Kassel. Das am Montag noch eilig verhüllte documenta-Werk „People’s Justice“ ist inzwischen nicht länger Teil der Schau. Über den Eklat.

Das umstrittene Banner der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi mit dem Titel „People’s Justice“ wird von der documenta entfernt. Am Ende nutzte auch die eilige Verhüllung des Werkes am Montag nichts. Am Dienstagmorgen erhebt es sich noch am Rand des Friedrichs­platzes vor der documenta-Halle hinter einem Plakatwald. Ein riesiges, mit schwarzen Tüchern verhängtes Banner.

Das Bild zeigt in Agitprop-Manier, die in ihrer Machart an „Stürmer“-Zeiten erinnert, einen Protest gegen Militarismus, Kolonialismus und Gewaltherrschaft. Auf der linken Seite sah man, bevor der schwarze Stoff davor fiel, finstere Soldaten umgeben von Totenköpfen. Die rechte Seite dominierte farbenfroher Widerstand mit Gitarrenspiel und Happening.

documenta ließ „People’s Justice“ verhüllen

Wer genau hinsah, erkannte einen Soldaten mit Schweinsnase – das Schwein gilt gläubigen Juden als unrein –, einem Halstuch mit Davidstern und dem Schriftzug „Mossad“ auf dem Helm. Daneben offenbar die Karikatur eines Juden mit Reißzähnen und SS-Runen auf dem Hut.

In einer unerträglichen Täter-Opfer-Umkehr werden die Israelis mit den Nazis verglichen. Das ist in seiner Stereotype bedienenden, plakativen Art Antisemitismus. Die Leitung der documenta hat das Werk zügig verhüllen lassen. Doch der Schaden ist längst passiert, bald zeichnete sich ab, dass das nicht ausreichen würde. „Es ist überfällig, dass dieses Wandbild, das eindeutig antisemitische Bildelemente aufweist, jetzt von der documenta entfernt wird“, äußerte sich gestern auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth deutlich.

Mitglieder von Taring Padi entschuldigten sich

Die bloße Verhüllung und die Erklärung des Künstlerkollektivs Taring Padi seien inakzeptabel, „Antisemitismus darf auf dieser Kunstausstellung, wie insgesamt in unserer Gesellschaft, keinen Platz haben. Das gilt auch für Rassismus und jede Form der Menschenfeindlichkeit. Das sind die klaren Grenzen der Kunstfreiheit.“ Es müsse zudem aufgeklärt werden, wie es überhaupt dazu kommen konnte, und es sei sicherzustellen, dass keine weiteren eindeutig antisemitischen Bildelemente gezeigt würden, so Roth.

Wer genau hinschaut, erkennt den Schriftzug „Mossad“ auf dem Helm.
Wer genau hinschaut, erkennt den Schriftzug „Mossad“ auf dem Helm. © dpa | Uwe Zucchi

Die Mitglieder von Taring Padi hatten noch am Montag ein Statement mit einer Entschuldigung veröffentlicht: „Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik, z.B. für die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert werden, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren.“

Antisemitismus-Vorwürfe begleiteten documenta

Nicht nur Roth genügte aber ein Verweis auf unterschiedliche künstlerische Kontexte im Westen und im globalen Süden nicht. Am Dienstag sind die Künstler selbst bereits wieder an der documenta-Außenstelle Hallenbad Ost anzutreffen, wie sie Plakate für einen Umzug gestalten. Sie bedauerten den Vorfall, ist aus ihren Reihen zu hören. Mehr wollen sie derzeit nicht dazu sagen.

Die indonesische Künstlergruppe ­Ruangrupa, die die weltgrößte, mit 42 Millionen Euro aus Steuergeldern finanzierte Kunstausstellung kuratorisch verantwortet, war schon vorher ebenso wie die politisch Verantwortlichen in die Kritik geraten. Antisemitismus-Vorwürfe und der Versuch, sie in einer Erklärung zu widerlegen, begleiteten bereits die Vorarbeiten der documenta. Ruangrupa wurde vorgeworfen, Organisationen einzubinden, die den kulturellen Boykott Israels befürworten oder antisemitisch seien. Es gab Dementis. Eine zur Versöhnung angesetzte Diskussionsreihe wurde wieder abgesagt.

Erste Stimmen fodern Boykott der Kunstschau

Seit dem Wochenende ist die documenta für Besucher geöffnet, die konnten sich nun selbst von der Existenz antisemitischer Kunst auf der documenta überzeugen. Auch die Bildserie „Guernica Gaza“, mit der der Maler Mohammed Al Hawajri die Bombardierung der spanischen Stadt Guernica im Spanischen Bürgerkrieg durch deutsche Flieger mit dem Angriff der israelischen Armee auf Gaza engführt, bedient antisemitische Ressentiments.

Das Internationale Auschwitz Komitee hat mit Empörung auf das Werk von Taring Padi reagiert: „Überlebende des Holocaust verfolgen die desolaten Entwicklungen um die documenta 15 mit Fassungslosigkeit“, so der Exekutiv-Vizepräsident des Komitees, Christoph Heubner. Erste Stimmen rufen nach Kürzungen der Gelder, fordern den Rücktritt der Leitung und einen Boykott der Kunstschau. Es ist ein Skandal mit Ansage – immerhin ist das Bild bereits 20 Jahre alt.

Katastrophe für viele andere Künstler

Und es ist eine Katastrophe auch für Hunderte andere Künstler dieser documenta 15 und ihre Werke. Darunter ist manches, was man als eindimensional oder unterkomplex, auch als plakative Aktivismus-Kunst bezeichnen kann. Es sind aber auch viele Arbeiten von Relevanz darunter. Etwa die Aboriginal Embassy des australischen Künstlers Richard Bell, mit der er auf den indigenen Kampf gegen den Siedlerkolonialismus verweist.

Oder die gepressten Altkleider-Ballen, die die Gruppe The Nest Collective aus Nairobi in der Karlsaue platziert hat. Sie thematisiert, wie westlicher Altkleider-Müll die heimische Textil-Industrie vernichtet. Oder die Schau von Agus Nur Amal Pmtoh, der in Kassels Grimmwelt eine eigene Methode des Geschichtenerzählens etabliert hat, die vom Verhältnis von Himmel und Erde, aber auch von der Verarbeitung von Traumata erzählt. Auch er stammt aus Indonesien.

documenta läuft noch bis September

Die documenta 15 läuft bis zum 25. September. Hoffentlich Zeit genug für die Beteiligten, die nach diesen Ereignissen bereits schwer beschädigte Kunstschau noch zu retten.

documenta 15 bis 25.9., Kassel, Infos unter www.documenta-fifteen.de