Helene Hegemann hat bereits vor 12 Jahren ihr Debüt gefeiert. Nun erscheint ihr viertes Werk „Schlachtensee“ mit 14 Geschichten.

Diese Geschichten, die man auch als in Personenstücke gewendete Betrachtungen bezeichnen könnte, sind mit Karacho auf Globalismus getrimmt. Ihre Ich-Erzählerinnen und sonstigen Protagonisten sind immer in der Welt unterwegs oder das gewesen, beim Surfen, auf Farmen, in Amerika, Russland, Ägypten, an der französischen Atlantikküste. In Österreich.

Was Letzteres angeht: Das ist der Ort, an den ein Model nach allerlei Liebeskapriolen zurückkehrt, ohne ankommen zu wollen. Sie hat eine Chlamydien-Infektion im Auge zu verkraften. Sie schwamm in der Wolga, in der Stadt, die einmal nach Stalin benannt war. Ein totes Pferd trieb an ihr vorbei.

Helene Hegemann ist in diesem Jahr 30 geworden, hat aber schon ein abenteuer­liches Schriftstellerinnenleben hinter sich. 2010 erschien ihr skandalumtostes Debüt „Axolotl Roadkill“, in dem sich ein Teenagermädchen im Berliner Nachtleben zuknallte und die Liebe lebte. War leider in Teilen abgeschrieben, las sich aber irre gut. Es hätte ruhig wieder jemand altväterlich vom Fräuleinwunder sprechen dürfen. Einfach nur, weil es in dem Fall der smarten Berliner Nightlife-Autorin so schön bekloppt gewesen wäre. Nach den zwei freundlich aufgenommenen, nie plagiierenden Romanen „Jage zwei Tiger“ (2013) und „Bungalow“ (2018) erscheint nun bei Hegemanns neuem Verlag Kiepenheuer & Witsch Hegemanns erster Erzählungsband.

Helene Hegemann hat ihr neues Buch veröffentlicht.
Helene Hegemann hat ihr neues Buch veröffentlicht. © Kiepenheuer&Witsch Verlag | Kiepenheuer&Witsch

Buchtipps: „Schlachtensee“ mit 14 Stücken, die Vignetten des abgeklärten Lebens sind

Die 14 Stücke in „Schlachtensee“ (23 Euro) sind schnelle, kulturelle Zeugnisse geistiger Anregung und komplexer, zirkulierender Wirklichkeitsrezeption, und die Gefühle, die hinter dem Verhalten der Hauptfiguren stehen, sind immer versteckt. In der ersten Erzählung „Snoopy, das Meer und ich“ ist der Vater der Hauptfigur ultraernsthaft erkrankt, aber das Interesse beim Aufeinandertreffen gilt eher den Surfunfällen der Erzählerin und das, was eine Gehirnerschütterung im Denkapparat der Erzählerin angerichtet hat. In „Die Pfauengeschichte“ geht es um einen verendenden Vogel und Pfaue, die auf dem Anwesen herumspazieren. Einer hat kaum noch Federn, sein Hinterteil liegt blank. Der Hauptfigur ging es bislang nicht um die Lage des Landes, aber sie haut dann abschließend das hier raus: „Der ganze Körper denkt, da wäre hinten noch was dran. Dabei ist da nichts mehr. Nur sein nackter alter Arsch. Und sollte Phoebe jemals eine bessere Metapher für den derzeitigen Zustand Nordamerikas gehabt haben, dann hat sie sie guten Gewissens zugunsten dieser hier verdrängt.“

Die Stücke sind Vignetten des abgeklärten, weltgewandten Lebens, in denen hinter dem Spaß immer das Dunkel wartet. Die Jeunesse dorée ist mobil, so lebt man halt. Die literarischen Figuren machen ein schönes Erzählungs-Crossover, tauchen im Band hier auf und da. Internatsschüler Abdellatifs Mutter ist Menschenrechtsanwältin: „Sie raucht schön. Qualifiziert und gleichgültig.“

Wenn man es nicht längst gemerkt hätte, dann schlägt spätestens jetzt der Radar an. Typische Hegemann-Sätze. Wer im Sommer 2022 was hermachen will, der liest dieses Buch in einem Großstadtcafé.