Hamburg. Bei der ersten Ausstellung am Lerchenfeld zeigt die Hochschule Werke der renommierten US-Künstlerin Renée Green.

24 Stunden vor der Vernissage ist es am Lerchenfeld genauso wie in fast jeder Galerie: Die zu zeigende und mit Spannung erwartete Ausstellung ist so gut wie… nicht fertig. Die Bilder – sie hängen nicht. Stattdessen sind Platzhalter aus braunem Paketpapier an die nackten weißen Wände gepinnt. Es werden Soundchecks für die Videoinstallation gemacht, Bildschirme eingerichtet, es wird gehämmert und geschweißt, diskutiert und umgeplant.

Der neue Ausstellungsort der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HfbK) „übt noch“, so Sabine Boshamer, die am Tag vor der offiziellen Eröffnung Präsident Martin Köttering krankheitsbedingt vertritt. „Es ist für uns als Ausbildungsstätte natürlich Neuland: die Anfrage von Werken bei Galerien, Transfer, Versicherung, Hängung.“ Dass Kunstwerke längere Zeit brauchen können, um die Zollschranken zu passieren – auch das eine Erfahrung für die Neu-Galeristen. Da ist, und das ist das Wichtigste: die Künstlerin Renée Green. Mit ihr wird die HfbK ihre Ausstellungstätigkeit im neuen Atelierbau eröffnen, und dort soll sie auch heute Abend mit dem Finkenwerder Kunstpreis ausgezeichnet werden.

Greens Arbeiten waren zuletzt in New York, Paris und Berlin zu sehen

In ihrer ersten Ausstellung zeigt die Hochschule keine Newcomerin, und auch der Hamburg-Bezug, der vielleicht nahe läge, ist nicht gegeben. Renée Green, 1959 in Cleveland (Ohio) geboren, lebt in New York und San Francisco. Sie arbeitet seit den frühen 1990er-Jahren in unterschiedlichen Feldern und Medien: Gesprochene und geschriebene Sprache – dokumentarisch, poetisch, fiktiv – findet ihren Ausdruck auf Textilien und Malereien, auf Dokumenten, Notizen und Fotografien, in Büchern, Hörstücken und Videos.

Sie hatte zahlreiche Professuren an internationalen Kunsthochschulen inne und ist derzeit Professorin am MIT Program in Art, Culture and Technology in Cambridge (USA). Zuletzt waren ihre Arbeiten im Rahmen der Whitney Biennale im Whitney Museum of American Art in New York, im KW Institute for Contemporary Art in Berlin und im Centre Georges Pompidou in Paris zu sehen.

Die HfbK plant vier bis sechs Ausstellungen pro Jahr

Typisch für ihr Werk sind mit Schrift bedruckte großformatige, farbige Banner aus Polyester, die einer festen Anordnung folgend an Wände, Fenster oder in den Raum gehängt werden. In Hamburg kommen erstmals Werke aus verschiedenen Schaffensphasen zusammen in eine Ausstellung. Auf einem schwarzen Banner steht in Tastatur-Typografie „A Participant“ (ein Teilnehmer). „Es kann stellvertretend für René Greens Konzept eines Ausstellungsraums als Kontaktraum gelesen werden“, sagt Sjusanna Eremjan. „Es ist die Idee, dass durch das Publikum wiederum etwas Neues entsteht, angeregt durch die Kunstwerke.“

Die Kuratorin wird das Galerieprogramm zusammen mit Martin Köttering entwickeln, geplant sind vier bis sechs Ausstellungen im Jahr – mit Künstlerinnen und Künstlern, die bestenfalls einen politischen Blick auf die Welt haben und darin ihre individuellen Themen entdecken. Bei Renée Green stehen die Differenzen kultureller Erfahrungen im Mittelpunkt ihrer künstlerischen Praxis, wobei ihre Themen von Musik und Popkultur, Film und Literatur, über Ortsspezifität und Architektur bis hin zu Migration, Vermächtnis der Vertreibung und Feminismus reichen.

Renée Green ist „eine international renommierte Künstlerpersönlichkeit"

„Vide ma tête“ – Leere meinen Kopf – steht auf einem weiteren Polyester-Banner, es ist auch der Titel der Schau. Daneben ist zu lesen: „All books can open“ – Alle Bücher können öffnen. „Wörter oder Bücher sind Einladungen an die Menschen“, so die Künstlerin. Einladungen zum Denken, Assoziieren, Bewusstwerden könnte man ergänzen. An die Fensterseite zum Lerchenfeld werden Banner mit der Schriftfolge „What time is it – on the clock – of the world?“ gehängt, was mehrere Bedeutungsebenen offeriert; zum einen ist damit die bisher kurze Zeit der Menschheit auf dem Planeten gemeint, zum anderen kann es als Warnsignal verstanden werden, dass der Menschheit kaum noch Zeit auf dem Planeten bleibt.

Für die Jury des Finkenwerder Kunstpreises 2022 ist Renée Green „eine international renommierte Künstlerpersönlichkeit, die mit ihrem Schaffen einen herausragenden künstlerischen Beitrag zur zeitgenössischen Kunst in Europa geleistet hat“. Der mit 20.000 Euro dotierte Preis wird heute Abend in der HfbK verliehen. Seit 2000 werden besondere Künstlerpersönlichkeiten geehrt, dazu zählten bisher unter anderem Neo Rauch, Daniel Richter, Ulla von Brandenburg, Christian Jankowski und Edith Dekyndt.

Ein Preis geht an die Mexikanerin Frieda Toranzo Jaeger

Den ersten, mit 10.000 Euro dotierten, Finkenwerder Förderpreis erhält in diesem Jahr die in Los Angeles lebende Mexikanerin Frieda Toranzo Jaeger, Jahrgang 1988. Sie bespielt den zweiten Ausstellungsraum der Galerie.

Ausstellung der Künstlerin Frieda Toranzo Jaeger im neuen Atelierhaus der HFBK in Hamburg am Dienstag (31.05.2022) Foto: Roland Magunia/Funke Foto Services
Ausstellung der Künstlerin Frieda Toranzo Jaeger im neuen Atelierhaus der HFBK in Hamburg am Dienstag (31.05.2022) Foto: Roland Magunia/Funke Foto Services © Roland Magunia/Hamburger Abendblatt | Roland Magunia/Funke Foto Services

Ihre installative Malerei kombiniert die Künstlerin mit traditionell mexikanischen Textilarbeiten und Performance, um Hybridität, Sexualität und Autonomie zu erforschen. Wiederkehrendes Motiv sind die symbolträchtigen Interieurs von Autos, die sie mit Stickereien oder geknüpften Zöpfen feministisch aufbricht.

Preisverleihung und Ausstellungseröffnung 1.6., 18 Uhr, Aula der Hochschule für bildende Künste (Bus 25 Uferstraße), Lerchenfeld 2. Renée Green und Frieda Toranzo Jaeger 2.-25.6., Galeriehaus der HfbK, Lerchenfeld 2a, täglich außer Mo 14.00-18.00, Eintritt frei, www.hfbk-hamburg.de; Artist Talks: 2.6., 16.00 (Jaeger), 3.6., 17.00 (Green)