ich finde das Foto so stark wie verletzlich. Es ist natürlich und ungestellt und so, wie ich bin.“
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Sein, wie man ist, und das annehmen. Und andere ermutigen. Das soll auch das Lied „F.U.P.A.“, das für „fat upper pubic area“ steht, den „fetten oberen Unterleib“, das Bäuchlein. „Nach der Geburt ihrer Zwillinge erzählte Beyoncé in einem Interview von ihrem F.U.P.A., und ich dachte mir als Fan: O Gott, wir waren uns noch nie so ähnlich wie heute, wir sind eins. Und ich folge in den sozialen Netzwerken vielen Frauen, die sich alten gesellschaftlichen Normen verweigern und die sich zeigen, wie sie sind.“
Albumkritik: Lizzo ist ein Vorbild
Künstlerinnen wie Lizzo sind so zum Vorbild geworden für einen Themenkanon, von dem die männliche Seite der Popwelt noch nahezu unberührt ist, was auch Sarajane bedauert: „Bierbäuche werden ignoriert oder gefeiert, unsere Speckrollen hingegen werden gegen uns benutzt.“ Sie wolle nicht, dass ihr Kind in den Glauben aufwachse, dass man nicht okay ist, wie man ist. Dafür gelte es, alte Vorstellungen und Rollenbilder zu überwinden. Auch wenn das Zeit braucht.
Sarajane: „Milk & Money“ (McNificent Music, Download ca. 10 Euro)