Hamburg. Die Kammeroper wagt sich an Goethes Libretto-Fragment. Dabei bedienen sie sich kreativ in Mozarts Gesamtwerk. Über die Umsetzung.

Es ist schon gewagt, ausgerechnet einem so perfektem Stück wie Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ einen Fortsetzungsteil hinzufügen zu wollen. Musikalisch ist das Stück sowieso nicht zu toppen und inhaltlich scheint es mit dem Schlusschor „Heil sei Euch Geweihten“ ja auch irgendwie zu Ende erzählt. Stimmt nicht, dachte sich nur wenige Jahre nach Mozarts Tod der große Johann Wolfgang von Goethe. Pfiffig wie er war, stellte er sich die Frage, was aus den bekannten Figuren der Oper in späteren Jahren ihres Daseins so alles geworden sein könnte. Papagena und Papageno, die beiden Naturmenschen, freuen sich in seinem Libretto-Fragment „Der Zauberflöte zweyter Teil“ auf einen Stall voller Kinder, können aber partout keine bekommen.

Die beiden Helden des ersten Teils, Pamina und ihr geliebter Tamino, zeugen zwar einen Jungen, aber Paminas Mutter, die beleidigte Königin der Nacht, sperrt ihn wie das Schneewittchen im Grimm-Märchen in einen goldenen Sarg. Klar, dass Sarastro beiden Paaren zu Hilfe eilt und das Kind als „kleiner Genius“ zu neuem Leben erweckt wird.

Hamburger Kammeroper: Teil 2 mit bekannter Musik

Zu Goethes Zeit wollte sich kein Komponist finden, der es gewagt hätte, das Libretto-Fragment für einen zweiten Teil zu vertonen und damit in die Fußstapfen des großen Mozart zu treten. Am Allee Theater (Hamburger Kammeroper) wollte man das Stück trotzdem machen und hatte sogar darüber nachgedacht, eine neue Musik dafür schreiben zu lassen. „Wir haben uns dann aber doch dazu entschieden, Stücke aus Mozarts Werken und ein paar von Gluck und Vivaldi zu nehmen“, erzählt Ettore Prandi, der musikalische Leiter der Produktion, die am 22. April ihre Uraufführung in der Max-Brauer-Allee erleben wird.

„Für manche Nummern haben wir eine Konzertarie von Mozart zur Vorlage genommen, bei anderen Teile aus weniger bekannten Mozart-Opern wie etwa ‚Bastien et Bastienne‘, die Mozart in ganz jungen Jahren geschrieben hat. Wir haben diese Arien aber nicht eins zu eins übernommen, weil es nicht hundertprozentig zum Text passen würde. Sonst wäre das Ganze ja auch nur eine Collage geworden.“ Der Rhythmus der meisten Goethe-Verse passt zu Mozarts Musik allerdings perfekt. „Schwieriger war das nur mit den Rezitativen“, sagt Prandi, „weil die ja sehr viel textbezogener sind. Hier musste ich stärker eingreifen, kürzen oder verlängern“.

Der erste Kammerchor an der Kammeroper

Für den spanischen Regisseur Alfonso Romero Mora, der schon oft an der Kammeroper inszeniert hat, war dieses Opern-Pasticcio eine tolle Herausforderung. „Es gibt ein paar Verweise auf die originale Zauberflöte“, berichtet er, „etwa das Glockenspiel oder die Flöte, aber das geschieht ganz selten“. Die Figuren bleiben, gealtert, dieselben, die in Mozarts Oper kennengelernt haben.

Ein Chor kommentiert wie im ersten Teil die Aktionen. „Es ist das erste Mal, dass wir in der Kammeroper einen richtigen Kammerchor mit acht Stimmen auf der Bühne haben“, freut sich Ettore Prandi. „Mal agiert er unsichtbar, mal sichtbar in die Szene einbezogen. Für seine Einsätze verwenden wir Ausschnitte aus Opern, aber auch mal aus Messen.“

Papagena und Papageno bekommen doch noch Kinder

Für Regisseur Mora gibt es in der Dramaturgie von Goethes Vorlage durchaus Stellen, die nicht leicht zu überbrücken sind. Von dem Moment an, wo Pamina und Tamino ihren Sohn verlieren, fallen beide in tiefe Trauer. „Sie lieben sich, aber sie sind verloren im Schmerz“, beschreibt Mora die Situation. „Damit unterscheiden sie sich ganz von ihren Rollen im ersten Teil der Zauberflöte, wo sie heldenhaft auftraten. Depression ist vielleicht das richtige Wort für den Zustand.“

Die Melancholie wird durch die Geburt dreier Kinder gebrochen, die Papagena und Papageno durch die Hilfe des weisen Sarastro schließlich doch bekommen. Sie schlüpfen übrigens passend zum Osterfest aus Eierschalen. „Diese Kinder sind mit frischen Blicken plötzlich im Geschehen“, sagt Mora. „Ohne Zauber, ohne Glockenspiel und ohne Zauberflöte, einfach nur durch Liebe geboren, und sie sorgen für Action.“

Hamburger Kammeroper: "Kostüme sind galaktisch“

Ganz bewusst trennt der Regisseur die Welt der Naturmenschen von der künstlichen Welt der Isis-Mysterien, die in der „Zauberflöte“ eine besondere Rolle spielen. „Deren Kostüme sind alle sehr galaktisch“, sagt er. „Vor der Bühne haben wir die viel konkretere Welt um uns herum, in der es trotz allem aber auch ein bisschen Zauberei und Magie gibt.“