Hamburg . Der scheidende Intendant plant zum Abschied ein Freiluft-Spektakel. Geplantes Bolschoi-Gastspiel hält er derzeit für „keine gute Idee“.

Das Hamburg Ballett und sein Chefchoreograph sind seit 50 Jahren unzertrennlich. Eine andere Konstellation scheint schwer vorstellbar. Aber im Herbst bricht sie tatsächlich an, die letzte Saison von Intendant John Neumeier. Der 83-Jährige hatte seinen Vertrag nicht mehr verlängert. Solch eine Jubiläumsspielzeit gilt es natürlich zu feiern und zwar gleich mehrfach.

John Neumeier: Findet Bolschoi-Gastspiel unter Valery Gergiev statt?

Besonders interessant ist der kurze Ausblick auf das Finale dieses Finales: Die 48. Hamburger Ballett-Tage im Sommer 2023 werden sich statt der üblichen zwei über vier Wochen erstrecken. Zahlreiche prominente Gastspiele sind eingeladen. Neben Auftritten aus Kopenhagen (Royal Danish Ballet mit „Othello“) und Stuttgart (Stuttgarter Ballett mit „Die Kameliendame“) ist am 27. und 28. Juni 2023 nach jetzigem Stand ein Gastspiel des Balletts des Moskauer Bolschoi-Theaters mit „Anna Karenina“ geplant. Die Einladung erfolgte lange Zeit vor der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar. Das Gastspiel werde jedoch nur stattfinden, solange der derzeitige Intendant Wladimir Urin dort im Amt sei, stellte John Neumeier bei der Saisonvorschau am Montag klar.

„Unter einem Intendanten Valery Gergiev halte ich das für keine gute Idee.“ Valery Gergiev ist bereits Intendant des Mariinski-Theaters in St. Petersburg und soll laut der russischen Nachrichtenagentur Tass bereits eine Einladung von Wladimir Putin erhalten haben, das Bolschoi-Theater ebenfalls zu übernehmen. Der russische Dirigent hatte sich nach dem Angriff auf die Ukraine nicht vom Krieg distanziert und wurde deshalb unter anderem als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker entlassen.

Der regierungstreue Dirigent Valery Gergiev soll eine Einladung von Putin erhalten haben, das Bolschoi-Theater zu übernehmen.
Der regierungstreue Dirigent Valery Gergiev soll eine Einladung von Putin erhalten haben, das Bolschoi-Theater zu übernehmen. © picture alliance / Chicago Tribune | Armando L. Sanchez

Hamburg Ballett hat zehn ukrainische Tänzer aufgenommen

Der Krieg in der Ukraine hat auf vielfältige Weise Auswirkungen auch auf das Hamburg Ballett. So hat die Ballettschule bereits zehn ukrainische Nachwuchstänzerinnen und -tänzer aufgenommen. Mit weiteren sei man im Gespräch, so der Intendant. Dem Hamburg Ballett lägen auch zahlreiche Anfragen von Tänzerinnen und Tänzern russischer Tanzkompanien vor. Auch eine Benefiz-Gala sei angedacht. Der in der Ukraine geborene Erste Solist Edvin Revazov koordiniert aktuell Planungen, nach denen ukrainische Tänzerinnen und Tänzer voraussichtlich auf Kampnagel auftreten werden. Auch Überlegungen, ukrainische Kunstschaffende bei Trainingsmöglichkeiten zu unterstützen, gibt es derzeit. Es bereite ihm „sehr viel Kopfzerbrechen“, mit dieser Situation umzugehen, so der Intendant.

Als letzte eigene Uraufführung bringt John Neumeier am 4. Dezember 2022 „Dona Nobis Pacem“ zur Musik der h-moll-Messe von Johann Sebastian Bach mit dem Hamburg Ballett heraus. „Angesichts der um sich greifenden Unversöhnlichkeit in unserer Welt bot dieser Gedanke eine wichtige Anregung, mich mit Johann Sebastian Bachs vielschichtiger Komposition zu befassen“, erklärt John Neumeier. Die Entscheidung für die neue Kreation sei aber bereits vor dem 24. Februar gefallen. Außerdem sind mit „Dritte Sinfonie von Gustav Mahler“, „Préludes CV“, „Illusionen – wie Schwanensee“ und „Romeo und Julia“ gleich vier Wiederaufnahmen geplant.

Es seien nicht alle „Hits“ des Hamburg Balletts, so John Neumeier, aber sie seien ihm persönlich wichtig und mit seiner Biografie in besonderer Weise verschränkt. „Das sind ja lebendige Kunstwerke. Ich möchte sie noch einmal in die Hand nehmen, um zu prüfen, ob ich sie noch verbessern kann.“ Im Repertoire sind insgesamt 14 Neumeier-Ballette zu erleben von „Dornröschen“ bis zum „Sommernachtstraum“.

Eröffnet wird die Spielzeit am 3. September 2022 mit der Open-Air-Aufführung eines „Tanzfeuerwerks“ auf dem Rathausmarkt bei freiem Eintritt als Geschenk an die Stadt Hamburg. „Wir wollen den Tanz in die Stadt tragen“, so John Neumeier. Und es gibt noch mehr Tanz an ungewohnten Orten. So soll seine Choreographie „Matthäus-Passion“ am 21. und 22. Juni in der Hauptkirche St. Michaelis zur Aufführung kommen. Und das Hamburger Rathaus wird am 29. Oktober seine Türen öffnen für eine Gala zugunsten von Neumeiers Ballettschule. Gastspiele führen das Hamburg Ballett in der Saison 22/23 nach Baden-Baden, Venedig, Chicago und Tokio.

John Neumeier: Nachfolger beim Hamburg Ballett steht noch nicht fest

Der 83-jährige Choreograph wird nach seinem Ausscheiden weiterhin das Bundesjugendballett leiten, das ihm ein besonderes Anliegen sei. Außerdem plane er als freischaffender Choreograph tätig zu sein. Für die ersten beiden Jahre gebe es bereits zahlreiche internationale Verabredungen. Mit dem Festspielhaus Baden-Baden verbindet John Neumeier eine langjährige Zusammenarbeit und dort will er auch künftig im Oktober ein Ballett-Festival kuratieren.

Ein Nachfolger John Neumeiers beim Hamburg Ballett steht noch nicht fest. Die Findungskommission führe Gespräche. Neuigkeiten gibt es möglicherweise bald schon in Bezug auf die Ballettsammlung von John Neumeier zu verkünden. Da gebe es Ergebnisse, deutet der Intendant an. Jüngst habe er wieder ein Konvolut aus Los Angeles erhalten mit unter anderem 400 Originalfotografien der Meistertänzerin Anna Pawlowa.

Der Vorverkauf für die kommende Spielzeit startet am 20.6. zunächst für Termine bis Ende November; www.hamburgballett.de, T. 35 68 68