Hamburg. Die Residenzorchester traten ohne Gage auf, die Erlöse wurden gespendet: Eine sechsstellige Summe allein aus den Ticketeinnahmen.
Vor gut einem Monat war einer der international bekanntesten Komponisten der Ukraine in einem von der Deutschen Welle organisierten Transport von Kiew über Polen nach Berlin geflohen und wurde provisorisch im Berliner Wissenschaftskolleg untergebracht. Der 84-jährige Valentin Silvestrov war in Begleitung seiner Tochter und seiner Enkelin und hatte nur das Nötigste dabei. Den für die Freiheit der Heimat kämpfenden Sohn hatte er zurücklassen müssen.
An diese traurige Geschichte musste man denken, als das NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung des finnischen Dirigenten Sakari Oramo im bewegendem Benefizkonzert „Musik für den Frieden“ am Dienstag Valentin Silvestrovs „Prayer for Ukraine“ in der Elbphilharmonie spielte.
Elbphilharmonie: Musik aus der Ukraine, für die Ukraine
Ein romantisch anmutendes kurzes Orchesterwerk, das mit einem hellen Flötensolo, einer warm unterlegten Hornbegleitung und zarten Paukenwirbeln im Hintergrund Trost in einer Zeit zu spenden vermochte, in der die Welt um uns herum aus den Fugen zu geraten scheint. Geschrieben hatte Silvestrov diese ergreifende Musik 2014 nach der blutigen Niederschlagung friedlicher Demonstrationen auf dem Kiewer Maidan-Platz, die sich gegen die Ablehnung eines Assoziationsabkommen mit der Europäischen Union durch den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch wandten.
Damals ahnte Silvestrov noch nicht, welches Schicksal den Ukrainerinnen und Ukrainern acht Jahre später noch drohen solle. Maestro Oramo hielt nach dem Schlussakkord lange inne, hielt den Taktstock senkrecht vor der Stirn und ließ dem Publikum Zeit, die Eindrücke wirken zu lassen.
Benefizkonzert: 130.000 Euro allein aus den Ticketeinnahmen
Das Benefizkonzert war eines von dreien, die der Generalintendant der Laeiszhalle und der Elbphilharmonie, Christoph Lieben-Seutter, mit Hilfe zahlreicher Musikerinnen und Musiker, Sängerinnen und Sänger organisiert hatte, die alle zugunsten der Ukrainer ohne Honorar aufzutreten bereit waren. Die Ticketeinnahmen allein beliefen sich, wie er in einer kurzen Ansprache dem Publikum mitteilte, auf 130.000 Euro, die zu 100 Prozent der „Aktion Deutschland Hilft“ und damit den leidenden Menschen in der Ukraine zugute kommen.
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Lieben-Seutter betonte seine tiefe Bewunderung für die Ukrainer, die ihre Land verteidigten und damit auch für unsere Werte Freiheit, Unabhängigkeit und Demokratie kämpften. Und er bedankte sich bei den beiden Residenzensembles der Elbphilharmonie, dem NDR Elbphilharmonie Orchester und dem Ensemble Resonanz, die unterstützt vom NDR Vokalensemble zum ersten Mal in einem Konzert gemeinsam auftraten.
Eine gesungene Friedensbotschaft in der Elbphilharmonie
Von der Ukrainerin Hanna Havrylets stammte das Werk „Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ für Chor a cappella, das das NDR Vokalensemble auf der in den ukrainischen Farben Gelb und Blau beleuchteten Bühne so ergreifend sang. Die hohen Stimmen dominierten zu Beginn, wurden von den Männerstimmen abgelöst und vermischten sich in einem kraftvollen Aufblühen wie eine Selbstbehauptung voller Zuversicht. Hanna Havrylet, die an der Musikakademie in Kiew Professorin war, war nur drei Trage nach dem Kriegsbeginn an eine schweren Erkrankung gestorben.
Schlicht und ergreifend gesungen hörten wir vom NDR Vokalensemble später noch das „Dona nobis pacem“ von Pēteris Vasks, das der lettische Komponist nur sechzehn Jahre nach der Befreiung der baltischen Staaten von der Sowjetunion geschrieben hatte. Dabei wurde der von Zoltán Pad subtil geleitete Chor vom Ensemble Resonanz begleitet, das mit kanonischen Einsätzen und kontrastierenden Stimmverläufen die gesungene Friedensbotschaft konterkarierte.
Schumanns "Frühlingssinfonie" spendete dringend benötigten Mut
Nachdem mit Benjamin Brittens Lachrymae / Reflections on an Song of Dowland für Viola und Streichorchester, bei dem der französische Bratschist Adrien La Marca ein bewundernswertes Debüt als Solist in der Elbphilharmonie gab, eher nachdenklich stimmende Werke erklungen waren, endete das Konzert mit Robert Schumanns „Frühlingssinfonie“, das das NDR Elbphilharmonie Orchester in besonders großer Besetzung spielte.
Sakari Oramo baute hier Spannungsbögen auf, die dem oft gespielten Werk ganz neue, aber rundum packende Konturen verliehen. Triangel und Soloflöte zu Beginn, straffe Accelerandi am Ende des Kopfsatzes und ein spritzig-lebendiges Finale spendeten Mut und sogar eine Heiterkeit, die wir in diesen Tagen wahrlich brauchen können.