Hamburg. Hapag-Lloyd Cruises und die Bühnen von Axel Schneider spielen gemeinsam auf hoher See. Das Abendblatt war bei der Begehung dabei.
Ganz am Rande der HafenCity, fast bei den Elbbrücken, liegt das Motorschiff „Stubnitz“. Es ist seit Jahren als fester Ort für Clubkultur, aktuelle Livemusik und Performance in Hamburg verankert. Nur wenige hundert Meter daneben, am Cruise Center Baakenhöft, legt immer mal wieder die MS „Europa“ an. Die „Europa“ ist seit mehr als zwei Jahrzehnten als relativ kleines, aber äußerst feines Kreuzfahrtschiff bekannt – nicht aber unbedingt für Kultur.
Das soll sich spätestens im Herbst ändern: Auf der „Europa“, der alten Dame der Hapag-Lloyd-Cruises-Flotte, geht dann ein Theaterfestival auf große Reise – eines made in Hamburg.
Kreuzfahrt: Schauspieler auf MS "Europa" spielen mit Mikroports
An diesem Sommertag hat das Kreuzfahrtschiff erst morgens am Cruise Center Baakenhöft festgemacht: Die Passagiere der Fahrt entlang der irischen Küste und der schottischen Highlands sind bereits aus-, die für die neue Route noch längst nicht alle zugestiegen. Unter Deck herrscht in der „Europa-Lounge“ dennoch ein spezieller Menschenauftrieb.
In dem Theatersaal treffen Bord- und Bühnenpersonal aufeinander. Wie können die geplanten Stücke hier auf dem Schiff licht-und tontechnisch sowie ausstattungsgerecht umgesetzt werden? Peter Offergeld, bei der Stäitsch Theaterbetriebs GmbH (Kammerspiele, Altonaer und Harburger Theater, Haus im Park) seit 16 Jahren Leiter fürs Gastspielmanagement, hat das Terrain bereits sondiert, als Vierfach-Intendant Axel Schneider zur Begehung hinzukommt. Das Einrichten eines Stücks dauere mindestens sechs Stunden, meint der erfahrene Offergeld. „Der Raum schluckt ja enorm“, sagt Schneider. Ergo sollen alle Schauspieler mit Mikroports spielen und singen, so die einhellige Meinung.
Programm auf MS "Europa" soll sich von anderen Reedereien abheben
Nachdem Schneider mit einem Teil der Crew die halbrunde Bühne abgegangen ist, macht er von dort noch noch mal einen akustischen (Selbst-)Test: „Bah!“, Bah!“, ruft der Theatermacher zweimal in den Saal. „Klingt doch sehr dumpf.“ Dennoch alles machbar.
Sabine Marxen hat die Begehung arrangiert, jetzt freundlich gelassen manches registriert und notiert. Sie hat bei Hapag-Lloyd Cruises die künstlerische Leitung für Kultur und Entertainment. Die Hamburgerin, nach beruflichen Stationen bei Stage Entertainment und im früheren Zeltbau Fliegende Bauten mit dem Bühnenbetrieb durchaus vertraut, hatte die Idee zum Theaterfestival auf der MS „Europa“.
„Wir wollen eine große Vielfalt im intimen Rahmen zeigen“, erläutert Marxen. Das Programm soll sich bewusst von anderen Reedereien abheben, die oft auf Comedy ohne Tiefgang und laute Disco-Klänge als Massenbespaßung setzen. „Wir haben auch schon politisches Kabarett gespielt und andere Theaterstücke“, sagt sie. Auf der MS „Europa 2“ etwa habe man im Vorjahr die E-Mail-Romanze „Gut gegen Nordwind“ bewusst in zwei Akten an zwei Abenden gespielt; da hätten die Gäste zwischenzeitlich rätseln können, wie es ausgeht, erzählt Sabine Marxen schmunzelnd: „Das ist beim Publikum sehr gut angekommen.“
MS "Europa": „Achtsam morden“ mit bekannten Schauspielern
Genauso soll es auch für die maximal 400 Passagiere auf der MS „Europa“ sein, die vom 4. bis 17. Oktober für 13 Tage unter dem Motto „Mittelmeer zum Entdecken“ auf Kreuzfahrt gehen. Für Axel Schneider ist es eine doppelte Premiere, wenn er zwischen Nizza und Piräus seine Fassung von „Achtsam morden“ des Autors Karsten Dusse inszeniert. „Ich liebe es ja, manchmal auch unkonventionelle Wege zu gehen“, sagt der Regisseur. Vor zwei Jahrzehnten etwa brachte Schneider das US-Faustkämpfer-Drama „Fast Hands“ statt im Altonaer Theater im damaligen Wandsbeker Gym der Universum Box-Promotion zur europäischen Erstaufführung.
