Hamburg. Kulturstiftungs-Geschäftsführerin Gesa Engelschall spricht über wichtige Projekte in Hamburg und wie diese Geflüchteten helfen sollen.

Knausrig sind die Hamburger nicht. Das darf die Hamburgische Kulturstiftung auch in Krisenzeiten feststellen. Die hanseatische Spendenbereitschaft ist vorbildlich, der Bedarf – verstärkt durch die noch nicht ausgestandene Pandemie und Kunstschaffende aus Kriegsgebieten – ist derzeit allerdings auch besonders hoch. Vor allem zwei Initiativen sind es, für die Gesa Engelschall, Geschäftsführender Vorstand der Kulturstiftung, derzeit Gelder einwirbt und bewilligt.

Hamburger Abendblatt: Hat sich das Aufgaben- oder Wirkungsgebiet der Hamburgischen Kulturstiftung geändert oder spürbar erweitert, seit eine Krise die nächste ablöst?

Gesa Engelschall: Wir sehen es unbedingt als unsere Aufgabe, immer wieder mit frischem Blick zu schauen, was gesellschaftlich notwendig ist. Wo können wir helfen, wo können wir unterstützen? Das treibt uns seit Jahren um, nicht erst seit der Pandemie. Wir versuchen, auch unabhängig von unserer Kernaufgabe – also: junge Künstlerinnen und Künstler aller Sparten in unserer Stadt zu unterstützen – aktuelle Bedarfe aufzuspüren.

Ist die Spendenbereitschaft für Kulturschaffende in Hamburg durch die Pandemie gewachsen, stagniert, weniger geworden?

Engelschall: Wenn wir mit potenziellen Spendern persönlich gesprochen haben, haben sie immer wahrgenommen, dass die Künstlerinnen und Künstler immer noch in einer schwierigen Situation sind. Dadurch dass wir keine großen Veranstaltungen machen konnten, war der Dialog vielleicht etwas schwieriger. Sichtbarkeit ist wichtig. Aber damit kein Missverständnis entsteht: Im Vergleich mit dieser wahnsinnig großen Hilfswelle zum Beginn der Pandemie gab es einen leichten Rückgang. Aber wenn man sich unsere Zahlen anschaut, sind wir insgesamt nicht unter ein Vor-Corona-Niveau gerutscht. Wir haben glück­licherweise viele Förderer, die wirklich verlässlich an unserer Seite stehen.

Gesa Engelschall leitet seit 15 Jahren die Hamburgische Kulturstiftung.
Gesa Engelschall leitet seit 15 Jahren die Hamburgische Kulturstiftung. © Andreas Laible

Wie hat sich der Krieg auf die Bereitschaft für Kultur zu spenden ausgewirkt?

Engelschall: Hätte man um Spenden gebeten, die mit diesem Krieg wenig zu tun haben, wäre es wahrscheinlich schwierig geworden. Aber für diesen Kontext waren die Menschen extrem offen. Und großzügig. Zuerst war es natürlich auch in Hamburg so, dass es für die Ankommenden um ein Dach über dem Kopf ging, um Lebensmittel. Da haben wir uns zunächst zurückgehalten. Die Initiative „Art Connects“ haben wir erst sechs Wochen später mit der Rudolf Augstein Stiftung, der Claussen-Simon-Stiftung und der „Zeit“-Stiftung ins Leben gerufen. Viele Hamburger Kulturschaffende waren mittlerweile in Kontakt mit ukrainischen Künstlerinnen oder Künstlern, auch mit Schutzsuchenden aus Weißrussland oder Russland. Wir fanden es eine gute Idee, das zu fördern, auf diese Gemeinsamkeit aufzubauen. Für den Hilfsfonds „Art Connects“ können sich Hamburger Kulturschaffende oder Institutionen bewerben, um mit Schutzsuchenden gemeinsam Projekte zu verwirklichen. Recherchen, Konzerte, auch ganz ergebnisoffene Arbeiten. Damit die schutzsuchenden Künstlerinnen und Künstler ihrer Tätigkeit nachgehen können, sichtbarer werden und Kontakte intensivieren können. Dass die Hamburger Kulturszene, die sich auch noch nicht vollständig von der Pandemie erholt hat, mit ihnen gemeinsam
etwas tun kann, ist etwas richtig Gutes.

Der Krieg zieht weitere große Krisen nach sich, unter anderem die hohe Inflation. Welche Auswirkungen wird das für Stiftungen im Kulturbereich haben?

