Hamburg. Kulturschaffende sind trotz des Krieges weiterhin produktiv. Eine Allianz aus europäischen Stiftungen unterstützt sie dabei.

Ein Museum besuchen und dabei Gutes tun, das geht zum Beispiel gerade im Bucerius Kunst Forum mit dem Solidaritätsticket. Die Hälfte davon fließt als Spende in einen Kultur-Solidaritätsfonds für die Ukraine.

Und da kommt die European Cultural Foundation in Amsterdam ins Spiel. Ein Gespräch mit deren Programmleiter Philipp Dietachmair über das Besondere der ukrainischen Kunstszene, Museumsgründungen in Kriegszeiten und den Schutz von Kulturgütern.

Hamburger Abendblatt: Was kann ich denn mit dem Kauf eines Soli-Tickets bewirken?

Philipp Dietachmair: Mehr als zehn Stiftungen sind mittlerweile an unserem 2020 gegründeten Culture of Solidarity Fund beteiligt, darunter eben auch die mit dem Bucerius Kunst Forum verbundene „Zeit“-Stiftung, aber auch die Allianz Kulturstiftung sowie Stiftungen aus Italien oder Großbritannien. Und darin ist die Ukraine-Kulturnothilfe als gesamteuropäische Initiative für die Ukraine, in der Ukraine, aber auch im gesamten Europa in Solidarität mit der Ukraine aufgestellt worden.

Krieg gegen die Ukraine: Unterstützung für Künstler

Wie sieht die Arbeit der European Cultural Foundation konkret vor Ort aus?

Philipp Dietachmair leitet das Programm der European Cultural Foundation in Amsterdam.
Philipp Dietachmair leitet das Programm der European Cultural Foundation in Amsterdam. © Agnes Preslmayr

Dietachmair: Wir unterstützen überall in der Ukraine Kulturschaffende, das können individuelle Künstlerinnen und Künstler, Kultur- und Medieneinrichtungen oder auch Kulturabteilungen von Städten sein. Unser Schwerpunkt liegt aber auf der freien Szene und Kulturinitiativen, die zur Entwicklung der Zivilgesellschaft beitragen: NGOs, die sich in der kulturellen Entwicklung ihrer Gemeinden und Städte engagieren. Deswegen war unser erstes Ziel seit Ausbruch des Krieges, Künstler mit ihren Werken und ihrem Studioequipment oder ganze Sammlungen von unabhängigen Galerien oder Kunstzentren in Sicherheit zu bringen. Derzeit bearbeiten wir rund 150 Anträge.

Welche Idee steckt hinter der Foundation?

Dietachmair: In gewisser Weise führt uns die Arbeit jetzt zurück zu den Wurzeln, denn unsere Gründungsväter, allen voran Robert Schuman und Denis de Rougemont, der Philosoph, der 1954 die Stiftung gründete, kamen aus der Exil- und Nachkriegserfahrung und hatten die Idee, dass die europäische Integration nicht nur Handel, Kohle und Stahl braucht, sondern auch kulturelle Zusammenarbeit und grenzüberschreitende Bildungsarbeit. Vor 20 bis 25 Jahren waren wir als Stiftung auch schon nach den Kriegen am Balkan und in Mittelosteuropa sehr aktiv, haben den EU-Erweiterungsprozess begleitet, um die Kultur- und Kunstszene in den Nachbarländern zu verstehen, aber auch mit kulturpolitischen Maßnahmen zu stärken. Dadurch sind wir auch schon sehr lange mit Kulturinitiativen in der Ukraine im Austausch. Eine weitere wichtige Säule unserer Arbeit ist die Unterstützung und Förderung unabhängiger Medien und der Kampf gegen Fake News in der Ukraine.

Sicherheitslage in Ukraine sehr schwierig

Wie ist die Situation vor Ort für Kunst- und Kulturschaffende?

Dietachmair: Insgesamt ist die Sicherheitslage extrem schwierig. Aber es kommt sehr darauf an, wo sich die Menschen befinden. Viele Kreative sind seit Beginn des Krieges oder auch schon vorher in den Westen des Landes geflohen, in Orte wie Lwiw (Lemberg), Iwano-Frankiwsk oder Uschgorod, wo vor allem viele Menschen aus Kiew oder Charkiw hingereist sind. Von dort versuchen sie, ihre Arbeit und Kontakte in den Osten aufrechtzuhalten.

Aus einem Kinderalbum: „Ukraine will resist“, 2022.
Aus einem Kinderalbum: „Ukraine will resist“, 2022. © Moca NGO

Können die Menschen in der Ukraine denn überhaupt gerade künstlerisch tätig sein in einer Umgebung aus Zerstörung und Tod?

Dietachmair: Wir arbeiten schon länger mit dem Fotofestival in Odessa zusammen, deren Fotografen sind jetzt zum Beispiel als Kriegsreporter unterwegs, um die Zerstörung zu dokumentieren. Weiter unterstützen wir eine Gruppe aus Mykolajiw, die sich mit Crypto Art beschäftigt, NFTs (Non Fungible Tokens, „nicht austauschbare Wertmarken“) kreiert und deren Erlös als Spenden für humanitäre Hilfe nutzt. Eine Initiative sehr junger Künstler eines Literaturclubs aus Iwano-Frankiwsk, die ursprünglich schon aus Luhansk geflüchtet sind, kümmert sich um Geflüchtete und deren kulturelle Wahrnehmung in Europa. Eine Gruppe von Künstlern und Kuratoren, die in diesem Jahr den Pavillon der Ukraine auf der Biennale in Venedig gestalten, unterstützen nach Kiew geflüchtete Kreative. Kurz: Die künstlerische Produktion steht trotz des Krieges nicht still!