Für „Achtsam morden“ holt Schneider im Herbst die aus Altona bekannten Schauspieler Dirk Hoener, Georg Münzel und Theresa Horeis mit an Bord der MS „Europa“. Die drei verkörpern im „entschleunigten Kriminalroman“ 19 verschiedene Rollen. Dann will unter Deck ebenso das schnelle Umziehen geprobt werden. Und Synergie-Experte Schneider bliebe sich untreu, wenn er nach der exklusiven Schiffs-Premiere nicht für Mai 2023 die Land-Premiere von „Achtsam morden“ im Altonaer Theater angesetzt hätte.
Hapag-Lloyd Cruises setzt auf weitere anspruchsvolle Stücke
Die neue Kooperation zwischen seinem Unternehmen und Hapag-Lloyd Cruises umfasst für die Oktober-Tour weitere anspruchsvolle Stücke. Mit Heinrich Heines satirischem Versepos „Deutschland. Ein Wintermärchen“, in dem Sewan Latchinian Ende 2019 erstmals im Logensaal der Kammerspiele geglänzt hatte, reist auch der Künstlerische Leiter jenes Hauses mit. Ebenso die drei begleitenden Musiker vom Trio Wallahalla.
Schneiders Schauspieler-Freund und Entertainer Peter Bause (80), 2017 mit den Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares ausgezeichnet, dürfte mit Anekdoten aus seinen fast 60 Berufsjahren gewiss für weitere Bord-Unterhaltung sorgen. Mit Gilla Cremer wird beim Theaterfestival auf dem Mittelmeer auch die weibliche Schauspielkunst aus Hamburg zu erleben sein.
Wie es ist, auf einem Schiff zu spielen? „Hängt vom Seegang ab“
Sie sei der Kreuzfahrt-Industrie gegenüber durchaus kritisch eingestellt, sagt die Künstlerin, hat in der Vergangenheit bei einer Nordkap-Reise mit der MS „Europa“ jedoch ganz besondere Erfahrungen gemacht. „Es ist schon abenteuerlich auf so einem Kreuzfahrtschiff“, sagt die freischaffende Schauspielerin und Autorin, mit ihrem Theater Unikate seit 35 Jahren in Ein-Frau-Stücken tourneeerprobt.
- Thalia Theater sammelt Spenden – so viel kam bisher zusammen
- Ungewisse Zukunft trotz Moritz Bleibtreus Appell
- Diese Stars kommen am 8. September zum Harbour Front
Wie es ist, auf einem Schiff zu spielen? „Das hängt vom Seegang ab“, antwortet Cremer trocken. Bei ihrem Hildegard-Knef-Solo „So oder so“ kam sie bei einer Stepp-Nummer mal derart ins Schwanken, dass sie dies spontan und übertrieben spielend eingearbeitet hat. Die größere Herausforderung sei aber, dass sie aus ihren oft mehr als zwei Stunden langen Abenden immer eine Fassung von gut 50 Minuten destillieren soll, wie es dem Bord-Prinzip entspricht. „Es ist so, als müsse man ein neues Stück schreiben“, sagt Gilla Cremer. Wenn sie im Oktober „Die Dinge meiner Eltern“ zeigt, müssen aus Platzgründen zehn statt der sonst üblichen 20 Koffer auf der Bühne reichen. Der Rest wäre Übergepäck.
Axel Schneider hat nach der Begehung in der „Europa-Lounge“ keine Requisiten-Probleme mehr: In der Cocktail-Bar „Gatsby’s“ erspäht der Regisseur zwei Sessel und ein Tischchen, die sich für die Kulisse von „Achtsam morden“ eignen. Übrigens: Für das Theaterfestival auf der MS „Europa“ gibt es noch Restplätze. Ab 6490 Euro pro Person ist man bei Doppelbelegung für 13 Tage dabei, inklusive An- und Abreisepaket kostet es 6930 Euro pro Person.