Engelschall: Schwer, da in die Glaskugel zu gucken. Ich hoffe natürlich, dass den Menschen die Relevanz von Kultur weiterhin klar ist. Ohne Kunst verroht unsere Gesellschaft. Bislang haben wir glücklicherweise nicht weniger Bereitschaft zu geben festgestellt. Die Kooperationen mit den Hamburger Stiftungen, mit denen wir regelmäßig gemeinschaftlich agieren, funktionieren ohnehin wahnsinnig gut. Ebenso die Zusammenarbeit mit den Unternehmen und den privaten Stiftern. Wir sind da in Hamburg in einer ausgesprochen glücklichen Lage. Viele Stiftungen haben mehr Geld als wir – dafür ist die Kulturstiftung agiler und kann manches schneller umsetzen als andere. Das zu kombinieren hat sich sehr bewährt, sowohl für die Corona-Hilfsfonds als auch für die Initiativen „Freiräume!“ oder „Art Connects“. So sind für die beiden Letztgenannten bereits 450.000 Euro zusammengekommen.

Die Kulturstiftung: Projekte, Förderer, Spenden

Die Hamburgische Kulturstiftung existiert seit 1988, seit 15 Jahren ist Gesa Engelschall Geschäftsführender Vorstand. „Art Connects – Hilfsfonds für Projekte mit schutzsuchenden Kulturschaffenden“ wurde von der Rudolf Augstein Stiftung, der Claussen-Simon-Stiftung, der „Zeit“-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius sowie der Hamburgischen Kulturstiftung initiiert. Weitere Förderer sind die  K. S. Fischer Stiftung, die Mara und Holger Cassens-Stiftung, die Gabriele Fink Stiftung, die Dorit & Alexander Otto Stiftung, die Körber Stiftung, Richard Ditting GmbH & Co. KG, Quantum Immobilien AG, Werner und Katrin Holm, Christine und Heinz Lehmann, Constanze und  Christian Wriedt. 

Die „Freiräume! Initiative für kulturelle Integration“ für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung wird gefördert von: Richard Ditting GmbH & Co. KG, Christl Otto, Rudolf Augstein Stiftung, Hanns R. Neumann Stiftung, Claussen- Simon-Stiftung, „Zeit“-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Gabriele Fink Stiftung, K. S. Fischer-Stiftung, Mara und Holger Cassens-Stiftung, Werner und Katrin Holm, Claus und Dr. Brüni Heinemann. Spendenkonto: Hamburgische Kulturstiftung, IBAN DE 36 2004 0000 0113 6225 05. Eine Antragstellung für beide Programme ist laufend möglich. Weitere Infos unter:  kulturstiftung-hh.de

Sie haben auf dem Sommerfest der Kulturstiftung kürzlich noch einmal betont, dass das Programm „Freiräume!“ Geflüchteten aller Nationalitäten offensteht, nicht ausschließlich aus der Ukraine. Ist es durch den aktuellen Krieg für Geflüchtete aus Syrien oder anderen Gebieten der Welt komplizierter geworden?

Engelschall: Das ist einer der Gründe, für das Programm „Freiräume!“ jetzt neue Mittel zu sammeln. Der Schwerpunkt bei „Art Connects“ liegt auf dem Zusammenhang mit dem aktuellen Ukraine-Krieg, das Programm richtet sich aber auch an geflüch­tete russische oder belarussische Kulturschaffende. Bei der Initiative „Freiräume!“ geht es um Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrungen – ganz unabhängig von ihrer Herkunft. Diese Kinder, die bereits in Hamburg leben, waren durch die Pandemie total abgehängt, genau wie andere Kinder auch in dieser Zeit. Sie werden außerdem zum Teil, so wird es uns zum Beispiel von Kunsttherapeuten berichtet, re-traumatisiert durch die Kriegsbilder aus der Ukraine und die neuen Kriegsflüchtlinge, die in Hamburg ankommen. Diese Kinder nicht aus den Augen zu verlieren, ist ein ganz wichtiger Hintergrund für die Neuauflage von „Freiräume!“. Die Programme sind langfristig, ob es nun Musikprojekte oder Tanzprojekte sind. Sie bieten den Kindern einen geschützten Raum.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Engelschall: Mir fällt sofort ein tolles musiktherapeutisches Projekt in Rissen ein: Eine Gruppe von jungen Mädchen verarbeitet über das Musikmachen das, was sie erlebt haben. Es geht um Verarbeitung, aber auch darum, mal zur Ruhe zu kommen. Das ist etwas sehr Kostbares. Und bei „Art Connects“ ist die Bandbreite sehr groß. Fast alle Sparten sind vertreten. Der Sender Byte FM hat eine Sendung gestartet, bei der ukrainische Künstlerinnen und Künstler eine Plattform bekommen, am Lichthof Theater hat eine ukrainische Künstlerin eine Residenz, es gibt musikalische Residenzen im Tonali-Programm. Und erst kürzlich haben wir uns im Paulsenhaus „Sound of the City“ angeschaut, eine In­stallation, in der die Besucherinnen und Besucher sich anhören können, wie sieben ukrainische Städte sich vor dem Krieg angehört haben. Man setzt sich die Kopfhörer auf und stellt sich vor, wie es in Mariupol gewesen sein muss, bevor diese Stadt dem Erdboden gleich gemacht wurde, was für eine Lebendigkeit, was für eine Atmosphäre dieser Ort gehabt haben muss. Das hat mich sehr berührt.