Kunstwerke werden im Keller versteckt

Und wie können Kunstwerke jetzt vor den Angriffen geschützt werden?

Dietachmair: Das Museum Crisis Center etwa hilft vor allem kleineren Museen im Osten und Süden des Landes finanziell und organisatorisch dabei, möglichst viele Kunstwerke zu verpacken und in die Keller zu transportieren. Gleich bei Beginn des Krieges hat sich in Iwano-Frankiwsk das Kollektiv Asortymentna Kimnata („Sortimenten-Zimmer“) gegründet, das Künstlerinnen und Künstler überall aus der Ukraine abholt und ihre Werke in Sicherheit bringt. Die Co-Gründerin Alona Karavai ist mit ihrer Galerie eine Art Auffanglager geworden. Von dort werden Kunstwerke in die Karpaten und über die rumänische Grenze gebracht.

Es war von einer Initiative aus Kiew zu hören, die dort das Museum of Contemporary Arts, kurz Moca, aufbaut. Wie kann man in diesen Zeiten ein Museum gründen?

Dietachmair: Dieses Bemühen gibt es schon seit einigen Jahren. Das Bedürfnis, ukrainische Kunst und Kultur, besonders die zeitgenössische, öffentlich zu zeigen und in Europa zu verbreiten, ist jetzt noch einmal befeuert worden. Mich erinnert das an meine Arbeit vor etwa 25 Jahren in Sarajewo, da gab es auch gleich zu Beginn der Belagerung die Idee, ein Museum für zeitgenössische Kunst aufzubauen.

Schwerpunkt liege auf Kunst aus der Ukraine

Kunst als gesellschaftliche Kraft ...

Dietachmair: Richtig. Das Visual Cultural Research Center in Kiew, das auch die dortige Biennale mitgegründet hat, setzt sich sehr dafür ein, das Spezifische an ukrainischer Kunst und Kultur bekannter zu machen. Es gibt ja gerade den Diskurs, ob alles Russische bekämpft werden sollte, was ich in dieser Undifferenziertheit problematisch finde. Wir unterstützen zum Beispiel auch ganz explizit Kulturinitiativen aus Belarus, die sich durch den Krieg in einer noch bedrohlicheren Lage befinden. Oder auch kritisch engagierte Künstlerinnen und Künstler aus allen Ländern der Region, die sich in Europa im Exil oder noch in Russland befinden. Aber der Schwerpunkt liegt eindeutig darauf, was spezifisch an der ukrainischen Kunstproduktion ist und zahlt darauf ein, dass es eben nicht egal ist, ob etwas russisch, belarussisch oder ukrainisch ist.

Verwunderlich, dass die Ukraine, trotz geografischer Nähe, in Deutschland kulturell nicht besonders verankert ist. Warum nicht?

Dietachmair: Tatsächlich ist die Zusammenarbeit deutscher Kulturstätten intensiver mit russischen Kollegen als mit ukrainischen. Mein Eindruck ist, dass ukrainische Schriftsteller aber sehr wohl öffentlich bekannt sind in Deutschland. Ein nächster Schritt in Richtung kultureller Vermittlung könnte sein, europaweite Ausstellungen mit geretteten Kunstwerken aus der Ukraine zu entwickeln und Kunst- und Kulturdebatten, die in dem jetzigen Kontext entstehen, möglichst breit zu präsentieren. Dieses Engagement erwarte ich auch von unserer Stiftung und von unseren europäischen Partnern.

Krieg gegen die Ukraine: Digitalisierung spielt große Rolle

Digitalisierung spielt dabei eine große Rolle.

Dietachmair: Ja, das digitale Unternehmertum ist sehr stark ausgeprägt in der Ukraine. Was sich auch in der Kunstwelt niederschlägt. Bemerkenswert ist außerdem die gesellschaftspolitische Kraft, mit der NGOs wie etwa Art Optimists aus Mykolajiw auf lokalpolitischer Ebene wirken.

Sind Künstlerinnen und Künstler in der Ukraine politischer als in Deutschland?

Dietachmair: Kulturschaffende haben in sehr vielen Ländern der EU-Nachbarschaft viel mehr mit politischen Themen Kontakt, weil sie mit ihrer Arbeit herausfordern und aktiv werden müssen, etwa, wenn es darum geht, die eigene Gemeinde oder Stadt mitzugestalten. Schon vor 15 Jahren habe ich mit einer Gruppe junger Männer in Lemberg zusammengearbeitet, von denen einer schließlich Kulturstaatsrat wurde. Im Kern arbeiten wir genau an dieser Stelle, damit Menschen weiterhin künstlerisch tätig sein, sich Gedanken über ihre Stadt, ihr Land und letztlich auch über ein gemeinsames Europa machen können.