Hamburg. Die Choreografin Daniella Preap musste aus Kiew fliehen und hat nun eine sechsmonatige Residenz in Hamburg erhalten

Noch am 23. Februar war Daniella Preap mit Freunden im Kino in Kiew. Es war ein Abend wie jeder andere. Seit einem Monat, seit dem Aufmarsch der russischen Truppen an der Grenze, machte man Witze über einen möglichen Kriegsbeginn. So richtig daran geglaubt hat keiner. Am 24. Februar rief ihre Mutter sie um fünf Uhr morgens an und sagte, sie solle ihre Sachen packen, man würde in das Dorf der Großeltern außerhalb von Kiew reisen.

Mit einem Koffer und einer Tasche mit ihren Dokumenten und Zeugnissen, zwei Hosen und ein paar T-Shirts machte sich die junge Choreographin und Tänzerin auf den Weg. Es wurde zur mehrtägigen Odyssee, die sie in überfüllten Zügen und Bussen über Krakau nach Berlin und schließlich nach Hamburg führte. Hier hatte sie in jenen Tagen eine Anzeige in den sozialen Medien entdeckt. Gesucht wurde eine junge Choreographin für eine sechsmonatige Residenz für 1000 Euro im Monat und Reisekosten.

Ukrainische Tänzerin findet Schutzraum auf Kampnagel

Nun sitzt die 25-Jährige in der Küche des Choreographischen Zentrums K3 auf Kampnagel. Das Handy ist der stetige Begleiter und Verbindung zu den mittlerweile in die Niederlande geflohenen Eltern, zur noch bei Kiew in Irpin gebliebenen Schwester und vielen Freunden. Preap lächelt tapfer.

Bei fünf Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern in Wilhelmsburg, die alle im Kunstbereich tätig sind, fand sie eine Bleibe. „Die Menschen waren sehr hilfsbereit. Es tut gut, zu wissen, dass man nicht allein ist“, erzählt sie. Das Residenz-Stipendium begreift sie als absolut rare Chance. „Ich weiß noch nicht, was genau ich machen werde. Ich wusste nur, ich komme sechs Monate lang hierher, um mich auszuprobieren, zu experimentieren“, sagt sie. „In Kiew habe ich ähnlich gearbeitet. Ich hatte dort ein Studio angemietet, aber dort hatte ich nicht so viel Zeit zur Verfügung.“

Hamburger Choreografin verbreitete Aufruf in sozialen Netzwerken

In Hamburg unterstützt sie K3-Dramaturg Niklaus Bein. „Wir haben viel Erfahrung mit Residenzen und sind es gewohnt, Menschen hier zu begrüßen und zu betreuen“, erzählt er. „Wir haben überlegt, wie können wir in dieser Situation konkret unterstützen. Dann haben wir das Budget hin- und hergeschoben und entschieden, konkret mit einer Person zu beginnen. Die Hamburger Choreografin Véronique Langlott, die eine Residenz in Kiew absolviert hat, verbreitete den Aufruf in den sozialen Netzwerken und schon nach einem Tag hatten wir zehn Anfragen.“

Nach einem Zoom-Interview fiel die Wahl auf Daniella Preap. „Es ging natürlich um das, was wir anbieten können und wie wir es schaffen, die Person mit der Hamburger Szene zu vernetzen“, erläutert Niklaus Bein. Für Daniella Preap ist die Offenheit des Stipendiums noch ungewohnt. „Ich darf hier recherchieren, forschen und habe die komplette Freiheit, etwas zu entwickeln“, sagt sie. „Ich kann tief eintauchen in das, was ich machen möchte, und zugleich habe ich wirklich Glück, hier einen Schutzraum gefunden zu haben.“

Ukrainische Tänzerin: Zahlreiche Videos auf YouTube

Preap ist in der Ukraine als Tochter einer Ukrainerin und eines Kambodschaners geboren. Noch zu Zeiten der Sowjetunion gab es einen intensiven Austausch mit Südostasien und so lernten sich die Eltern beim Studium in der Ukraine kennen. Früh zog es Preap zum Tanz. Hier hat sie eine durchaus ungewöhnliche Vita vorzuweisen. Sechzehn Jahre lang tanzte sie Ballroom und bestritt gemeinsam mit einem Partner erfolgreich viele Wettbewerbe.

Auf Youtube findet man zahlreiche Videos, in denen sie Latin-Folgen in eng anliegenden, hochgeschlitzten Kleidern präsentiert. Schon lange war ihr diese Disziplin zu sportlich und zu eintönig. „Man verbessert sich zwar immer weiter, aber im Grunde tanzt man ein Jahr lang die gleiche Folge.“ Auch wenn sie selbst den eher künstlerischen Part übernahm, genügte ihr das nicht mehr. Und so orientierte sie sich in Richtung Zeitgenössischen Tanz.

Zwischendurch ging sie für einige Jahre nach Kambodscha, lernte traditionellen kambodschanischen Tanz und wurde Mitglied in der SilverBell Dance Company, der ersten für zeitgenössischen Tanz in dem südostasiatischen Land. In den vergangenen Jahren erarbeitete sie außerdem Choreografien für Musikvideos und für eine Fernsehshow. Die Hamburger Residenz dürfte ihr nun abermals Perspektiven eröffnen, um sich zu entwickeln.

Kampnagel: Weitere Stipendien für Kunstschaffende aus der Ukraine

Kampnagel ist darüber hinaus auf der Suche nach neuen Wegen, weitere Stipendien für Kunstschaffende aus der Ukraine aufzulegen. Zum Teil mit Unterstützung des Bundes, der Stadt und diverser Stiftungen. Unter dem Titel „Voices Ukraine“ ist bereits ein stetig wachsendes Archiv von Geschichten ukrainischer Kunstschaffender und Kulturarbeiter entstanden, die auf dieser Plattform digital anhand von Texten, Bildern und Videos ihre Erfahrungen mit der aktuellen Situation, ihre Ängste, Träume, Hoffnungen, schildern. Darunter sind auch Beiträge von Künstlerinnen und Künstlern, die sich aktuell auf der Flucht befinden. Hierfür erhalten sie 300 Euro als eine Art Soforthilfe. 48 Beiträge sollen auf die Weise entstehen.

Kampnagel-Intendantin sucht nach Förderinstrumenten

Und Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard sucht nach weiteren Förderinstrumenten. Der Fonds Darstellende Künste plant Residenzstipendien in Anlehnung an die Stipendien zu Corona-Zeiten. Das Goethe-Institut sucht nach Wegen, bereits geförderte Künstler nachhaltig zu unterstützen.

Überall entstehen gerade Programme. Das seien aber zumeist Sofort-Hilfe-Verfahren, so Deuflhard. „Zwei Monate werden nicht ausreichend sein“, findet die Kampnagel-Chefin. „Ich denke, das sollte auf jeden Fall sechs Monate dauern. Es ist ja im Moment vollkommen unklar, ob und wann die Leute zurückkehren können. Das würde mehr Sicherheit geben und vor allem Zeit, um Kontakte zu knüpfen und neue Netzwerke zu bilden.“

Das Residenzprogramm „Intro“ der Kulturbehörde für Künstlerinnen und Künstler mit Fluchthintergrund wird speziell um Residenzen für bis zu 20 Kreative erweitert. Mit dem „Art Connects – Hilfsfonds für Projekte mit schutzsuchenden Kulturschaffenden“ haben die Rudolf Augstein Stiftung, die Claussen-Simon-Stiftung, die Zeit-Stiftung und die Hamburgische Kulturstiftung ebenfalls ein Residenzprogramm gestartet.

„Wenn man bedenkt, dass wir 100 Milliarden unter anderem für Waffen bereitstellen werden, kann man auch großzügig Gelder für die Kunstschaffenden ausgeben“, so Amelie Deuflhard.